JOSEPH HAYDN: KLAVIERKONZERTE auf Akkordeon interpretiert – SONY CD
VIVIANE CHASSOT landet einen veritablen Hit
Die Schweizer Künstlerin hatte schon mit ihrer Einspielung von für Akkordeon bearbeiteten Haydn-Sonaten Aufmerksamkeit erregt und dafür etwa von Alfred Brendel höchstpersönlich Bewunderung eingeheimst. Nun wagt sie sich in ihrer Sony Debüt CD gemeinsam mit dem Kammerorchester Basel an die vier Cembalo/Klavierkonzerte von Joseph Haydn H18 Nr.3, 4, 7 und 11. Von mir gäbe es als Kritiker-Choice dafür schon einmal den Titel „Meine Lieblings-CD des Monats“. So frisch, energetisch aufgeladen, voller sprühendem Witz und feinsinniger Empfindsamkeit hat man diese Musik noch nie gehört.
Was die formidable Viviane Chassot aus ihrem Instrument an Farben und Ausdruck holt, wie ungemein differenziert sie in Bezug auf Phrasierung, Artikulation und Dynamik musiziert und das in vollkommenen Gleichklang mit dem Originalklangorchester, das ist nicht nur faszinierend, sondern reißt den Hörer vom Sessel. Dem neuen Konzertakkordeon haftet ja schon länger nicht mehr nur ein jodelnder „Stallgeruch“ an. Keiner würde mehr behaupten, dass nur Volksmusik oder Tango gut zu diesem Instrument passen. Aber es ist Viviane Chassot vorbehalten, so brillant, so vollendet zu spielen, dass sie mühelos viele Interpretationen der Haydn’schen Konzerte auf Cembalo oder Klavier, und das gleich meilenweit, hinter sich lässt.
Zu Haydns Lebzeiten gab es zwar das Akkordeon noch gar nicht, aber wir wollen mit Viviane Chassot davon ausgehen, dass Haydn „als offener Geist, der für alle Arten von Tasteninstrumenten komponierte, dem Zungen-Aerophon bestimmt mit Neugierde begegnet wäre“. Aufgrund Haydns besonderer Vorliebe für das Clavichord mit dem formbaren Klang schließt Chassot, „dass er das Akkordeon mit seinem elastischen Klang sogar besonders gemocht hätte.“ Und das sicher nicht nur in manchen Finalsätzen, wo Haydn selbst höchst kunstfertig volkstümliche Elemente in seine Konzerte integriert hat. Besonders erfreut die Eleganz im Vortrag, die erstaunliche Vielfalt an Nuancen und die große Modulationsfähigkeit, die allein schon mit der Führung des Balgs erreicht werden kann. Viviane Chassot beschreibt das so: „Ich möchte die Eigenheiten und Möglichkeiten des Akkordeons ausschöpfen. Es ist möglich Töne an- oder abschwellen zu lassen und über mehrere Takte zu halten. Die verschiedenen Register eröffnen eine ganze Palette an Klangfarben. Chamäleonartig erklingt das Instrument ml wie ein Streich-, mal wie ein Tasten-, mal wie ein Blasinstrument. Und es kann ebenso mit dem Orchesterklang verschmelzen wie sich von ihm abheben. Entsprechend spiele ich einen Akkordeontyp – Bugari omnia – der sich durch einen sehr klaren, weichen und edlen Ton auszeichnet“.
Besonders in den Vivace oder Allegro-Sätzen kommt absolute Frühlingsstimmung auf. Die für die Musik und das Instrument maßgeschneiderten Kadenzen stammen von Viviane Chassot selbst. „Vertraut und doch so anders“ lautet die Überschrift im Booklet, man könnte ergänzen „Eine Referenz für sich selbst“. Also ich will diese Haydn Konzerte sicher nicht mehr anders hören. In meinem Auto laufen sie derzeit Schleife und sorgen täglich für einen guten Morgen.
Dr. Ingobert Waltenberger