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Josef „Angelo“ Neumann – Wagners vergessener Prophet

15.08.2020 | Themen Kultur

Buchbesprechung
Heinz Irrgeher – Josef „Angelo“ Neumann – Wagners vergessener Prophet
Erschienen 2020 im Universitätsverlag Leipzig

Josef Angelo Neumann - Wagners vergessener Prophet Buch ...

Wie eine Schilderung aus dem fernen „Utopia“ liest sich in unserer auf die Kernformel „Konsum“ abgesunkenen Welt Heinz Irrgehers Biographie des Intendanten und Richard Wagner-Apostels Angelo Neumann: Er war ein Idealist, der sein Leben in den Dienst seiner ultimativen Kulturbegeisterung stellte, der dafür lebte, seiner tiefen Überzeugung einen gebührenden Platz in der Welt zu verschaffen.

Angelo Neumann kam an „Kaisers Geburtstag“, dem 18. August 1838, in der Nähe von Bratislawa zur Welt. Er schaffte vorerst eine Karriere als Sänger, die ihn bis an die Hofoper in Wien brachte. 1876 übernahm er unter dem neuen Intendanten August Förster die Leitung der Oper am Stadttheater Leipzig. Anlässlich seines Besuches der ersten Festspiele in Bayreuth im selben Jahr wurde aus Neumanns Neigung zu Wagner eine lodernde Flamme. Seine geradezu fanatische Begeistertung nahm alle Hürden: Bereits 1878 stand der gesamte Ring des Nibelungen am Programm des Leipziger Stadttheaters, das damit nach Bayreuth zur zweiten Aufführungsstätte des Ring-Zyklus wurde. Die Widerstände im konservativen Leipzig waren gross, der Erfolg  jedoch  beachtlich. Der anwesende Franz Liszt sprach von „Kulmination“. Irrgeher streicht das Faktum heraus, dass Wagner letztlich erst durch Neumanns Wirken  in seiner Heimatstadt Leipzig nachhaltig Anerkennung fand.

Ein weiteres, diesmal wahrhaft monumentales Projekt des Organisationsgenies Neumann etablierte Wagner und den Ring international als unumstössliches Faktum. Zwischen September 1882 und Juni 1883 bereiste auf zwei Eisenbahn-Sonderzügen ein Wagner-Wandertheater zwischen Hamburg und Rom, Königsberg und Amsterdam insgesamt 55 Städte. Neben anderen Programmpunkten gelangte der gesamte Ring-Zyklus 35-mal zur Aufführung. Neumann  konnte Sänger der Spitzenklasse für diesen Marathon gewinnen und  hatte die originale Bühnendekoration aus Bayreuth im Gepäck. Insgesamt erreichte die Produktion 350.000 Besucher!

Nach kurzer Zeit in Bremen wirkte Angelo Neumann 25 Jahre bis zu seinem Tod 1910 als Intendant am Deutschen Landestheater in Prag. Er bescherte den Pragern ein ereignisreiches Programm mit Größen wie Caruso, Anna von Mildenburg oder Gustav Mahler – letzterer als Dirigent wie auch als Komponist, denn immer war Neumann auch Förderer zeitgenössischer Werke.

Irrgehers hervorragend recherchiertes Buch gibt detailliert Auskunft über die Theater- Opern- und Konzertgeschichte der Städte, an denen Neumann gewirkt hat und vermittelt neben biographischen Details auch Kulturgeschichte. Die Darstellungen sind mehrfach ergänzt durch Statistiken und Zahlen, die Einblick in die geschäftlichen Aktionen Neumanns bieten. Das mag interessant sein bis zu dem Punkt, an dem auch die Zahlen Neumanns Idealismus belegen. Einige Rechnungen zeigen auf, dass ein beträchlicher Teil seines Privatvermögens in künstlerische Projekte einfloss. Irrgehers sehr persönlich gefärbter Wortfluss bannt das Interesse des Lesers und macht stellenweise glauben, von einem Betroffenen erzählt zu bekommen. Ein Buch, das man nicht mehr weglegen kann.

RoPo

 

 

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