José Cura: Alles neu macht 2017! (Juni 2017/ Renate Publig)
© Zoe Cura
2017 ist ein höchst ereignisreiches Jahr für den argentinischen Tenor José Cura, standen doch zwei Rollendebuts, Uraufführungen seiner Kompositionen und die Veröffentlichung einer neuen CD am Programm.
Doch der „neue Weg“ zeichnete sich bereits im Jahr davor ab: Cura inszenierte Turandot an der Opéra National de Wallonie und entschied sich, jene Version auf die Bühne zu bringen, die mit dem Tod der Liù endet; das Stück also dort zu beenden, wo auch Puccini seine Feder für immer aus der Hand legte. Im Dezember 2016 folgte in Prag die Uraufführung seines „Magnifikats“, bevor es 2017 mit Elan in das wortwörtlich neue Jahr, das Jahr voller Neuigkeiten ging.
TANNHÄUSER
Das Jahr 2017 begann mit einem Rollendebut, genauer gesagt mit einem Fach-Debut: Der Tenor sang an der Opéra de Monte-Carlo erstmals Wagner, den Tannhäuser in der französischen Fassung, welche Wagner gemeinsam mit Charles Nuitter für Paris geschaffen hatte. Und die Wahl der Sprache war auch der Grund für Curas Zusage:
J.C.: „Die deutsche Fassung hätte ich phonetisch bewältigen können, doch mein Respekt vor der Öffentlichkeit, vor einer Partie verbietet mir, eine Rolle in einer Sprache zu singen, die ich nicht beherrsche. Die französische Sprache war mir jedoch nicht nur phrasierungstechnisch, sondern vor allem artikulatorisch vertraut. Mir ist die Verbindung von Wort und Körpersprache extrem wichtig, und ohne Beherrschung der Sprache kann es keine adäquate Körpersprache geben.“
© LaLibre.be
Doch auch Wagners Tonsprache stellt ein Novum für den Tenor dar, der sonst Verdi, Puccini und Verismo als seine Favoriten bezeichnet.
J. C.:„Tannhäuser ist eine große Oper, reich an äußerst anspruchsvollem Gesang. Wagners beeindruckende musikalische Rhetorik zu vermitteln, verbunden mit einer Theatralik, die glaubwürdig bleibt, stellt eine hohe Herausforderung dar!“
Wilhelm Sinkowitz bescheinigt in seiner Rezension in der „Presse“ dem Tenor den Erfolg dieses Unterfangens: „Der bis dato nur im italienischen und französischen Repertoire aktive Argentinier bewältigte die notorisch kräfteraubende Rolle auf höchstem Niveau: Wo Kollegen glücklich sind, „durchzukommen“, gebietet Cura über die denkbar breiteste Ausdruckspalette.“ Und er schließt mit der Empfehlung an das internationale Intendanten-Gremium, José Cura einen tiefgehenden Deutschkurs zu finanzieren: „Tannhäuser-Interpreten, die so singen, laufen zwischen dem Bayreuther Festspielhaus und dem Teatro Colon nicht allzu viele herum!“ (Wilhelm Sinkovicz, Die Presse)
Antonin Dvořák: Love Songs
Jahrelang hielt sich Cura mit der Veröffentlichung neuer CDs zurück. Nun schlägt er einen neuen Weg ein, über ITunes und andere Plattformen ist seine CD „Love Songs“ mit Liedern von Antonin Dvořák zum Download erhältlich: Keine neue Einspielung, sondern vielmehr die Veröffentlichung eines Albums aus dem Jahr 2003. Warum jetzt – und warum Lieder von Dvořák?
J. C.: „2004 nahm ich anlässlich des 100. Todestages von Dvořák diese Lieder sowie die 9. Symphonie auf, allerdings nur für eine private Veröffentlichung. Um die Zusammenarbeit mit digitalen Plattformen zu testen, starte ich zunächst mit einer bestehenden Aufnahme. Doch diese Aufnahme ist natürlich neu abgemischt, endlich klingen die Einspielungen, wie ich mir das vorstelle! Außerdem enthält der Download auf ITunes ein digitales Booklet, die Einleitung ist neben den gängigen europäischen Sprachen in Chinesisch, Arabisch und Japanisch zu lesen, die Liedtexten sind in englischer Sprache zu finden.“
Natürlich hat die Wahl des Komponisten auch mit einer Zusammenarbeit zu tun, die in den letzten Jahren reifte: 2015 luden die Prager Symphoniker Cura als Artist in Residence ein, seither dirigiert er regelmäßig dieses Orchester in von ihm zusammengestellten Programmen.
J.C.: „Ich wollte den tschechischen Fans eine besondere Überraschung bieten: Die Veröffentlichung der Lieder von Dvořák. An die Aufnahmen erinnere ich mich noch gut, an die Herausforderung, diese wunderbare Musik in einer Sprache zu singen, die mir völlig fremd ist. Natürlich hatte ich damals einen Sprachcoach, denn das Tschechische stellte mich vor Rätsel: Ich hatte vier Silben zu singen, bei einem Wort mit zwei Vokalen. Die Antwort des Coaches war sehr einfach: ‚Singe die Konsonanten und mach einfach weiter‘!“
http://josecura.com/antonin-Dvořák-love-songs
ECCE HOMO – Uraufführung Prag
Das Oratorium Ecce Homo komponierte Cura 1989 für einen Tenorkollegen; für die Uraufführung fehlten jedoch die Mitteln, das Werk landete vorerst in der Schublade. Warum er diesen Text wählte:
J.C.: „Ich sprach mit mehreren Menschen, mit meiner Frau, mit dem Priester aus der Nachbarschaft über das Thema ‘Mensch’ und dessen Beziehung zum Göttlichen. Mich berührte stets das Leben Christi, seine letzten Worte auf dem Ölberg, darüber hinaus jedoch die Verbindung Menschlich-Göttlich: Verkörpert durch die menschliche Dimension Christi, der im christlichen Glauben der Sohn Gottes ist. “
Es sollte noch eine Weile dauern, knapp 30 Jahre, bis das Werk erklingen konnte. Was bedeutet es für einen Komponisten, wenn die Noten am Papier erstmals in reale Klänge umgewandetl werden?
J.C.: „Das war ein sehr berührender Moment, die erste Probe mit dem Orchester, dem Chor und den Solisten! Für einen Komponisten ist es etwas ganz Besonderes, sein Werk zum ersten Mal zu hören. Wenn wir ein Werk komponieren, hören und fühlen wir die Musik natürlich in unserem Kopf, wir stellen uns vor, wie das Werk klingen muss. Aber alles ist nur ein Fantasiegebilde in unserem Hirn. Wenn man die Musik dann tatsächlich hört, ist es wie ein Schock – ein positiver Schock. Manches klingt, wie man es sich vorgestellt hat, anderes funktioniert weniger – das korrigiert man.
Betrachtet man Mahlers Partituren – letztes Jahr durfte ich seine 2. Symphonie dirigieren –, findet sich zahlreiche Fußnoten, wann Mahler welche Korrekuren durchführte. Wenn also Genies wie Mahler seine Werke ständig einer Korrektur unterzog, dass kann man sich vorstellen, wie oft wir kleinen Komponisten korrigieren, die einfach ihre Ideen in Klänge verwandeln möchten. Bei Ecce homo war ich positiv überrascht, wie wenig ich verändern musste!”
PETER GRIMES
Drei Monate nach Tannhäuser erfolgte ein weiteres Rollen -und Fachdebüt als Peter Grimes in der gleichnamigen Oper von Benjamin Britten. Bei dieser Produktion sang Cura nicht nur die Hauptrolle, sondern übernahm darüber hinaus die Regie und das Bühnenbild. Freilich ist es nicht seine erste Regiearbeit: 2010 setzte er bereits für Karlsruhe Samson et Dalilah in Szene, 2012 folgte La Rondine an der Opéra de Lorraine, im gleichen Jahr noch gab es seine Inszenierung von Cav/Pag an der Opéra Nationale de Wallonie zu sehen! Am Teatro Colón inszenierte er 2013 Otello, 2015 an der Royal Swedish Opera La Bohème und 2016 kehrte er an die Opéra Nationale de Wallonie mit Turandot zurück.
J.C.: „Diesen holistischen Ansatz verfolge ich seit längerem, und wer meint, es ginge darum, alles an mich zu reißen, der liegt völlig falsch: Mir ist es wichtig, im Team zu arbeiten, ich hole mir die Meinung des kompletten Teams in ihrem jeweiligen Bereich ein, auch auf die Gefahr hin, nicht einer Meinung zu sein. Man kann sich nicht weiterentwickeln, wenn man nicht den Rat anderer einholt.
Bei einer Produktion, in der ich selbst singe, ist es mir wichtig, die Bühne „bewohnbar“ zu machen. Das erfordert eine sorgfältige Vorbereitung auf das Stück! Zunächst betrachte ich mir die Handlung – und dann entwerfe ich den Raum, in dem die Geschichte sich entfalten kann. “
Bei den bisherigen Regiearbeiten handelte es sich um ihm „bekanntes“ Repertoire – stellt die Doppelfunktion eine größere Herausforderung dar, wenn es sich um ein neues Fach handelt?
J.C.: „Natürlich ist es eine enorme Herausforderung. Aber davon, diese Partie zu singen, träume ich schon lange. Deshalb konnte ich der Möglichkeit, diese Oper, die so selten auf den Spielplänen zu finden ist, zu singen UND zu gestalten, nicht widerstehen! Und natürlich gibt es kritische Stimmen zu dieser Personalunion. Und man kann meine Arbeit, meine Interpretationen ablehnen. Doch niemand kann die Ernsthaftigkeit, die Professionalität, die hinter meinen Arbeiten steht, in Frage stellen.“
Den Teamgeist – beim Schlussapplaus holte Cura die komplette Crew einschließlich der Bühnenarbeiter vor den Vorhang – bestätigen die Rezensionen dem Sänger und Regisseur ebenso wie die akribische Arbeit an einer packenden und authentischen Inszenierung. So schreibt der General-Anzeiger Bonn: „Er wirkt hier wie eine Urgewalt, bei dem Gesang und Darstellung eine packende Einheit bilden. Sowohl in den lyrischsten Momenten der Arie „Now the Great Bear and Pleiades“ wie auch in der Wahnsinnsszene im dritten Akt, in der er die ganze Seelenpein des Peter Grimes mit seiner Otello-gestählten Stimme hör- und spürbar macht. Grandios!“ (Bernhard Hartmann, General-Anzeiger Bonn). Und auch die Zeitschrift Opernglas äußert sich positiv: „Dass Brittens Werk eine Ensembleoper ist, in der fast ein ganzes Dorf gegen den Außenseiter Grimes steht, den es ausgrenzt und in die Isolation treibt, hat José Cura überzeugend herausgearbeitet. Die Jagd auf den unglücklichen Fischer im letzten Akt wurde so durch die markerschütternden „Grimes“-Rufe der aufgebrachten Dorfbewohner zu einem eindringlichen und verstörenden Moment, der durch Curas überzeugende szenische Führung noch verstärkt wird.“ (L.-E.Gerth, Das Opernglas)
In diesem Tonfall wird es weitergehen: Die Produktion von Peter Grimes wird in Monaco übernommen, auch die Zusammenarbeit mit den Prager Symphonikern setzt sich fort, und im Oktober 2018 wird es in Tallinn eine Neuinszenierung von Puccinis La fanciulla del West geben. Regisseur: José Cura.
Blicken wir noch etwas in die Zukunft: Werden noch weitere neue Partien kommen?
J.C.: „Tannhäuser zu entwickeln und Peter Grimes mir wirklich zu eigen zu machen, wird einige Jahre in Anspruch nehmen, daher gibt es derzeit keine weiteren Rollen. Es gibt noch eine weitere Oper, die ich sehr gern singen würde, und das ist PIQUE DAME, aber ich fürchte, dass Tschaikowski meiner künstlerischen Gier wegen der Sprachbarriere entkommen wird.“
Renate Publig