WIENER STAATSBALLETT: Auch John Neumeier meldet sich zu Wort: NICHT FLASH SONDERN TIEFENSCHÄRFE
Er ist es, der den Tänzern ihr Bühnenleben einhaucht und ihre Bewegungen vorschreibt: Ein eloquenter, viel belesener und dezent eleganter Herr aus Milwaukee ist John Neumeier gewesen, als er 1977 seine erste Version der „Josephs Legende“ in Wien erarbeitete. Ein frisches spitzbübisches Lächeln ist dem heute 73jährigen Erfolgschoreographen geblieben, und sein Deutsch ist beinahe frei von Amerikanismen. Aus dem damals noch jungen kreativen Tanzschöpfer ist eine Legende der Ballettgeschichte des 20. Jahrhunderts geworden. Neumeier kann auf über 150 eigene Kreationen zurück blicken. Und er ist immer noch, 42 Jahre nun bereits, als Gründer und Direktor des Hamburger Balletts für seine Tänzer die verehrte Führungspersönlichkeit. Susanne Kirnbauer-Bundy, Wiens Primballerina dieser früheren Ära in der Wiener Staatsoper, hat für die Gesellschaft der Opernfreunde zu einem Künstlergespräch mit Neumeier gebeten.
Nicht Flash, sondern ein ganz spezielles Augenmerk auf Tiefgang und penibles schöpferisches Gestalten ist aus Neumeiers Erzählungen herauszuhören. Er sagt zwar bezüglich seiner nie erlahmenden Kreativkraft: „I am a maker!“ Doch in langen und grüblerischen Denkprozessen leitet er sorgfältig die Erarbeitungen seiner neuer Stücke ein, um dann einzig auf seinen Instinkt vertrauend die Tänzer bei der intensiven Probenarbeit zu prägnanten künstlerischen Aussagen zu führen. Oder Ballettklassiker in neuen Kleidern zu präsentieren: „Nicht die Pirouette ist das Wesentliche, sondern etwas anderes ….. wesentlich ist direkt auf den Menschen zu schauen, das zu erkennen, was in dem Anderen steckt, welche Emotionen ihn bewegen! Ich war immer bestrebt, den Tanz als einen Ausdruck des Dramatischen zu erneuern. Meine Tänzer in Hamburg: Sie wollen ständig Neues machen.“
Über die Besetzungen am Premierenabend am 4. Februar in der Staatsoper spricht Neumeier mit großem Lob. Und kurz noch Statements zu seinen beiden Choreographien: „Der Zugang zur Komposition von Richard Strauss ist mir damals nicht leicht gefallen. Man schwimmt in diesen Klängen. Doch man hört die Musik in den verschiedenen Lebensaltern immer anders. Unterschwellig geht es jetzt in beiden meiner Kreationen jeweils um Vergänglichkeit.“ Und zur nun etwas geänderten Version des biblischen Verführungsdramas: „Ballette, die nach längerer Zeit wieder aufgenommen werden, müssen auf ihre Gültigkeit hin überprüft werden. Für mich sind meine Werke mit der Uraufführung nicht beendet – sie entwickeln sich immer, auch mit den Fähigkeiten, den Charakteren der verschiedenen Interpreten. Und nur so bleiben die Choreographien lebendig!“
Meinhard Rüdenauer