ALLES ANDERS!
Label: Naxos
Catalogue No.: 8.574465-67
Ein neuer Brahms-Zyklus? Wirklich? Muss das sein? Es gibt bereits gefühlt endlos viele Einspielungen in unterschiedlichster Qualität.
Und der in seiner Interpretationsstärke sehr wechselhafte Dirigent Adam Fischer mag vielleicht nicht unbedingt dazu beitragen, zunächst in Euphorie zu geraten. Und doch, es ist gut, dass Naxos diese Gesamteinspielung mit dem Danish Chamber Orchestra produziert hat!
Zu erleben ist eine geglückte Gemeinschaft zwischen Orchester und Dirigent, die durch langjährige Zusammenarbeit hörbar bestens miteinander verbunden sind.
Routinier Adam Fischer, der über ein immenses Repertoire verfügt und sicherer Garant für eine solide Aufführung ist, leistet hingegen hier Besonderes!
Dieser Brahms klingt anders, ganz anders und wird sicherlich all jene enttäuschen, die mit dem großen Komponisten symphonischen Breitwandsound assoziieren. Fischer spielt hier mit seinem kleinen Orchester in einer Spielgröße, wie es zu Lebzeiten Brahms üblich war. Interessant ist hier die Entwicklung der Orchestergröße aus dem musikhistorischen Kontext zu betrachten. Als Brahms 1833 geboren wurde, umfasste ein symphonisches Orchester in der Regel bis zu vierzig Musiker. An seinem Lebensende 1897 waren hingegen Orchestergrößen von bis zu hundert Musikern keine Seltenheit.
Adam Fischer versetzt seine Zuhörer mit seinem hingebungsvoll spielenden Danish Chamber Orchestra in die Entstehungszeit zurück. Alles ist anders! Die Streicher spielen ohne Vibrato, die Motive werden überdeutlich herausgearbeitet und besonders auffallend ist die spielerische Flexibilität des Orchesters. Akzente werden schroff vorgetragen, was in geschärften Bläserakkorden und harten Paukenschlägen zu hören ist.
Schon der Beginn der ersten Symphonie ist ein Schock! Oh nein, so schnell! Wirklich? Aber dennoch wirkt das flotte Eingangstempo nicht gehetzt. Selten dürfte die erste Symphonie derart getrieben mit knalligen Pauken zu erleben sein, wie es Fischer hier vorgibt. Bei ihm und seinem Orchester bebt jeder Takt vor größter Innenspannung. Die Interaktion des Orchesters innerhalb der Spielgruppen ist bestechend. Der Zuhörer wird Zeuge musikalischer Dialoge, die mit großer Intensität und Überzeugungsstärke ausagiert werden. Fortwährend sind neue Details zu entdecken. Fischer gewährt dazu den notwendigen Freiraum und lässt manche Akkorde länger nachklingen als sonst üblich. Danach treibt er seine Musiker umso unerbittlicher nach vorne. Adam Fischer, der über eine ausgeprägte Opernerfahrung verfügt, zeigt seinen theatralischen Instinkt absolut treffsicher in den Finali der ersten beiden Symphonien. Zu hören sind hier elektrisierende Stretta Effekte, die nie eitler Selbstzweck sind, sondern vielmehr zwingende Unbedingtheit. Ja, so heiter und so kraftvoll kann der mitunter spröde anmutende Brahms klingen! Adam Fischers Brahms klingt vital und ungemein lebensbejahend. Keine Schrulligkeit oder misanthropische Färbung ist zu erleben. Mit größter Aufmerksamkeit werden die Partituren durchleuchtet und mit viel Detailfreude verwirklicht.
In der Wahl der Tempi tendiert Fischer zu einer zügigen Gangart, wobei der Tonfluss immer natürlich entwickelt erscheint. Auch die elegische dritte Symphonie erfährt durch Fischer und das Orchester eine deutliche Aufwertung. Die Musik wogt, bebt und wird dann wieder in die Ruhe geführt. Faszinierend ist der dynamisch fein abgestufte Dialog zwischen Holzbläsern und Streichern. Der Zuhörer wird permanent durch das stets abwechslungsreiche Spiel in der Aufmerksamkeit gehalten.
Kein Zweifel, dieser Johannes Brahms erzählt sehr klar und unmittelbar seine symphonische Geschichte! Auch beim Beginn der vierten Symphonie möchte man ausrufen: „warum so eilig und geschwind?“ Der Beginn verstört zunächst in seiner verstörenden Leichtfüßigkeit. Letztlich bleiben sich Fischer und das Danish Chamber Orchestra treu. Sie befragen Brahms letzte Symphonie mit hörbarer Neugierde frei nach dem Motto „es gibt noch so viel Neues zu entdecken“. Und unter diesem Aspekt betrachtet, ist auch dieser Interpretationsansatz schlüssig. Fischer ist in seinen Tempi niemals dogmatisch, sondern bleibt wach und flexibel. So gibt es dann auch wieder Ruhepunkte in der Musik. Diese werden allerdings wieder durch rabiate Zuspitzungen aufgebrochen. So entfalten die Musiker zum Satzende des ersten Satzes der vierten Symphonie einen kalten Furor, der sogar den Beginn des zweiten Satzes koloriert. Derart offensiv sind die Hörner am Beginn selten zu vernehmen! Ganz in ihrem Element sind die Musiker im dritten Satz, der hier ein wirkliches überschwängliches und sehr flottes „Allegro giocoso“ ist. Vehemenz und Drama prägen den tiefgründigen Finalsatz.
Adam Fischer gelingt eine sehr persönliche, stark empfundene symphonische Interpretation, die immer spannend, schlüssig und absolut faszinierend zu erleben ist. Die Entdeckungsfreude Fischers musikalischer Details und rhythmischer Finessen ist omnipräsent. In dieser Aufnahme gibt es keinen einzigen Moment, der routiniert wirkt. Im Gegenteil. Brahms wirkt neu entdeckt und mit der größten Flamme der musikalischen Begeisterung realisiert.
Das Danish Chamber Orchestra begeistert in allen Belangen durch seine spieltechnische Brillanz und hohe Virtuosität. Mit großer Klangschönheit und fast schon kindlicher Begeisterung wird Brahms hier neu entdeckt, maximal transparent und doch mit großer symphonischer Geste vorgetragen, wenn die Musik dies einfordert. Die tiefe Verbundenheit mit seinem langjährigen Chefdirigenten (seit 1998!) Adam Fischer ist in jedem Takt zu spüren.
Naxos hat diese Aufnahme hervorragend aufgezeichnet, so dass der Zuhörer sich auf ein warmes und klares Klangbild freuen kann, in welchem jede Nuance bestens zur Geltung kommt.
Nein, dieser Brahms ist nichts für Schwermut Suchende! Zu spannend und zu aufregend ist das Hörerlebnis, welches den Zuhörer auf die Stuhlkante nötigt. Wunderbar! Eine besondere Einspielung, die in ihrem mitreißenden Elan sehr begeistert. So frisch, so modern und so enthusiastisch war die Musik von Johannes Brahms lange nicht zu erleben!
Dirk Schauß, August 2022