Johann Sebastian Bachs „Weihnachtsoratorium“ mit dem Dresdner Kreuzchor neu bei Berlin Classics erschienen
Geschehen des Christfestes
Weit stärker als das Magnificat geht das „Weihnachtsoratorium“ von Bach auf das Geschehen des Christfestes ein. Es besteht aus sechs Kantaten für die Gottesdienste der drei Weihnachtsfeiertage, für Neujahr, den Sonntag nach Neujahr und den Epiphaniastag. Formal ist es den Passionen angeglichen, der Evangelist berichtet die Weihnachtsgeschichte, und neben den eingeflochtenen, oft vom Orchester reich begleiteten Chorälen stehen hier auch großartige Chorszenen, die das Weihnachtsgeschehen verherrlichen. Den Text dieser nichtbiblischen Zutaten schrieb der dichtende Postbeamte Christian Friedrich Henrici, der sich das Pseudonym Picander zulegte. Bei der opulenten und klanglich kompakten Aufnahme mit dem famosen Dresdner Kreuzchor, der durchsichtig musizierenden Dresdner Philharmonie sowie den beeindruckenden Gesangssolisten Arleen Auger, Annelies Burmeister, Peter Schreier und Theo Adam unter der einfühlsamen Leitung von Martin Flämig singt der Chor zur Eröffnung sehr lebhaft „Jauchzet, frohlocket“ – ein festlich strahlendes, kraftvolles und lebensbejahendes Stück mit Pauken und Trompeten. Annelies Burmeister (Alt) unterbricht mit Intensität den Evangelisten-Bericht mit der Arie „Bereite dich, Zion“. Hier bleibt die feudige Erregung unter der schlichten Oberfläche stets spürbar und wird gut herausgearbeitet. Beim erhaben vorgetragenen Choral „Wie soll ich dich empfangen“ verdichtet sich dann spürbar die Adventsstimmung. Peter Schreier erzählt als Evangelist mit schlanken Kantilenen von der Geburt des göttlichen Kindes – und in den Choral „Er ist auf Erden kommen arm“ flicht der sonore Bass von Theo Adam ein gedankenvolles Rezitativ, aus dem sich freudig beschwingt die von festlichen Fanfarenmotiven eröffnete Arie „Großer Herr und starker König“ löst. Königliche Trompetenklänge melden sich hier auch sehr deutlich beim frohbewegten Wiegenlied, das der Melodie des Chorals „Vom Himmel hoch“ den einfühlsamen Text „Ach, mein herzliebes Jesulein!“ unterlegt. Martin Flämig arbeitet als Dirigent die kunstvollen thematischen Verflechtungen der instrumentalen „Sinfonia“ harmonisch-vielschichtig mit der Dresdner Philharmonie bei der zweiten Kantate heraus, der Pastoral-Charakter tritt dabei deutlich hervor. Der fulminante Dresdner Kreuzchor interpretiert den Choral „Brich an, o schönes Morgenlicht“ ausgesprochen schlicht und bewegend zugleich. Und die versierte Altistin Annelies Burmeister erfüllt die Arie „Schlafe, mein Liebster“ mit ergreifend-unsentimentalem Pathos. Weitere akustische Höhepunkte sind bei dieser weiträumigen Einspielung der Choral „Wir sagen dir in deinem Heer“ und die Chormelodie „Vom Himmel hoch“. Festlich beschwingt agiert der Dresdner Kreuzchor beim Chor „Herrscher des Himmels“ der dritten Kantate – und der Hirtenchor „Lasset uns nun gehen gen Bethlehem“ wird von atemloser Hast getragen. Besonders überzeugend gelungen ist hier ferner das lebendig und erfrischend vorgetragene Duett zwischen Sopran und Bass „“Dies hat er alles uns getan“, wo Arleen Auger und Theo Adam ausdrucksvoll hervortreten. Alles schwankt dabei sehr deutlich zwischen Zerknirschung und Zuversicht. Tänzerisch belebt wirkt die vierte Kantate, wo wiederum das wunderbare Arioso von Sopran und Bass besonders positiv auffällt: „Immanuel, o süßes Wort“. Liebliche Echo-Wirkungen zieren die Sopran-Arie „Flößt, mein Heiland, flößt dein Namen“. Starke Glaubenskraft beweist Peter Schreier bei der voluminös gestalteten Tenor-Arie „Ich will nur dir zu Ehren leben“. Fanfarenartige Jubelfiguren des Chors triumphieren bei der fünften Kantate bei der Passage „Ehre sei Gott in der Höhe“. Und der Choral „Dein Glanz all‘ Finsternis verzehrt“ wirkt ausgesprochen schlicht und bewegend. Theo Adam verleiht dann der Bass-Arie „Erleucht‘ auch meine finstre Sinnen“ eine tiefempfundene Beweglichkeit. Stillere Töne demütigen Vertrauens ragen bei der sechsten Kantate hervor. Überraschend frohgemut wirkt die von Arleen Auger strahlkräftig interpretierte Arie „Nur ein Wink“. Geniale Harmoniefolgen werden von der Dresdner Philharmonie bei der Rezitativ-Frage „Was soll der Hölle Schrecken nun“ facettenreich betont. Der Choral „Nun seid ihr wohl gerochen“ lässt den Dresdner Kreuzchor dabei nochmals in triumphalem Glanz erscheinen.
Es ist eine weitgehend perfekte Aufnahme, nur zuweilen könnten die dynamischen Kontraste noch präziser hervortreten. Dabei wird diese 1975 in der Dresdner Lukaskirche produzierte Interpretation von zeitloser Gültigkeit erfüllt.
Alexander Walther