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JOHANN SEBASTIAN BACH: MARKUS-PASSION, La Capella Reial de Catalunya, Le Concert des Nations; JORDI SAVALL, AliaVox

Die verschollene Passion - Live Mitschnitt vom 26.3.2018

24.03.2019 | cd

JOHANN SEBASTIAN BACH: MARKUS-PASSION, La Capella Reial de Catalunya, Le Concert des Nations; JORDI SAVALL, AliaVox

 

Die verschollene Passion – Live Mitschnitt vom 26.3.2018 aus der Chapelle Royale du Chateau de Versailles

 

Die Partitur für die vorliegende Aufnahme wurde nach Musik von J. S. Bach von Alexander Grychtolik und Jordi Savall auf Grundlage der Fassung von 1744 rekonstruiert. Diese Passion auf der Textgrundlage des Markusevangeliums  – von Picander auf Basis der Luther Übersetzung gedichtet – wurde am Karfreitag des Jahres 1731 uraufgeführt. 

 

Originalmusik ist leider nicht erhalten, nur der Text. Die Forschung ist der Meinung, dass Bach dieses Werk vermutlich mit der Technik des Pasticcio, also einer Neumontage von Werken mittels Anpassung der Texte an bereits vorhandene Kompositionen zusammengestellt hat. Auch bei der h-Moll Messe und dem Weihnachtsoratorium, in das auch Fragmente der Markus-Passion Eingang fand, verfuhr Bach auf diese Weise. 

2009 wurde die Existenz der Markus-Passion neuerlich aktuell, als man in St. Petersburg ein späteres Libretto fand, das einer Neuaufführung des Werks im Jahr 1744 als Grundlage gedient hatte.

 

Der größte Teil der Arien und Chöre soll der Trauerode BMV 198 entnommen worden sein.  Die neue Version von Savall und Grychtolik verwendet ausschließlich Anleihen aus Bachs Werk, und nicht etwa aus der Matthäus-Passion seines Mitarbeiters und Zeitgenossen Reinhard Keiser, wie bei früheren Rekonstruktionsversuchen. Die Musik, die wir auf den beiden CDs hören,  wurde der Trauerode, der Matthäus-Passion, den verschiedenen Fassungen der Johannes-Passion und einigen Kantaten (u.a. Widerstehe doch der Sünde, BWV 54) entlehnt. Den Chorälen kommt ein bedeutender Platz zu (16 von 46 Nummern). Diese neue Fassung ist sicherlich mehr als nur von akademischem Interesse. Die Ablaufdramaturgie, der Abwechslungsreichtum der Arien, die Instrumentierung und Harmonik der Choräle ergeben ein stringentes Bild und stellen eine Bereicherung des Bach-Bildes und des kompositorisch-organisatorischen Wirkens des Leipziger Thomaskantors dar.

 

Die Interpretation Savalls mit seinem Originalklangensemble Le Concert des Nations und dem 25-köpfigen Chor La Capella Reial de Catalunya besticht durch flüssige Tempi, Binnenspannung, eine plastische Artikulation und erzählerische Schlichtheit. Wir vermissen jedoch eine ausgeklügelt differenzierte Dynamik. Die durchwegs einheitsflotte Gangart lässt zudem kaum Raum für Ruhe und Kontemplation. 

 

Die Besetzung ist durchwegs gut, ohne Ausreißer nach oben oder unten. David Szigetvári führt den Reigen als ausgezeichnet deklamierender Evangelist an, Konstantin Wolff gibt einen eher ältlich klingenden Jesus, Marta Mathéu ist für kernig gesungene Sopranarien zuständig. Der Countertenor Raffaele Pé interpretiert die Altarien stilsicher, emotional aufgewühlt (“Falsche Welt, dein schmeichelnd Küssen”), ohne ein allzu individuelles Timbre bieten zu können. Der Tenor Reinoud Van Mechelen kommt der Konzertsituation wegen bisweilen rhythmisch unter die Räder (Arie “Ich lasse dich, mein Jesus”), ist aber sonst ein ganz großer Könner seines Fachs. 

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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