JOHANN SEBASTIAN BACH: MAGNIFICAT, MESSE in F-Dur – Soli Deo Gloria CD
John Eliot Gardiner im zweiten Anlauf – Nichts für schwache Nerven!
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Nach der berühmten Aufnahme des Magnificat in D-Dur aus dem Jahr 1983, ebenfalls mit den English Baroque Soloists und dem Monterverdi Choir, aber mit bekannten Solisten wie Nancy Argenta, Patrizia Kwella oder Anthony Rolfe-Johnson, kommt nunmehr eine Neuaufnahme des Magnificat in der ursprünglichen Es-Dur Version auf den Markt. Diente in der ersten Aufnahme die Kantate „Jauchzet Gott in allen Landen“, BWV 51, als „CD-Füller“, so sind es nun die intime Weihnachtskantate „Süßer Trost, mein Jesus kömmt“, BWV 15, sowie die selten gespielte Messe in F-Dur, BWV 233, eine Novität in Gardiners weit angelegtem Bach-Aufnahmekosmos.
Der Alte Musik Spezialist Gardiner ist für seine raschen, zuweilen drängenden Tempi, seine beinahe opernhaft zur Schau gestellte Dramatik in der barocken Klangexegese, bei dennoch typisch britischer Neutralität/instrumentalem Zugang in den Stimmen, bekannt geworden. Jetzt scheint sein Zugang bei Aufrechterhaltung der dynamischen Extreme fluider und ausbalancierter geworden zu sein. Sein technisch immens geschulter Monteverdi Choir, wohl einer der besten professionellen Kammerchöre der Welt, hat es Gardiner ermöglicht, komplexe Fugen – wie der Dirigent das etwa für die Tenorstelle „Fecit potentiam“ der Tenöre als teuflisch schwer zu singen bezeichnet – in einem „Affentempo“ abzuspulen, dass einem beim bloßen Zuhören schon schwindlig wird. Das kann, muss man aber nicht mögen.
Bach hat sich auf sein erstes Weihnachten in Leipzig mit großem Ehrgeiz vorbereitet. Beim Magnificat, seinem ersten größeren Werk zu einem lateinischen Text, das für volles Orchester und fünf Solisten geschrieben war, verlangt Bach von allen Beteiligten ein hohes Maß an Virtuosität. Wie Gardiner in einem interessanten Interview im Booklet analysiert, „geht das Magnificat als Gattung auf Monteverdi zurück. Es ist kein Werk für schwache Nerven. Es ist die einzige Kirchenkomposition, die Trompeten in Es verlangt, die noch anspruchsvoller und heikler sind als die Instrumente in D und C.“ Gardiner lässt die Musik noch dazu nicht in der bequemen tieferen Stimmung a=392, sondern a=415 spielen.
Als Ergänzung zum Magnificat wählte Gardiner die Kantate „Süßer Trost, mein Jesus kömmt“, mit der er sich schon anlässlich des Abschlusses der großen „Kantaten-Pilgerfahrt“ im Jahr 2000 befasste, weil der Dirigent Bachs Einladung, das neugeborene Christkind anzusehen, aufregend schön findet. Die Missa brevis in F ist ohnedies eine Entdeckung. Sie ist eine von vier lutherischen Messen, die Bach Ende der 1730er Jahre komponiert hatte. Gardiner: „ Fast alle Sätze sind Parodien von Kantaten. Aber es ist ihre Verpflanzung in frischen Boden, mit neuen lateinischen Texten, die sie so packend macht.“
Die Solisten rekrutieren sich in der neuen Aufnahme ebenfalls aus dem Chor, was vor allem in den Sopranarien nicht immer zu seraphischem Wohlklang beiträgt. Ansonsten verdient die neue Aufnahme eine Empfehlung, in Bezug auf die Tonqualität und die Spieldauer ist sie der alten Aufnahme auf jeden Fall überlegen.
Dr. Ingobert Waltenberger