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Johann Nestroy: ERGÄNZUNGEN

14.10.2012 | buch

Johann Nestroy:
ERGÄNZUNGEN
Historisch-Kritische Ausgabe.
Hsg. von Friedrich Walla und Walter Obermaier
652 Seiten, Verlag Deuticke 2012

Die Nestroy-Ausgabe, die sich letztlich die Stadt Wien und das Land Österreich leisten, ist ein Wunder – über 50 Bände umfangreich, geben die beteiligten Wissenschaftler, deren Energie ans Unfassbare grenzt, keine Ruhe, solange sie noch etwas zum Veröffentlichen finden. Und Subventionsgeber und Verlag ziehen mit, auch wenn sie genau wissen, dass jetzt nur noch die engagiertesten „Nestroyaner“ zugreifen, wenn es darum geht, mit Hilfe neuer Manuskriptfunde bekannte Stücke zu ergänzen.

Im Vorwort dieses Ergänzungsbandes zitieren die Herausgeber (fast scherzhaft), was die Kollegen schon 1979 wussten: „Das Erfolgserlebnis, neue Manuskripte und Quellen aufzufinden, wird freilich durch den Alptraum getrübt, eine solche Entdeckung könnte unmittelbar nach Erscheinen des betreffenden Bandes erfolgen.“ Nun, von unmittelbar kann nicht die Rede sein – die Stücke, zu denen sich nun Neues fand, sind längst erschienen. Jetzt erst konnte man Manuskripte erwerben, die aus dem Nachlass von Nestroys Schwiegertochter an private Sammler gingen – zuerst an die renommierte Wiener Unternehmerfamilie Trau, Tee-Importeure mit einer prachtvollen Familiengruft am Grinzinger Friedhof, dann an den Kunsthändler Otto Kallir-Nirenstein (der aus der Geschichte Schieles nicht wegzudenken ist) – einen „Nestroy“ zu besitzen, war für einen potenten Sammler offenbar Ehrensache. Teils als Geschenk, teils käuflich erworben, sind die fraglichen Manuskripte mittlerweile Bestandteil der Handschriftensammlung der Wien-Bibliothek, und nun wurden sie auf 632 (!) Seiten mit bekannter Akkuratesse veröffentlicht.

Zwar gibt es „Dreyßig Jahre aus dem Leben eines Lumpen“, „Der Weltuntergangstag“, „Die Familien Knieriem, Zwirn und Leim“ und „Die schlimmen Buben in der Schule“ schon in verschiedenen Bänden der Historisch-kritischen Gesamtausgabe, veröffentlich ihrerseits damals aus Drucken und Vorgängerausgaben. Wie macht man nun die Unterscheidungen, die sich in den Handschriften finden, kenntlich? Durch Schriftvarianten, die durchaus deutlich sind – die nun neu zu entdeckenden Szenen sind in kleinerer Helvetica gedruckt und tatsächlich ausführlich genug, dass sich die Veröffentlichung lohnt (sonst hätte man die neuen Textpassagen ja in wissenschaftlichen Einzelaufsätzen abhandeln können). „Der Weltuntergangstag“ ist dabei ein eigenes Stück, das später zu „Die Familien Knieriem, Zwirn und Leim“ gänzlich umgearbeitet wurde. Übrigens gibt es wieder ein „Kometenlied“ –

Alle z’grund gehen wer’n ma,
Wie wer da seyn, sterbn ma,
Und bis morgen g’hörn ma schon der Katz

heißt es da, dem Original (Die Welt steht auf kan’ Fall mehr lang) ideologisch verwandt und so richtig die Erkenntnis zum (Maya-)Weltuntergangsjahr 2012…

Mit allen Varianten und Lesarten ausgestattet, die die Wissenschaft sich selbst schuldet, die sogar versucht hat, in den „Schlimmen Buben“ jene Formulierungen wiederzufinden, die Nestroy nur unzureichend ausradiert hat, ist dieser Band natürlich nichts für ein breites Leserpublikum – aber er gereicht dem nimmermüden Herausgeberstab dieser Ausgabe zu Ehren. Johann Nestroy, nie als ein „Klassiker“ empfunden (im Vergleich zu Goethe, Schiller, Grillparzer & Co.), wird hier Sorgfalt, Liebe und Verehrung zuteil, wie sie größer gar nicht ausfallen könnte.

Jetzt wünscht man sich noch, wie es die Herausgeber der alten Raimund-Ausgabe getan haben, eine Zusammenstellung dessen, was Zeitgenossen über Nestroy geschrieben haben… man weiß doch, durch wie viele Tagebücher, Schauspielermemoiren und Zeitungsartikel der Zeit er gegeistert ist.

Renate Wagner

 

 

 

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