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Jevgēnijs ČEPOVECKIS – Oberton String Octet

20.04.2020 | Instrumentalsolisten

 

Es ist so wichtig, wie es draußen ausschaut“

Das Oberton String Octet favorisiert für sein CD-Debut das ernste Repertoire

Slavic Soul Audio CD — Oberton String Octet

 

Das Oberton String Octet wechselt flexibel zwischen musikalischen Kontexten und hat sich damit ein breites Publikum erobert. Auf ihrer Debut-CD „Slavic Soul“ geht es den acht Streicherinnen und Streichern unter Federführung von Jevgēnijs Čepoveckis um die ernsthafte künstlerische Standortbestimmung. Werke von Dmitri Shostakovich, Nikolai Afanssjew und Reinhold Glière pflegen unterschiedlichen Umgang mit der Oktett-Besetzung, was die Zusammenstellung aufschlussreich macht. Auch das Oberton String Octet ist aktuell von den Restriktionen aufgrund der Corona-Krise betroffen. Voller Sorge geht der Blick in den Sommer, wo zahlreiche Auftritte gebucht sind – beim Steirischen Kammermusik Festival wäre das Oberton String Octet gleich als Ensemble in Residence dabei. Die Ungewissheit ist im Moment sehr demotivierend. Ein Gespräch mit dem Ensemblegründer Jevgēnijs Čepoveckis.

 

Wie sind Sie von der aktuellen Situation betroffen?

Im Moment ist alles unklar. Bis Juli ist es ziemlich sicher, dass wir nicht auftreten können. Wie es dann weitergeht, wird sich hoffentlich Ende des Monats heraus stellen.

 

Wie viele Konzerte spielen Sie normalerweise im Jahr?

Als Oberton String Octet haben wir keinen regelmäßigen Konzertplan. Manchmal gibt es viele Konzerte hintereinander, dann wieder ist einige Monate Pause. Zwischendurch mache ich viel solistisch. Unsere Konzerte finden meist in Blöcken statt. Ich würde mal sagen, es sind pro Jahr circa 20Auftritte im Durchschnitt. Im Jänner und Februar konzertierten wir mehrere Wochen ununterbrochen. Ab April war Pause angesagt bis Sommer, weil ich solistisch unterwegs sein sollte. Mit dem Oberton String Octet soll es im Juli weiter gehen. Die Termine sind noch nicht komplett abgesagt. Mit Sorge schauen wir jetzt auf die Zeit danach, denn wenn es mit den Auftrittsverboten noch weiter geht, fallen im August gleich zehn Konzerte aus und das ist bitter. Diese Unsicherheit ist demotivierend.

 

Der Sommer ist für Sie die wichtigste Zeit wegen der ganzen Festivalauftritte…

Ja, wir sind ja auf vielen Festivals gebucht worden. Beim Steirischen Kammermusik Festival wären wir in diesem Jahr „Ensemble in Residence“ mit gleich fünf Konzerten. Ebenso standen der Carinthische Sommer, die Festwochen Gmunden im Salzkammergut sowie Gastspiele in Slowenien und der Ukraine auf dem Programm.

 

Da ist unschwer vorstellbar, wie Sie sich gerade fühlen…

Aber ich bin ja nicht der Einzige. Wir alle sind jetzt in der gleichen Situation, dass wir jetzt zuhause sitzen und die Zeit anders investieren müssen.

 

Wenn es das Oberton String Octet gerade nicht live im Konzert zu erleben gibt, liegt ja wenigstens eine tolle Debut-CD vor. Was bedeutet diese Veröffentlichung für die Karriere dieses jungen Ensembles?

„Slavic Soul“ ist die erste Aufnahme im Ensembles, ich sehe es aber auch als mein eigenes CD-Debut.

 

Sehen Sie die aktuelle Situation als Chance oder als Hemmnis, um die neue CD zu vermarkten?

Insgesamt ist es schwieriger, CDs zu verkaufen, weil die Mobilität beschränkt ist. Wir haben damit gerechnet, bei den Auftritten viele CDs zu verkaufen, versuchen aber auch verstärkt, den Tonträger online zu vermarkten. Ebenso bedienen wir mit einem Digital release die Streaming-Portale.

 

Was wird sich darüber hinaus ändern?

Da die Reisefreiheit extrem eingeschränkt bleibt, werden sich die Veranstalter wieder stärker auf einheimische Künstler konzentrieren. Deswegen haben wir jetzt auch vor allem den regionalen Umkreis im Blick. Wir möchten die Menschen auf uns neugierig machen. Deswegen schicken wir die CD vielen Veranstaltern in Österreich. Es ist ein Glücksfall, dass die CD noch vorm kompletten Lockdown fertig wurde.

 

Der Kauf der CD beinhaltet ja eine Benefiz-Aktion zur Unterstützung eines Krankenhauses in Italien. Hat Musikmachen einen sozialen Aspekt für Sie?

Auf jeden Fall. Unser Geiger Alberto Stiffoni kommt aus dem norditalienischen Treviso. Er hatte die Initiative, einen bestimmten Prozentsatz des Verkaufserlöses an das dortige Krankenhaus zu spenden. Man könnte sich hier fragen, warum gerade dieses Krankenhaus, wo es tausende andere gibt. Aber es war der privaten Initiative und den persönlichen Kontakten von Alberto geschuldet.

 

Jetzt mal zum Künstlerischen: Das Oberton String Octet ist stilistisch breit aufgestellt – je nach Anlass des Konzertauftritts beinhalten die Programme auch mal Pop, Tango und Volksmusik. Die CD vereint aber in stringenter Logik ein ernstes, klassisch-frühmodernes Programm. Warum?

Wir hätten auch ein „best-off“-Programm unserer erfolgreichsten Live-Stücke einschließlich Tango-Bearbeitungen machen können. Aber wir haben uns für ein klassisches Programm entschieden, weil bei einer Erstveröffentlichung alles davon abhängt, dass man sich mit dem richtigen Projekt positioniert. Vielleicht werden wir bald mal unsere Bearbeitungen aufnehmen, aber das finde ich für die zweite oder dritte Aufnahme passender. Diese CD-Aufnahme geht auf das zurück, was ich ursprünglich wollte. Alles andere Drumherum, alle Sozial- und Ausbildungsprojekte sind sehr hilfreich, um Repertoire und Bekanntheit zu erweitern. Ein rein klassisches Programm ist der Gradmesser, wie ernst man uns als Ensemble nimmt.

 

Wie kam es speziell zu dieser Werkauswahl?

Zunächst war da die Frage, was überhaupt aufnehmen. Schon wieder das Mendelssohn-Oktett? Das ist doch schon hunderttausendmal eingespielt worden! Es sollte etwas Neues sein und gut klingen. Schostakowitschs Drei Stücke für Streichoktett haben wir schon seit vielen Jahren im Repertoire. Dann haben wir Afanassjews Doppelquartett gefunden und mit großem Erfolg aufgeführt. Wir haben das Stück im Jahr 2018 überhaupt erst wieder entdeckt. Es ist sehr gut angekommen und kaum jemand hat es vor uns überhaupt gespielt. Seit letztem Sommer haben wir dann das Oktett von Reinhold Glière vorbereitet.

 

Was bedeutet der Titel Slavic Soul?

Es geht in den drei Werken um Russland. Die slawische Seele verbindet die musikalischen Zeitalter. Afanassfiew ist auf jeden Fall eine Weltpremiere. Und Glière klingt einfach schön. Mit diesen drei Programmpunkten erschien uns die Idee komplett.

 

Das Programm führt verschiedene Sichtweisen einzelner Komponisten auf die Oktett-Besetzung vor. Zum Beispiel ist bemerkenswert, dass Shostakowich die Oktett-Besetung als Vorbereitung für seine Streichquartette auffasste. Geht es um die allmähliche Konzentration aufs Wesentliche?

Ja, das kann man so bezeichnen. Bezeichnenderweise sind viele Oktetts bei vielen Komponisten Frühwerke. Von da aus sind viele Komponisten durch weitere Verkleinerung aufs Quartettformat in noch mehr Ausdruckstiefe vorgedrungen. So verhält es sich bei allen drei Komponisten hier, ebenso bei anderen Kollegen wie Mendelssohn und Enescu. Fast alle haben ihre Oktette im Alter von 15 bis 19 Jahren geschrieben. Diese Entwicklung war auch für uns die leitende Idee. Dabei haben wir immer den Willen, neues Repertoire zu verbreiten.

 

Was war an Afanassjews Prinzip der Doppelhörigkeit interessant?

Während Shostakovichs Oktett in sinfonischer Besetzung gut funktioniert, so ist Asfananiews Komposition als verdoppeltes Streichquartett konzipiert. Deswegen haben wir uns „gespiegelt“ platziert. Das macht wirklich Sinn. Denn dadurch kommt es zu einem echten Dialog mit zwei Quartetten, der ja die kompositorische Idee wiederspiegelt.

 

Das Verfahren ist eher in der alten Musik bekannt und hat im Repertoire der Neuzeit Seltenheitswert.

Ja, aber nicht nur bei Afanassjew. Die bekanntesten Dopelquartette sind von Louis Spohr. Den haben wir noch nicht im Repertoire, aber das wird sicher mal ein sehr anspruchsvolles Zukunftsprojekt werden. Spohrs Tonsprache ist viel ernster und nicht so unterhaltend wie die Stücke dieser Debut-CD.

 

Reinhold Glières Oktett legt einmal mehr die Qualität Ihres Ensembles als spielfreudiges, homogenes Kollektiv offen, ebenso die Pluralität von acht solistischen Individuen. Steht dieses Stück für die Philosophie des Oktetts?

Durchaus. Das Werk gehört zu den Lieblingsstücken der Mitglieder, weil hier jeder mehrmals die Chancen hat, etwas persönlich durch die Musik zu sagen. Aber ist ein höchst kompliziertes Werk.

 

Was muss jemand mitbringen, um im Oktett zu mitzuwirken?

Unsere Besetzung hat sich auf natürliche Art ergeben und ich hoffe, dass dies stabil bleibt. Das wichtigste ist eine gute Arbeitsstimmung und dass wir uns menschlich gut verstehen. Aber wir achten natürlich als erstes auf das Musikalische. Momentan passt bei uns alles gut zusammen.

 

Ihre Videos und die begeisterte Resonanz bei Konzerten belegen, dass Sie ganz bewusst auf Publikumsperformance achten.

Ich sage immer: Es ist so wichtig, wie es draußen ausschaut, was wir machen. Ich bin sehr emotional auf der Bühne und versuche, die anderen mitzureißen. Impulse und Gegenimpulse sind wichtig – und dass etwas zurück kommt!

 

Was für ein Lerneffekt hat Volksmusik, die Sie ja auch gerne leidenschaftlich aufgreifen?

Der Scherzosatz in Afanassjews Doppelquartett ist ein Volkstanz, also auch eine Adaptierung von Volksmusik. Das ist alles sehr spannend. Viele klassische Musik kommt aus der Volksmusik und ich finde es gut, wenn man das fühlen kann. Wir sind sehr international und kommen aus Lettland, Österreich, Italien, Slowenien, Ungarn und der Ukraine. Wir wollten einander zeigen, was es für Musik in den Heimatländern gibt. Jeder hat etwas mitgebracht. Wir haben dann adaptiert und arrangiert. Das hat unser Repertoire mächtig erweitert und wir können dies sehr wirkungsvoll auf unseren Konzerttourneen einsetzen. Es ist einfach praktisch: Wir fahren irgendwo hin, wo diese Melodie bekannt ist und haben sofort ein ideales Stück als Zugabe!

 

Jetzt nochmal eine große Frage zum Abschluss: Was kann klassische Musik den Menschen geben?

Man kann durch Musik immer etwas erzählen. Das ist das wichtigste. Auftreten ist ein Beruf, aber man darf nicht vergessen, dass man immer einen Grund haben muss, warum man auf die Bühne geht. Deswegen werde ich ganz schnell ungeduldig, wenn ich Leute treffe, die einfach nur die Noten spielen.

 

CD

Oberton String Octet

Slavic Soul

ARS Produktion 2020

 

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