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JEAN-PHILIPPE RAMEAU: NAIS – Orfeo Orchestra unter György Vasheghi

GLOSSA 2 CDs

04.04.2018 | cd

JEAN-PHILIPPE RAMEAU: NAIS – Orfeo Orchestra unter György Vasheghi, GLOSSA 2 CDs

 

Vor nicht allzu langer Zeit war er noch ein Geheimtipp, allmählich wird der ungarische Maestro zur top Nummer in Sachen (französischer) Barockmusik. Die Rede ist von György Vasheghi, der schon eine beachtliche Liste an exzellenten Einspielungen von Raritäten etwa aus der Feder Jean-Joseph Cassanea de Mondonvilles („Isbé“, „Grands Motets“) oder Jean Philippe Rameaus (Ballettoper „Les Fetes de Polymnie“) vorweisen kann. Aber auch seltene Sakralmusik des Michael Haydn (Oratorium „Der Kampf der Buße und Bekehrung“) oder von Johann Georg Lickl (Missae Solemnes in C & d) hat er im Studio aufgenommen.

 

Nun sorgt er mit der Gesamtaufnahme der Oper Naïs in Kooperation mit Müpa Budapest, der Orfeo Music Foundation und dem Centre de musique baroque de Versailles erneut für Furore.

 

Rameaus Oper „Naïs“, von der es gerade einmal zwei Gesamtaufnahmen gibt (unter der Leitung von Nicolas McGegan und Hugo Reyne), wurde am 22. April 1749 zur Feier der Vertragsunterzeichnung des sogenannten ‚Friedens von Aachen‘ an der Académie royale im Palais-Royal in Paris uraufgeführt. In London wurde zeitgleich aus diesem Anlass ein nunmehr sehr populäres Werk Händels aus der Taufe gehoben, nämlich seine Feuerwerksmusik. Naïs war ein Auftragswerk im Zuge der Beendigung des achtjährigen österreichischen Erbfolgekrieges (Österreicher und Franzosen mussten dabei gehörig Federn lassen) und feierte als „Friedensoper“ große Erfolge. Naïs markierte mit dem kurz darauf erstmals aufgeführten „Zoroastre“ den Höhepunkt von Rameaus Ruhms und seiner Karriere, auch wenn sie zu Lebzeiten des Komponisten nicht im Druck erschien.

 

Kenner Rameaus werden die bekanntere Orchestersuite aufgrund der innovativen Instrumentierung und suggestiven Ausdruckskraft zu schätzen wissen. Im Libretto von Louis de Cahusac gibt es ja allerhand lautmalerisch für bloßes Orchester, Gesang bzw. Ballett in Szene zu setzen. Kriegslärm der Titanen und Giganten im Sturm auf den Olymp, Flutwellen, sich auftuende Erdspalten, aber auch Vogelgezwitscher und eine getanzte Chaconne zu den sportlichen Wettkämpfen auf dem Isthmus von Corinth in den Disziplinen Wettlauf, Speer- und Diskuswerfen, aber auch der Dichtkunst und der Musik.

 

In der Oper geht es um die Liebe Neptuns zu Naïs. Der Gott gibt sich als Sterblicher aus, weil er um seiner selbst und nicht seiner Macht willen geliebt werden will. Naïs wiederum, denen zwei Verehrer ihre Aufwartung machen (Astérion und Télénus), weist den armen Jupiter trotz ihrer aufrichtigen Liebe zurück, um ihn vor der Eifersucht der zwei Rivalen zu schützen. Wie bei jeder Barockoper ist die Handlung wie immer Ausfluss einer allegorischen Huldigung des Königs. Wichtiger aber sind knackig theatralische, heute würde man sagen filmreife Szenen, die den Komponisten und seine Sängerschar in musikalischer Pyromanie funkeln lassen.

 

In der neuen Aufnahme arbeitet György Vasheghi wie immer mit dem stilistisch sicheren, stimmmächtigen Purcell Choir und dem schwung- und temperamentvollen Orfeo Orchestra zusammen. Mit Chantal Santon-Jeffery (Naïs), Reinoud Van Mechelen (Neptune), Florian Sempey (Jupiter, Tirésie), Thomas Dolié (Pluton, Télénus), Manuel Nuñez-Camelino (Astérion), Daniela Skorka (Flore), Philippe-Nicolas Martin (Palémon) und Márton Komáromi (Protée) steht ihm eine versierte Besetzung zur Verfügung. Wirklich faszinierend an der Aufnahme ist aber die sinnlich-fleischige Herangehensweise des Dirigenten. Bei hoher Kenntnis aller rhetorischen und rhythmischen Finessen dieser Musik schwingt Vashegi die große Theaterpranke, lässt krachende Effekte und höfisch verzierte Arietten auf den Hörer nur so niederprasseln. Eigentlich braucht da keiner mehr eine optische Zuwaage.

 

Die sehr zu empfehlende Aufnahme entstand im März 2017 in der akustisch grandiosen Béla Bartók National Concert Hall von Müpa Budapest.

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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