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JEAN-PHILIPPE RAMEAU „ACHANTE ET CÉPHISE ou LA SYMPATHIE“ – Pastorale héroique; Erato

13.11.2021 | cd

JEAN-PHILIPPE RAMEAU „ACHANTE ET CÉPHISE ou LA SYMPATHIE“ – Pastorale héroique; Erato

Weltersteinspielung mit Sabine Devieilhe, Cyrille Dubois, David Witczak und Judith van Wanroij

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270 Jahre lang war es still um diese französische Barockoper zwischen Mythologie und Märchen. Wie viele andere anlassbezogene „Gelegenheitswerke“, die von herausragender musikalischer Qualität waren, ist es unter die Räder der dummen Vorurteile geraten, die davon ausgingen, dass Komponisten ihre besten Inspirationen nicht gerade an kurzfristig bestellte Auftragswerke verschwendeten. Was für ein Irrtum. Schon die Ouvertüre – wie eine sinfonische Dichtung konzipiert – gehört zum Besten und Kühnsten, was Rameau je geschrieben hat. Wie da die Kanonen krachen, die Feuerwerksraketen in allen Farben sprühen und die illuminierten Rathausglocken läuten, ist samt der finalen feierlichen Fanfare mit Oboen, Trompeten und Trommeln ein Fest für jedes Ohr. Wenn wir nicht wüssten, dass die Musik pures 18. Jahrhundert reflektiert, könnte glatt davon ausgegangen werden, dass es sich um experimentelle neoklassische Musik des 20. Jahrhunderts handelt.

Die heroische Pastorale „Achante et Céphise“ auf ein Libretto von Jean François Marmontel war zur Feier der Geburt des Prinzen Louis-Joseph-Xavier (13.9.1751) bestimmt, einem Thronerben, der von seinem Großvater Louis XV. zum Herzog von Burgund ernannt wurde. Es ist das erste Opernwerk, das auf einen Prolog verzichtet und in drei Akten ein gleichnishaftes Bühnenspektakel mit üppigen Dekorationen und verblüffenden technischen Effekten abwickelt.

Damit die Oper nicht allzu sehr im Pastoralen verharrt, dafür sorgt schon der barbarische Charakter des Genius der Luft Oroés (David Witczak), der Céphise (Sabine Devieilhe) nicht nur in Heiratssachen mächtig bedrängt. Dass wiederum das Drama nicht die Huldigung verdrängt, dafür sorgen die vielen Divertissements, die den Nebenfiguren, dem Chor und den Tänzern anvertraut sind. Sie mögen zwar die Handlung verlangsamen und und bisweilen mehr einem Konzert ähneln, aber sie haben eine theatralische Funktion  und werden zu echten Pantomimen, die die Handlung verdeutlichen. Auf jeden Fall  ist das Stück mit den allerbesten Rameauopern vergleichbar. 

Inhaltlich spielt neben einem Armband, das jeden der beiden Liebenden Achante und Céphise genau das spüren lässt, was der andere fühlt, ein besonderer Tag eine ganz wichtige Rolle. Ab dem schicksalhaften Tag, wo alle Herzen Amor danken werden, unterliegt der hormongesteuerte Luftikus Oroé endlich der Macht der guten Fee Zirphile (Judith van Wanroij) und das Liebespaar ist endlich vereint. Sie haben richtig geraten, wenn Sie meinen, dass der Termin genau mit dem Geburtstag des Baby-Royals zusammenfällt. Bis dahin müssen Achante und Céphise viel Beschwerliches über sich ergehen lassen. Sie werden ins Gefängnis geworfen und gefoltert, dann lässt Oroé alle beide von den Nordwinden entführen, um sie in der öden Wüste auf zwei gegenüberliegenden, durch einen Abgrund getrennten Felsen anzuketten. Schließlich erscheint Oroé auf einem Drachen, umgeben von bösen Geistern. Bevor das Herzchen Oroé das Paar erstechen kann, werden Achante und Céphise von der Fee befreit. Geburtstag ist. Die Ankunft des  süßen kleinen Bourbonen wird mit viel Lärm unter dem Slogan „Es lebe das Geschlecht unserer Könige“ huldreich besungen. 

Die Aufnahme stützt sich auf die wissenschaftliche Ausgabe der Partitur im Verlag Billaudot aus dem Jahr 1996. Alexis Kossenko, mittlerweile eine bedeutende Persönlichkeit in der Alten Musik Szene, ist mit seinem auf historischen Instrumenten Orchester flott aufspielenden „Les Ambassadeurs – La Grande Écurie“, genau der richtige Mann, um die temporeiche und rauchhaft-exotische Musik voller Begeisterung für das Genie des Herrn Rameau wieder aufblühen zu lassen. Kossenko und sein erstklassiges Solistenensemble – als Chor ist auch „Les Chantres du Centre de musique baroque de Versailles“ mit von der Partie, küssen die fantastische Oper, die nach 14 Aufführungen im Orkus der Geschichte verschwand, mit seinen reichen Klangfarben und schrägen Harmonien, mit den komplexen Rhythmen und drastischen Effekten quicklebendig aus dem langen Dornröschenschlaf wach. Für alle, die französische Barockopern lieben, ein unverzichtbares Album.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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