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JEAN MULLER, Pianist, über seine neue Einspielung der Mozart-Sonaten

27.03.2019 | Instrumentalsolisten

Zutiefst menschlich und zeitlos

Gespräch mit dem Pianisten Jean Muller über seine neue Einspielung von Mozarts Klaviersonaten

Bildergebnis für jean muller mozart sonaten

Wolfgang Amadeus Mozarts Meisterwerke werden oft als Begriff des „schönen“ verklärt und verkaufen sich daher vortrefflich. Wer eine neue Einspielung vorlegt, reiht sich gemeinhin in eine große Konkurrenz anderer Kollegen, die eitel um ihre „Interpretation“ wetteifern. Hört man die neuen Einspielungen des luxemburgischen Pianisten Jean Muller, dann scheint hier jemand wieder für mehr Sachlichkeit zu appellieren und den Blick wieder auf den Notentext, auf das von Mozart gesagte und gewollte zu lenken. Ebenso will sich der dramatische Aspekt wieder mehr Gehör verschaffen. Jean Muller verfolgt hier ein klares Anliegen: Konsequent den genialen Komponisten von allen „Touristen-Klischees“ befreien und zum Wesenskern vordringen – darum geht es!  Soeben ist die erste von geplant 5 CDs erschienen – aufgenommen hat der Luxemburger aber schon alle 18 Sonaten plus der c-Moll-Fantasie. Fürs Planen, Reflektieren, Erarbeiten und Durchdenken „erlaubte“ sich Jean Muller ganze fünf Jahre. Und nahm sich viel Zeit für ein tiefgehendes Gespräch mit Stefan Pieper für den Online-Merker.

 

Ihre bisherigen Projekte machen deutlich, dass Sie gerne tief eintauchen und in langen Zyklen arbeiten! 

 

Das ist richtig, auch wenn es zwischendurch kleine „Zwischen-Projekte“ zum Atemholen gibt. An meinem Mozart-Programm bin ich nun schon fast 5 Jahre dran. Die eigentliche Aufnahme ging jedoch in gerade mal zwei Sessions über die Bühne, in denen ich für die geplanten 5 CDs sämtliche 18 Sonaten aufgenommen habe. Man glaubt gar nicht, wie viel Zeit viele Prozesse um das eigentliche Spielen herum brauchen – vor allem die aufwändige Postproduktion jeder einzelnen CD!

 

Die erste CD präsentiert Sonaten aus verschiedenen Schaffensphasen. Warum gehen Sie nicht chronologisch vor bei der Edition?

 

Ich favorisiere einen klaren Ansatz: Jede CD soll ein komplettes, in sich geschlossenes Bild liefern und eben nicht wie ein Band einer Enyklopädie sein. Wichtig ist mir ein stimmiges Programm durch verschiedene Stile aus dem Früh-, Mittel und Spätwerk. Auch kommt es mir auf viele abwechslungsreiche Tonartwechsel an, dass eben nicht zu viele Stücke in einer Tonart nacheinander kommen.

 

In welcher Rolle sehen Sie sich als Interpret?

 

Ich sehe mich vor allem in der Verpflichtung, Mozart von allen überladenen Klischees zu befreien und mich umso gründlicher mit der Partitur zu beschäftigen. Denn diese ganzen Mozart-Verklärungen, all der Touristenkitsch mit Mozartlikör und -kugeln und den gepuderten Perücken ist grundfalsch, also auch diese ganze Überhöhung des rokokohaft-Lieblichen. Dem steht bei mir vor allem das Dramatische gegenüber. Mozart war ein Opernkomponist und hat die Oper sogar neu erfunden. Er hatte ein ausgeprägtes dramatisches Gespür in der Musik. Vor allem dies will ich aus der Partitur heraus arbeiten – und das ist oft etwas ganz anderes, als was in der allgemeinen Vorstellung herumgeistert.

 

Schön, dass mir beim Hören Ihrer Interpretation auf Anhieb diese Gedanken kamen. Sie arbeiten Strukturen heraus. Man kann vorm inneren Auge fast den Notentext lesen.

 

Das ist mein Hauptanliegen. Ich möchte erlebbar machen, was innerlich lebendig ist. Mein Interpretationsansatz ist kein konservativer, sondern ein belebender. Ich will der Musik nichts museales geben, sondern den wahren Gehalt, der zutiefst menschlich und zeitlos ist, zum Ausdruck bringen. 

 

Mozarts einprägsame Melodien haben die Eigenschaft, sich nachhaltig im Kopf festzusetzen und noch lange nach dem eigentlichen Anhören der CD zu wirken. Wie geht es Ihnen mit so etwas?

 

Das ist ein Aspekt dieser Musik, aber auch meiner Arbeit. Die Musik spielt im Kopf nachher und vorher weiter und ein Stück läuft im Unterbewusstsein ab.

 

Mozart war zeitlebens ein junger Reisender, der viele Einflüsse einbringt. Welche Details fasziniert Sie besonders in den Sonaten auf der neuen CD?

 

Das ist gar nicht so einfach, hier Details zu benennen. Denn diese fließen in ein Gesamtbild ein, in dem diese Einflüsse ein organisches Ganzes mit so viel Leichtigkeit bilden. Großen Einfluss hat auf jeden Fall die italienische Oper, aber auch die Bach-Familie – vor allem Johann Christian Bach. Da lebt ein hohes Talent für Drama und Kontraste und für das Charakterisieren von Personen. In der A-Dur Sonate vor dem türkischem Marsch gibt es einen Ländler, der fast schon Schubert vorweg nimmt. Das hat Schubert sicherlich sehr gut studiert.

 

Mozart hat ja auch gerne provoziert. Was finden Sie hier in den Sonaten wieder? 

 

Es werden Sonatenhauptsatzformen ignoriert. Es ist faszinierend, mit welcher befreiter Fantasie er Variationen gestaltet. Da sehe ich auch eine Paralelle zu Bachs Goldberg-Variationen. Der berühmte türkische Marsch fristet ein Ausnahmedasein. Ich finde übrigens, er ist viel effektvoller, wenn er im Gesamtzusammenhang der Sonate und nicht als freistehendes Stück gespielt wird. Der dialektische Bezug ist wirklich spannend hier. Erfrischend provokant empfinde ich in der B-Dur-Sonate den letzten Satz mit seinem beißenden Humor, der mich fast schon an Prokoffiew erinnert.

 

Dass sie alles gerade in gerade zwei komprimierten Aufnahmesessions einspielen konnten, zeugt von echter Konzentration. Wie ist so etwas möglich?

 

Das hat viele Gründe. Ich möchte die Spannkraft erhalten. Das ist die beste Voraussetzung, um tief einzutauchen. Es ist gut, viel Zeit zum Spielen zu haben, aber es kommt darauf an, sich nicht zu verzetteln. Es besteht eine große Gefahr, bei der Aufnahme ein Stück immer wieder zu spielen und dann keine Frische mehr drin zu haben. Das wichtigste ist, dass der Prozess lebendig bleibt. Ich strebe beim Spielen an, dass ich voll präsent bin. An diesem Ideal habe ich jahrelang gearbeitet. Wenn ich spiele, muss es auf den Punkt kommen. Dann bin ich auch nicht mehr überrascht, wenn ich hinterher meine eigene Aufnahme höre. Man muss es schaffen, sich voll und ganz selbst zu stellen beim Hören. Wenn das gelingt, bin ich auch hinterher nicht mehr überrascht beim Hören. Denn dann hat es völlig überein gestimmt mit dem, was ich im Gedächtnis habe. Ich versuche durchaus, das Werk in verschiedenen Fassungen unterschiedlich zu beleuchten. Ich möchte sehr viele Aspekte hinein bekommen. Schließlich soll die Aufnahme auf einer CD auch mehrmaligem Hören standhalten, während eine Konzertinterpretation nur einen einzigen Moment braucht, um überzeugend zu sein.

 

Lesen Sie zur Vorbereitung nur die Partitur oder beschäftigen Sie sich auch mit anderen Einspielungen?

 

Ich habe viele Einspielungen gehört. Besonders beschäftigt habe ich mich zum Beispiel mit Pires, Gulda und Barenboim. Mit Eschenbach und Gieseking. Da kommt schon einiges zusammen.

 

Wie sehr strahlen Ihre Erfahrungen mit Bachs Goldberg-Variationen jetzt auf dieses Mozart-Projekt? Ich sehe vor allem den architektonischen Aspekt, den Sie aus der Musik herausarbeiten, als ein auffälliges Bindeglied.

 

Ich möchte vor allem Klang-Zeit-Strukturen bauen. Das übergeordnete ist mir wichtig. Das Werk an sich soll funktionieren und vom ersten Ton an laufen. Eben so, dass es vom ersten bis zum letzten Ton einen Bogen macht. Musik ist Architektur in der Zeit.

 

Eine CD-Aufnahme ist ja immer Teamarbeit. Was war hier besonders wichtig?

 

Mein Produzent Marco Battistella und ich sind uns sehr einig in minimalistischer Herangehensweise. Wir nehmen uns viel Zeit für das Setup, was mit gerade zwei Mikros auskommt.

Daniel Brecht, mein Klavierstimmer ist ein hervorragender Techniker, der genau versteht, was man als Pianist gerne hätte. Auf diese Weise stellt das Instrument kein Problem mehr dar, sondern ist umso mehr eine Inspirationsquelle. Bei Bach wollten wir eher in Richtung Cembalo gehen und wir haben alles sehr nah aufgenommen. Das Cembalo hat in jeder Note einen klaren, energetischen Impuls, den man erst herstellen muss. Bei Mozart sind wir luftiger vorgegangen und haben die Mikros weiter weggestellt. Hier ist viel mehr Klangentwicklung im Spiel. Trotzdem kommt es vor allem auf das Artikulatorische an, was ja auch beide Komponisten verbindet.

 

Sie haben sich viel mit Romantik beschäftigt, haben dann Beethovens Sonaten eingespielt und im vorletzten Jahr gab es ein großes Bach-Projekt. Warum erst jetzt Mozart?

 

Ich habe mich früher nicht so stark für Mozart interessiert und komme jetzt nach und nach auf den Geschmack. Das hat mich mit 20 nicht so gereizt, da war Liszt, Chopin und Beethoven aufregender. 2014 bin ich nochmal mit Liszts Etuden auf Tour gewesen. Das markierte gewissermaßen das Ende meiner Jugendzeit. Vor der Bachaufnahme erfolgte dann die große Zäsur. Für Mozart hat mir bislang immer diese Detailverliebtheit gefehlt, die es braucht, damit Mozarts Musik diese unglaubliche Frische bekommt. 

 

Was ist heute anders als früher?

 

Ich wollte die „Sturm- und Drangzeit“ jetzt abschließen. Es gab nochmal ein Zwischenprojekt mit Ligeti und Prokoffjiew. Bach war der neue Anstoß in eine andere Richtung. Weg vom rein Pianistischen und von der Virtuosität. Hin zu mehr Gestaltung und Vertiefung.

 

Schön, dass man sich in diesem Beruf immer neu erfinden kann. Da zeigt sich das Leben als Wachstumsprozess sehr unmittelbar!

 

Absolut. Wenn ich mich nicht weiterentwickele, entwickele ich mich zurück. Es gibt daher nur eine Richtung. Wenn ein guter Klavierabend geglückt ist, kann man dieses Gefühl in dieser Form nicht nochmal wieder herstellen, denn so etwas ist etwas einmaliges gewesen. Es geht immer nur nach vorne weiter.

CD:

Jean Muller

 Mozart

Piano Sonatas Vol. 1

KV 281

KV 331

KV 332

KV 570

 Jean Muller, Klavier
Hänssler Classic 2019

 

 

 

 

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