JAROMIR WEINBERGER: WALLENSTEIN – ORF Radio-Symphonieorchester Wien, Live Mitschnitt aus dem Wiener Konzerthaus vom 15. Juni 2012; cpo 2 CDs
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Der Prager Komponist Jaromir Weinberger erweist sich auch in Wallenstein als der nach wie vor unterschätzte Meister eines persönlich eklektischen Stils, der mit der romantisch wirkungsvollen Märchenvolksoper „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“ wohl seinen einzigen andauernden Bühnenerfolg einfahren konnte. Bis Anfang der 30-er Jahre wurde Schwanda über 2000 mal aufgeführt und in 17 Sprachen übersetzt, die deutsche Fassung stammt immerhin von Max Brod.
Die berühmte Trilogie von Friedrich von Schiller diente Weinberger als Vorlage einer stark komprimierten Musiktragödienschöpfung in sechs Tableaus, uraufgeführt 1937 an der Wiener Staatsoper mit Alfred Jerger in der Titelpartie. Gespickt mit aufführungstechnischen Schwierigkeiten konnte sich diese grosso modo schöne Oper auch nach dem Krieg nicht durchsetzen (Weinberger musste, um sein Leben zu retten, 1938 in die USA emigrieren). „Neben einem großen Chor und Orchester kommen noch zahlreiche Bühnenmusiker hinzu, die wiederum in drei Gruppen aufgeteilt sind, bis hin zu einer Tafelmusik mit Cembalo, einer großen Militärkapelle und Trompeten. Weinberger lässt in jedem der sechs Bilder einen anderen Stil zur Geltung kommen, dabei reicht seine schier unbeschreibliche Vielfältigkeit von der Operette, der Atonalität, Klänge der Volksmusik bis hin zum romantisch verästelten Kontrapunkt, wodurch man fast den Eindruck bekommt, es handele sich um mehrere Komponisten“, so der RSO Wien-Chefdirigent Cornelius Meister. Weinbergers Musik ist tatsächlich ein exzentrisches Destillat aus unterschiedlichen Musikströmungen, die zur Zeit der Entstehung angesagt waren. Spätromantisch veristische Opulenz mischt sich in böhmisch folkoristische Harmonien. Zudem hinterließ auch alles, was die Expressionisten an klanglich irisierenden Reizen zu bieten hatten (vgl. Richard Strauss, Zemlinsky) in Weinbergers Historienwerk seine Spuren. Die textbezogen knappe Geste in accompagnato-rezitativischer Klangrede fließt über zu pathetischem Cinemascope, das wiederum zur tragikomisch operetten- bzw. musicalhafter Gefühligkeit wechselt. Nicht primär die psychologische Tiefe der Figuren ist es, für die sich Weinberger interessiert, sondern ähnlich wie später Sergej Prokofiev bei „Krieg und Frieden“ die Gesamtschau, das große Panorama, das mit breitem Pinselstrich gemalte musikalische Fresko.
Im Zentrum der konzertanten Aufführung stand Roman Trekel als Wallenstein. Mit elegantem Kavaliersbariton hinterlässt er als glückloser, am Ende der Oper von Buttler ermordeter Feldherr im dreißigjährigen Krieg, einen starken Eindruck. Auf gleich hohem Niveau ist die Thekla der Martina Welschenbach zu erwähnen. Dem restlichen Ensemble, deren Protagonisten bis zu vier Rollen übernehmen mussten, beginnend mit Ralf Lukas (Octavio Piccolomini, Dragoner, Kapuziner), Daniel Kirch (Max Piccolomini), Dagmar Schellenberger (Gräfin Terzky), Roman Sadnik (Graf Terzky), Edwing Tenias (Ilia), Georg Lehner (Buttler), Benno Schollum (Wrangel, Wachtmeister), Dietmar Kerschbaum, Oliver Ringelhahn, Claudia Goebl und Johannes Schwendinger gebührt pauschaler Dank für ihr Bemühen um vokal Charakterisierung und bedingungslosem Einsatz. Das ORF Radio-Symphonieorchester und die glorreiche Wiener Singakademie (Einstudierung Heinz Ferlesch) bieten große Klasse und jene oftmals beispiellose Intensität, die Wien als genius loci der Oper auszeichnet. Die deutsche Erstaufführung des Weinbergerschen Wallenstein fand übrigens szenisch 2009 in Gera statt.
Das Klangbild ist direkt, die Abmischung geht tendenziell zugunsten der Stimmen. Zum Kennenlernen einer musikalisch durchaus reizvollen, höchst abwechslungsreichen Oper fern aller 08/15 Spielpläne ist die vorliegende CD sehr zu empfehlen.
Dr. Ingobert Waltenberger