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J.S. BACH: H-MOLL MESSE – Les Arts Florissants, William Christie; Live Aufnahme aus der Pariser Philharmonie vom September 2016, harmonia mundi, 2 CDs

23.04.2018 | cd

J.S. BACH: H-MOLL MESSE – Les Arts Florissants, William Christie; Live Aufnahme aus der Pariser Philharmonie vom September 2016, harmonia mundi, 2 CDs

 

Leicht federnd, träumerisch mäandernd und flott kommt diese h-moll Messe daher. Jedenfalls bricht die Reifesicht Christies mit vielen Hörgewohnheiten. „Wenn ich an dieses außergewöhnliche Kaleidoskop von Bachs Musikstilen denke, kommen mir Worte in den Sinn wie Ehrfurcht, Tiefgründigkeit, Ernst und Hochherzigkeit, aber auch eher diesseitig-säkulare Begriffe wie Brillanz, Leichtigkeit, Bewegung, Ausgelassenheit und Verspieltheit“ so gibt der Dirigent selbst die Leitlinie seiner Interpretation vor. 

 

Tatsächlich folgen Orchester und Chor von „Les Arts Florissants“ den Anweisungen des Chefs aufs Wort. Ich kann mich sehr mit der gläsernen Transparenz, den „keusch“ gesungenen Chören und dem jeglicher Erdenschwere enthobenen Orchesterstil anfreunden, die Temporegie hingegen scheint mir in ihrer überwiegend rasenden Gangart in ihren Proportionen genau so überzogen wie so manche von Christie zu Recht kritisierte Aufführung in der Vergangenheit, wo mit übertrieben langsamen Tempi gespielt und gesungen wurde von einer übertrieben großen Zahl von Musikern.  

 

Auf der Habenseite der Live-Einspielung steht die schweizeruhrenartige Präzision, das homogene Solistenquartett (Katherine Watson Sopran, Tim Mead Alt, Reinoud Van Mechelen Tenor, André Morsch Bass) sowie die hörbare Lust am Experiment. Ob allerdings der permanente dynamische Druck, das Vorwärtsdrängen, ja -hasten, egal ob in den Soli, Duetten oder Chören genug Raum für Spiritualität geben, möge jeder selber für sich entscheiden. Mir geht als Zuhörer bei dieser Interpretation manchmal selber der Atem aus. William Christie wollte mit der Aufnahme eine menschlichere Seite von Bachs Kunst zeigen, eine kraftvolle Affirmation des Humanismus, der Erhöhung des Menschen und seiner Errungenschaften. Das Tänzerische und der jazzige Schwung gefallen, lassen aber – wie schon gesagt – kaum Raum für Ruhe oder für Momente der Kontemplation. Das neue Album hinterlässt daher gemischte Gefühle.

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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