Isabel Leonard: Man muss sich strecken, um zu wachsen!
(Februar/März 2018 / von Renate Publig)
(Isabel Leonard © Dario Acosta)
Gut gelaunt und voller Elan betritt Isabel Leonard das Interviewzimmer, eben hatte sie eine Probe zu Rossinis „La Cenerentola“ absolviert (im Februar übernahm sie an der Wiener Staatsoper die Titelpartie). Ihr Sohn wartet bereits auf sie, dennoch nimmt sie sich viel Zeit, um manchmal ernst, manchmal mit Schalk im Nacken Fragen zu beantworten. Die Mezzosopranistin begann erst eine Ballettausbildung, doch Profitänzerin wollte sie nie werden. Dennoch wusste sie bereits als Kind, dass es ein Bühnenberuf werden sollte. Auch wenn sie das damals niemandem anvertraut hatte, dazu war sie zu schüchtern. Die Grammy-Award-Gewinnern gab bereitwillig Auskunft über ihre Ansichten zu Märchen, Hosenrollen und zu Stellenwert und Relevanz von Oper in der heutigen Zeit.
Frau Leonard, an der Wiener Staatsoper stehen Sie als Angelina in Rossinis „La Cenerentola” auf der Bühne, eine Ihrer Paraderollen. Cenerentola – Aschenputtel – benötigen auch Erwachsene noch Märchen?
Gute Frage – brauchen Erwachsene noch Märchen? Viele Menschen leben in Hoffnung – auf einen besseren Job, einen guten Tag, Hoffnung ist lebenswichtig für Menschen und für die Menschlichkeit. In Märchen erleben wir, wie sich Hoffnungen und Träume erfüllen; dass es also nicht umsonst ist, zu hoffen. Insofern ist ein Märchen alles andere als kindisch und dumm.
Angelina ist eine liebenswerte, warmherzige Figur. Böse Rolle darzustellen, ist vergleichsweise einfach, eine lustige Figur zu verkörpern schon etwas schwieriger; aber wie bringt man ein „liebes“ Mädchen auf die Bühne, sodass sie trotzdem zur Hauptfigur wird?
In unserer Gesellschaft lernen wir, dass „nett und unkompliziert“ als Schwäche ausgelegt wird. Dabei ist das Gegenteil richtig, es erfordert eine enorme Willenskraft, in einer Situation nett zu bleiben, in der man viel lieber ausrasten möchte. Frauen erleben das am Arbeitsplatz – leider noch immer! Das muss thematisiert werden, doch in Form von konstruktivem Dialog und nicht aus Sensationsgier.
Um zu Cenerentola zurückzukehren: Ihr kann eine Situation gefallen oder missfallen, aber sie versteht, dass sie ihr in diesem Augenblick leider wenig Handlungsspielraum bleibt. Doch sie ist unerschütterlich in ihrer Hoffnung und ihrem Glauben an ein gutes Ende. Zum Glück trifft das auch ein! Mit „gutem Ende“ meine ich nicht in erster Linie, dass sie ihren Prinzen gefunden hat. Sondern dass sie nun sie ihren Platz hat, wo sie geben kann, was sie möchte, aber auch dafür belohnt wird. „Gegenwerte” sind dabei nicht so sehr bedeutend, sondern Belohnung im Sinne von Wertschätzung.
Vor Ihrem Gesangsstudium erhielten Sie über einige Jahre eine Ballettausbildung. Dachten Sie jemals daran, Profitänzerin zu werden?
Nein, zu meiner Mutter sagte ich immer: „Ich werde nie Tänzerin!“ (lacht) Mein Training erstreckte sich über einen längeren Zeitraum, aber ich wusste sofort, dass ich körperlich nicht dem Ideal einer Prima Ballerina entspräche, als Balanchine-Tänzerin wäre ich nie durchgegangen. … vielleicht hätte mich Alvin Ailey genommen, für Modern Dance? (lacht)
Was hat Sie veranlasst, Gesang zu studieren?
Bereits als Kind wusste ich, dass ich auf einer Bühne stehen wollte, was ich jedoch niemandem erzählte. Als Kind war ich extrem schüchtern! Ich weiß auch nicht mehr, wie ich überhaupt auf die Idee kam.
Das Wunderbare am Singen ist für mich, die Welt des Theaters zu betreten: In eine andere Rolle zu schlüpfen, sich in einer Geschichte zu „verlieren”. Nicht den Anspruch zu haben, dass jeder Ton perfekt ist, denn den Fokus darauf zu legen, würde es besonders in unserer heutigen Zeit der Perfektion sehr schwierig machen. Mir geht es darum, Geschichten zu erzählen!
Sie verfügen über einen bemerkenswerten Tonumfang …
…an manchen Tagen. An anderen wiederum … (imitiert ein paar wackelige tiefe Töne und lacht)
… nun, eine Ihrer Rollen, die Elvira in Mozarts „Don Giovanni“ wird üblicherweise von einem Sopran gesungen.
Sopran oder Mezzosopran – der Hauptunterschied liegt meiner Meinung nach in der Klangfarbe. Wer nur bis zum „a” kommt, kann natürlich nicht Gilda singen. Oder Königin der Nacht – mit 10 Jahren hatte ich den Tonumfang hatte ich, da kam ich bis zum „f“– aber Kinder können das eben! An guten Tagen wärme ich mich gerne bis zum „d“ auf, ein gutes Gefühl, noch „Luft nach oben” zu haben.
Jeder Tag ist anders, und je älter man wird, umso mehr scheint der Körper seinen eigenen Willen zu haben. An manchen Tagen fragt man seinen Körper: „Hey, was machst du? Kannst du bitte mal auf mich hören?” – und man bekommt zur Antwort: „Nein, heute mag ich nicht!” (lacht)
In Ihrem Repertoire finden sich zahlreiche Hosenrollen. Ihre Wandlungsfähigkeit ist beeindruckend, wie es Ihnen gelingt, trotz Ihrer femininen Ausstrahlung diese jungen Männer zu porträtieren. Einer der Gründe mag darin liegen, dass Sie bei Ihren Bewegungen nicht übertreiben. Ist das noch ein Vorteil Ihrer Ballettausbildung?
Diese Art von Training verhilft tatsächlich zu einem besseren Körperbewusstsein. Im Ballett lernt man, eine Geschichte mit Hilfe des Körpers zu erzählen. Gefühle nicht nur über die Mimik, sondern über den Körper auszudrücken, hatte sicher eine Auswirkung auf mein Schauspiel, auf meine Kommunikation.
Mir ist wichtig, Bewegungen und Spiel so einfach und so natürlich wie möglich zu halten, sonst wird die Rolle zur Karikatur. Die Bewegungen von Männer und Frauen sind unterschiedlich, doch sobald man sie in die gleiche Kleidung, die gleichen Schuhe steckt, schmelzen die Unterschiede, ganz besonders, je jünger die Menschen sind. Cherubino ist ein junger Bursch. Wenn ich mir meinen Sohn ansehe … er bewegt seine Hüften, weil er es kann und weil die Gesellschaft ihm nicht erklärt hat, dass er das nicht darf. Da sind wir wieder dabei, dass vieles von der Gesellschaft diktiert wird, auch, wie man sich zu bewegen hat!
Ich versuche für mich, so zu spielen, dass das Publikum gar nicht darüber nachdenkt, dass hier eine Frau auf der Bühne steht, die einen Mann spielt.
(Leonard als Cherubino © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn)
Cherubino – mit dem Sie hier in Wien 2011 debütierten … eine Frau, die einen Mann darstellt, der sich als Mädchen verkleidet – wie gelingt es, diese Partie zu singen ohne therapeutische Betreuung?
Das kann wirklich sehr verwirrend sein. (lacht) Aber der Schlüssel liegt für mich wieder in der Einfachheit: Cherubino ist ein Junge, also bin ich ein Junge. Alles andere sehe ich also aus der Perspektive eines jungen Mannes. Und wenn ich als Cherubino mit den Damen flirte, dann auf ganz natürliche Weise, denn im Stück ist klar, dass von Cherubino keine Gefahr ausgeht – deshalb lieben ihn alle Damen!
Musik, sagt man, ist die beste Medizin für die Seele. Stimmt das Ihrer Meinung nach?
Musik regt meiner Meinung den Instinkt an. Babys und Tiere reagieren auf Musik auf viele unterschiedliche Arten. Musik ist Vibration, die sich auf Wasser überträgt – und der Mensch besteht zu rund 70% aus Wasser! Es wäre also absurd, anzunehmen, dass wir Menschen auf diese „Vibrationen” nicht reagieren.
Wir wachsen mit einer bestimmten Tonalität auf, die zu einem Pool unserer Sozialisation wird. Wenn wir mit anderen, für uns ungewöhnlichen Klängen konfrontiert werden, ruft das wieder Reaktionen hervor – entweder Ablehnung, weil nicht immer alles passen kann, oder wir sind neugierig!
Sie treten in vielen heiteren Opern auf, andererseits auch in tiefgehenden wie „Les Dialogues des Carmélites“ von Francis Poulenc, die nächste Saison an der MET aufgeführt wird (und in HD in Kinos übertragen wird). Was liegt Ihnen näher?
Mir hilft mein eigener Mechanismus: Wenn ich in einer Komödie spiele, habe ich die Tragödie im Hinterkopf und umgekehrt, als kleinen Ausgleich. Komödie ist dann großartig, wenn sie echt ist. Es macht natürlich Spaß, von Zeit zu Zeit Unfug zu machen – das sollte aber nicht der Fokus sein. Denn eine gute Komödie funktioniert dann, wenn in einer eigentlich ernsten Situation etwas Unerwartetes passiert. Kein Stück kann immer nur lustig sein, der Effekt ist eben die Überraschung! Das gilt umgekehrt auch für die ernsten Werke. Wenn ein Stück immer nur ernst und tragisch ist, nutzt sich das ab. Wenn von Beginn an lediglich eine Stimmung herrscht, ist es unmöglich, diese bis zum Schluss zu halten, ohne dass es langweilig wird – für das Publikum ebenso wie für die Darsteller. So wie in der Musik unterschiedliche Dynamiken erst die Würze sind – es wäre furchtbar, würde alles im Forte oder im Piano gesungen werden! Und ich liebe diese Hochschaubahnen der Gefühle, dann wird das Stück erst lebendig.
Ein Stück wie „Dialogues des Carmélites” ist natürlich etwas Besonderes. Diese Werke haben etwas Kathartisches, Reinigendes. Um eine Rolle wie die Blanche zu singen, muss ich etwas finden, was mit mir zu tun hat, was mich mit dieser Figur verbindet. Blanche ist so verängstigt. – das ist eine Herausforderung, eine Figur zu verkörpern, die derart verunsichert ist, und gleichzeitig jedoch in mir eine Sicherheit als Darstellerin zu tragen, ohne die ich nicht auftreten könnte!
Für mich ist auch wichtig, dass die Figuren eine Entwicklung erfahren. Blanche, die komplett verunsichert ist … und im Angesicht des Todes zu ihrer Kraft findet. Oder Cherubino, der zu Beginn alles andere als schüchtern ist, im Laufe des Stücks aber erwachsen wird und wenigstens in Grundzügen lernt, Verantwortung zu übernehmen.
Gibt es Unterschiede in der Auffassung von Humor, wenn Sie beispielsweise Chreubino in Wien, in London oder in New York gestalten?
Absolut. Das musste ich besonders in meinen ersten sechs Jahren lernen! Das amerikanische Publikum lachte über Dinge, die die Zuhörer in Frankreich überhaupt nicht lustig fanden. Französische, englische oder amerikanische Komödie unterliegen unterschiedlichen Gesetzen, also musste ich verschiedene „Techniken” lernen. Die Amerikaner lieben Slapstick oder „Straight Comedy”, die Briten hingegen haben einen staubtrockenen Humor, können aber zur gleichen Zeit richtig absurd sein. Es macht unglaublich Spaß, im Laufe der Vorstellung die Nuancen herauszufinden. Mit der Rolle des Cherubino bin ich zu 100 Prozent vertraut, da versuche ich zu Beginn des Abends herauszufinden, worauf das Publikum an diesem Abend anspringt. Das macht es so lebendig, deshalb können mir diese Partien nie langweilig werden, weil ich sie in jedem Land anders anlege!
Leonard Bernstein würde heuer seinen 100. Geburtstag feiern. Stimmt es, dass Sie die Maria in der „West Side Story“ singen werden?
Ich sang die Partie in einem Konzert mit dem Philadelphia Orchestra unter Yannick Nézet-Séguin. Eine wunderbare Erfahrung, und ich hoffe, dass ich diese Rolle noch einmal singen darf, bevor ich zu alt dafür werde! (lacht) Heuer gestalte ich zudem einen All-Bernstein-Liederabend, an den Arien arbeitete ich mit Michael Tilson Thomas in San Francisco!
Sie spielten zwei Solo-CDs ein, beide mit spanischem Liedrepertoire. Erst unlängst erschien Ihre CD „Alma Española” mit einer Auswahl der berühmten „Lorca-Lieder“ – im Grunde eine Sammlung von Volksliedern. War es eine große Herausforderung, für dieses Repertoire den richtigen „Ton“ zu finden?
Das Wichtigste ist, sich selbst, sprich, die eigene Stimme zu präsentieren. Man ändert nicht künstlich die Tonqualität, wenn man unterschiedliches Repertoire singt, das wäre sehr ungesund für die Stimme. Es geht um unterschiedliche Klangfarben, und die erzielt man schon durch die andere Sprache. Mit dem spanischen Repertoire bin ich sehr vertraut, meine Mutter stammt aus Argentinien, ich spreche Spanisch!
Wird es eine CD mit argentinischen Liedern geben?
Das würde ich gerne machen, aber wenn ich eine weitere CD in spanischer Sprache herausgebe, verdrehen die Leute die Augen und meinen: „Ach, Isabel, muss das jetzt wirklich sein?” Als Sänger muss man immer Neues anbieten!
Auf der anderen Seite erscheint eine „Winterreise” nach der anderen auf CD …
Der Musikmarkt unterliegt schwierigen Gesetzen, darüber unterhielt ich mich erst gestern mit Kollegen. Wir sind ständig im Fokus der Kritik! In den „guten alten Zeiten” konnte José van Dam 2000 Mal Figaro singen und alle hätten gejubelt. Wenn ich in vier Produktionen hintereinander die gleiche Rolle singe, rümpft das Publikum die Nase: „Kann sie nicht mal was anderes machen? Das ist langweilig!” Dann singt man eine neue Partie, in die man hineinwachsen muss, worauf es sofort heißt: „Oh, das hätte sie noch nicht machen sollen, dafür ist sie noch nicht reif genug.” Das ist manchmal etwas ermüdend.
Ich möchte singen, was mich glücklich macht. Dann ist die Chance ungleich höher, dass ich auch mein Publikum glücklich mache! Man muss sich strecken, um zu wachsen!
(Isabel Leonard © Jared Slater, J&J Photography)
Falls Sie so etwas wie Freizeit haben, was machen Sie, um zu entspannen?
Was war „Freizeit” noch mal? (lacht) Nun, ich habe meinen Sohn, der mein Leben ist. Ich koche gern, mein Sohn ist so entzückend, er findet: “Oh, Mami, das ist das beeeste Steak, das ich je gegessen habe!” Er liebt Essen, und das macht so viel Freude, für ihn zu kochen.
Ich liebe es, daheim zu sein, wo ich gute Freunde habe. Ich liebe meine Arbeit! Aber wenn ich daheim bin, ziehe ich mich gerne zurück und halte alles fern, was mit meinem Beruf zu tun hat. Mein Privatleben behalte ich gerne für mich. Manche Dinge teile ich gerne mit der Außenwelt, mit den Fans, aber ansonsten beschütze ich gerne mein Privatleben. Unser Beruf ist so exponiert, mit all den Sozialen Medien – das ist Teil unseres Berufs, darüber beklage ich mich nicht! Doch ich entscheide, was in die Öffentlichkeit dringen soll und beschütze die Menschen und die Dinge, die mir wichtig sind!
Frau Leonard, alles Gute und vielen Dank fürs Gespräch!