Eine Ausnahmeerscheinung der Opernwelt: Kammersängerin Iordanka Derilova im Gespräch
Iordanka Derilova. Foto: Dani jpg
Die Opernwelt lebt von Persönlichkeiten, die nicht nur mit ihren Stimmen, sondern auch mit ihrer Präsenz und Authentizität berühren. Eine dieser herausragenden Künstlerinnen ist die bulgarische Sopranistin Iordanka Derilova, die mit ihrer kraftvollen Interpretation der Brünnhilde bei den letztjährigen Richard-Wagner-Festspielen in Sofia zutiefst beeindruckte. Ihre Bühnenkarriere führte sie von den Anfängen in Bulgarien über Engagements in Prag bis nach Dessau, wo sie seit Jahren ein festes künstlerisches Zuhause gefunden hat. Im Gespräch mit unserem Redakteur Dirk Schauß gewährt sie faszinierende Einblicke in ihre außergewöhnliche Biografie, ihre künstlerische Philosophie und die Herausforderungen großer Opernpartien.
DS = Dirk Schauß ID = Iordanka Derilova
DS: Frau Derilova, lassen Sie uns einen Blick auf Ihre Biografie werfen! Was waren Ihre ersten wichtigen Stationen? Wie entstand der Wunsch, Sängerin zu werden?
ID:Auf Wunsch meiner Mutter besuchte ich bereits mit etwa vier Jahren eine Ballettschule, bis ich in die Grundschule kam. Damals suchten Trainer verschiedener Sportarten regelmäßig die Schulen auf, um Kinder mit guten körperlichen Voraussetzungen auszuwählen und sie gezielt zu fördern. Auch ich wurde entdeckt und für das Geräteturnen ausgewählt. Das machte mir jedoch nicht lange Spaß, und so wechselte ich zur rhythmischen Sportgymnastik. Doch auch diese Begeisterung hielt nicht lange an, und ich begann, unter dem Einfluss meiner Freundinnen, Leichtathletik zu trainieren. Später wechselte ich zum Schwimmen, bevor ich mich schließlich dem Tanzsport (Lateinamerikanischen Tänzen und Standardtänzen) widmete. Diese Phase dauerte am längsten, etwas mehr als fünf Jahre und hatte mir großes Spaß gemacht bis mich mein Weg schließlich zur Musik führte. Übrigens tanze ich auch heute noch mit größtem Vergnügen, wann immer sich die Gelegenheit dazu bietet. Schon während meiner aktiven Zeit im Sport verbrachte ich viele Stunden mit meiner besten Freundin damit, Sängerinnen aller Art zu imitieren. Unser Mikrofon war ein Staubsaugerrohr und in langen Nachthemden spielten wir auch Opernsängerinnen.
Meine Eltern wünschten sich, dass ich auf dem Sprachgymnasium bleibe, doch in mir regte sich ein ganz besonderer Wunsch, den ich als Eingebung beschreiben würde: Plötzlich wusste ich, dass ich Sängerin werden wollte – zunächst im Bereich der Popmusik. Diese Entscheidung teilte ich meiner Mutter mit, und sie unterstützte mich von ganzem Herzen.
DS: Wie zeigte sich das?
ID: Eine Freundin meiner Mutter (eine Opernsängerin) schlug vor, dass ich unsere Musikschule in Sofia besuche. Dort sollte ich bei einem bestimmten Professor vorsingen, der meine gesanglichen Fähigkeiten beurteilen könnte. Er war sofort begeistert und meinte, meine Stimme sei perfekt für klassische Musik geeignet. Da ich damals noch keine 16 Jahre alt war, konzentrierte ich mich zunächst auf Klavier und Tonlehre. Später begann ich mit Gesangsunterricht und wurde schließlich an der Musikschule „L. Pipkov“ in der Gesangsklasse der Opernsängerin Boyka Koseva aufgenommen.
Nach meinem Abschluss dort ging es weiter an die Musikakademie „P.Vladigerov“ bei Prof. Mati Pinkas,wo ich noch im letzten Studienjahr mein Operndebüt auf der Bühne in Burgas feierte in der Rolle der Elisabeth aus Verdis „Don Carlos“, gemeinsam mit meinem Ehemann in der Rolle des Königs Philipp II.
Wir wurden als Solisten an der Oper in Burgas engagiert. Außerdem habe ich auch eine Spezialisierung an der Kunstakademie „B. Christoff“ in Rom absolviert, wo ich bei der weltbekannten Opernsängerin Alexsandrina Milcheva studierte.
DS: Das war ein exponierter Start mit einer schweren Rolle! Wie alt waren Sie damals?
ID: Sehr jung! Ich hatte das große Glück, schon früh eine fantastische Lehrerin zu haben. Wie bereits erwähnt, handelte es sich um die große Mezzosopranistin Alexandrina Milcheva. Sie legte das Fundament für meinen Weg als Sängerin. Nach meinem Debüt führte mich mein Weg vor allem zu italienischen Partien, wie zum Beispiel der Desdemona (Otello). Später erhielten mein Mann und ich jeweils ein Angebot als Solisten an der Oper Stara Zagora. Dort folgten Rollen wie Mimi (La Bohème), Fiordiligi (Così fan tutte), Amelia (Un ballo in maschera) und weitere.Zur selben Zeit sang ich auch als Gast an der Oper in Sofia und Varna.
1998 fand ein großes Vorsingen für Solisten an der Staatsoper Prag statt, an dem mein Mann und ich erfolgreich teilnahmen. Daraufhin verließen wir unsere Heimat und traten eine Festanstellung in Prag an. In der folgenden Zeit hatte ich zahlreiche Engagements an verschiedenen Opernhäusern und Opernfestivalsin in der Welt. Seit 2003 bin ich fest am Theater in Dessau engagiert, wo ich bis heute meinen Lebensmittelpunkt habe.
DS: Wie kam es dazu, dass Sie nach Dessau gingen?
ID: In Dessau war ein großer Verdi-Zyklus geplant, und dafür wurde ein Sopran gesucht. Nach meinem Vorsingen wurde mir sofort ein Vertrag angeboten. So führte mich mein Weg nach Dessau.
DS: Wann kam Ihre erste Wagner-Rolle?
ID: Das war 2006 die Isolde.
DS: Das war Ihre erste Wagner-Rolle? Ich bin beeindruckt. Als ich die DVD davon sah, war ich ganz baff. Ihre Interpretation wirkte so komplett und hinreißend gesungen, dass ich eine ganz andere Vermutung hatte.
ID: Ursprünglich war das auch nicht in Sicht. Ich war für die italienischen Partien vorgesehen und wir mussten damals alle Partien auf Deutsch singen. Felsenstein hatte mit mir viele andere Opern auch inszeniert, z. B. „Rusalka“, „Don Carlo“, „Giovanna d’Arco“, Amalia (I Masnadieri), „Don Giovanni“, „Mignon2 von Ambroise Thomas, „Macbeth’’… Plötzlich waren wir bei Wagner. Unvergessen bleibt der Moment, als er zu mir sagte: „Was denkst Du über Isolde?“.Wagners Welt war mir zu diesem Zeitpunkt noch ziemlich fremd. Also schaute ich mir die Noten von „Tristan und Isolde“ an und begann, mir die Rolle konkret vorzustellen. Dann war für mich die Entscheidung klar: Ich mache es! Mit dem Partienstudium erblühte die Liebe zu dieser herrlichen Partie.Nach meinem großen Erfolg als „Isolde“ wurde ich sogar in der Fachzeitschrift „Opernwelt“ als „Beste Sängerin des Jahres“ nominiert. Weiter ging es dann mit Kundry „Parsifal“ in Dessau und Venus „Tannhäuser“ in Theater Osnabrück. Anschließend Ortrud „Lohengrin“ in Dessau, Dortmund und Nationaloper Ostrava. Es folgte erstmals der Ring des Nibelungen in Dessau, wobei ich sämtliche „Brünnhilde“ Rollen sang (Walküre, Siegfried und Götterdämmerung). Später sang ich Senta „Der fliegende Holländer.“ Wagner wurde zu einem meiner Lieblingskomponisten und ich singe seine Opern mit großem Vergnügen.
DS: Sie sind eine der raren Sängerinnen, die über eine hervorragende Textverständlichkeit und eine wissende Interpretation verfügen. Was ist die Grundlage dafür?
ID: Felsenstein! In Dessau gab es zu Felsensteins Zeiten alles auf Deutsch. Er war ganz besessen von dieser Idee. Wir haben an der Sprache äußerst intensiv gearbeitet – eine harte Schule, aber wirkungsvoll.
DS: Wie war das in der Praxis? Hattet ihr Artikulationsproben?
ID: Wir haben wie Schauspieler gearbeitet! Zu Beginn der szenischen Einstudierung standen intensive Leseproben an. Lesen und Interpretation, eine ganz intensive Arbeit. Die Vermittlung des Inhalts stand an oberster Stelle. Das war sie, die große Felsenstein – Schule.
Felsenstein war sehr fordernd und anspruchsvoll. Es war ganz besonders, mit ihm zu arbeiten.
DS: Was bei Ihnen sehr markant ist, ist Ihre Identifikation mit der jeweiligen Rolle. Sie wirken stets emotional beteiligt.
ID: Ich bin ein sehr emotionaler und temperamentvoller Mensch. Ich mag es nicht, meine Rolle zu statisch oder wie bei einer Konzertaufführung darzustellen..
DS: Ich denke, das ist etwas sehr Deutsches – die Angst vor großer Emotionalität. Auf der anderen Seite: Wer wie Sie mit viel Emotionalität singt, ist automatisch eine viel stärkere Farbe. Dadurch wird die Bühnenfigur viel größer und zieht mehr Aufmerksamkeit auf sich. Und das wollen die Regisseure nicht. Sänger sind im Vergleich zu ihnen eher die Krümel.
Sie haben ein riesiges Repertoire. Welche Rollenwünsche haben Sie noch?
ID: Ich würde sehr gerne z. B. die Maddalena in „Andrea Chénier“, die Adriana Lecouvreur oder die Medea singen. Natürlich wäre auch „La Gioconda“ wunderbar. Spannend wäre auch die „Salome“ oder Giordanos „Fedora“ und natürlich auch viel mehr…
DS: Ihre Stimme ist staunenswert alterslos. Sie klingt ewig jugendlich. Wie haben Sie Ihre Stimme so gut frisch gehalten? Keiner außer Ihnen vermag es derzeit in der Welt, auf gleich hohem Niveau so unterschiedliche Partien wie Butterfly,Donna Elvira, Isolde,Brünnhilde und so weiter zu singen.
ID: Das hat mir meine Lehrerin Alexandrina Milcheva beigebracht. Ihre Stimme klingt auch heute noch frisch und nahezu zeitlos. Wenn ein Sänger die richtige Technik hat, ihr stets folgt und sie weiterentwickelt, dann wird er natürlich auch seine Stimme lange erhalten. Von ihr habe ich gelernt, wie ich meine Stimme auf jede Partie anpasse, vor allem durch die richtige Atemführung. Jede Rolle hat mich weiterentwickelt und mir neue Erkenntnisse gebracht. Was die Gesangstechnik noch betrifft, bin ich ein sehr intuitiver Mensch und verlasse mich auch auf meinen Instinkt.
Ich kann sagen, dass heutzutage viele junge Sänger keine richtige Technik haben, sie singen ohne richtige Stütze, nur aus dem Hals und „mit Muskeln“. Und noch schlimmer ist es, wenn sie in einem solchen Zustand bereits an einem Theater engagiert sind. Deshalb haben sie in vielen Fällen nach zwei, drei bis fünf Jahren bereits stimmliche Probleme und einige von ihnen hören sogar ganz mit dem Singen auf. Ein richtig gewähltes Repertoire ist dabei von großer Bedeutung. Leider gibt es heutzutage nur noch selten Pädagogen, die die Sänger in diesen äußerst wichtigen Details unterrichten.
DS:Haben Sie ein Credo, das Sie durch Ihr Leben getragen hat?
ID: Ich bin immer ich selbst und möchte stets authentisch sein. Mit dem falschen und künstlichen Heiligenschein einer Diva schmücke ich mich nicht.
DS: Vielen Dank für das offene und sympathische Gespräch.
ID: Ich danke Ihnen. Es hat mir Freude gemacht.
Dirk Schauß sprach mit Kammersängerin Iordanka Derilova anlässlich ihres Gastspiels als Brünnhilde beim Richard Wagner Festival in Sofia am 18. Juni 2024.