Rainer Krenstetter: auf neuen Wegen
Portrait: Rainer Krenstetter – internationaler Ballettstar aus Österreich. Copyright: Jason Ashwood
Der aus einer Wiener Tänzerfamilie stammende Rainer Krenstetter begann seine Ballettausbildung an der Ballettschule der Wiener Staatsoper, 1999 setzte er seine Ausbildung an der Royal Ballet School in London fort. Seine erfolgreiche Teilnahme an verschiedenen internationalen Ballettwettbewerben brachte ihm zahlreiche Medaillen, 1999 gewann er als erster Österreicher den Prix de Lausanne. 2000 ins Corps de ballet des Wiener Staatsopernballetts engagiert, wechselte er zwei Jahre später ins Staatsballett Berlin, das von Vladimir Malakhov geleitet wurde und avancierte dort 2013 zum Ersten Solotänzer. 2014 bekam er ein Engagement in dieser Position im Miami City Ballet (MCB).
Rainer Krenstetter in „Schwanensee“ beim Staatsballett Berlin. Copyright: Yan Revazov
Rainer Krenstetter tanzte alle Hauptpartien in Ballettklassikern wie „Schwanensee“, „Giselle“, „Don Quixote“, „Le Corsaire“, „Der Nussknacker“, „Coppèlia“, Onegin“, „Dornröschen“, „Romeo und Julia“, „La Sylphide“ , „Cinderella“ oder „La Bayadère“. Weiters trat er in zahlreichen zeitgenössischen Werken von Choreografen wie u.a. George Balanchine, Jerome Robbins, Roland Petit, Maurice Béjart, Uwe Scholz, Hans van Manen, Alexei Ratmansky, Clarke Tippet, Jiří Kylián und William Forsythe auf.
Gastauftritte führten ihn als Tänzer nach Europa, Australien, Südamerika und Asien, weiters fungiert er seit einiger Zeit auch als Jurymitglied bei internationalen Ballettwettbewerben und arbeitet als Gastdozent bei Tanzworkshops. 2016 erhielt er den Miami Life Award als „Bester klassischer Tänzer“.
Zum Bühnenabschied mit dem Miami City Ballet: Schluss-Applaus nach „Diamonds“. Copyright: Foto privat/Krenstetter
Vor kurzem gab Rainer Krenstetter seine Abschiedsvorstellung in Miami und ist nun frei für seine neuen Aufgaben: seit 2020 ist er künstlerischer Direktor der japanischen Compagnie UNBLANCHE. Seit dem Vorjahr designiert, hat er jetzt auch die künstlerische Leitung der Margot Fonteyn Academy of Ballet in Arizona angetreten.
Bei einem kurzen Europa-Aufenthalt mit Wien-Abstecher erzählt Rainer Krenstetter von seinem Tänzerleben in den USA und von seinen weiteren Plänen.
Wie hat er die Pandemie in Amerika erlebt?
„Wir haben gerade „Don Quixote“ in der ABT-Fassung vorbereitet, als es zunächst hieß, es wird für ein Wochenende alles abgesagt, daraus wurde eine Woche und dann wurde es deutlich, dass diese Ausnahmesituation länger dauern würde“, erinnert er sich. „Am Anfang habe ich es sogar genossen, einmal nichts zu tun, denn zum ersten Mal nach den vielen Jahren im Ballett, davon die letzten acht in Miami, wurde ich sozusagen in den Urlaub geschickt. So konnte ich zum Beispiel auf einmal eine ganze Serie auf Netflix anschauen, nicht nur jeweils eine Folge. Zum Glück war der Strand nur zwei Monate geschlossen, dann durften wir wieder hinaus. Es ist schon etwas Besonderes, jeden Tag in der Sonne in unserer Wohnung am Strand von Miami aufzuwachen“, meint er. „Ohne Vorstellungen gab es aber auch kein Einkommen, denn in Amerika ist die Unterstützung in jedem Staat anders geregelt. In Florida bekommen alle die gleiche Summe, egal in welcher beruflichen Position man war. Mein Mann hat eine große Pferdefarm für Turnierpferde in Wellington, Florida. Bei ihm lief alles wie gewohnt weiter. Besonders schwierig war es für mich in Form zu bleiben, jeder von uns in der Compagnie hatte eine Stange daheim, aber Sprünge oder Drehungen kann man in einer Wohnung nur schlecht trainieren. Dazu kamen auch die Sorgen, wann die Pandemie denn aufhört und wie es weiter geht. Für manche meiner Kollegen wurde die Situation immer schwieriger, die Ersparnisse waren aufgebraucht und sie zogen sogar in ein Apartment zusammen um Geld zu sparen. Im Dezember 2020 ging es endlich weiter: wir haben Balanchines „Nussknacker“ als Open Air-Aufführung vorbereitet – der erste Akt wurde auf eine Leinwand projiziert und den zweiten tanzten wir live im Park.
Obwohl das Gastieren nicht möglich war, reiste Rainer Krenstetter so oft es ging nach Europa um seine Familie in Wien zu besuchen. Er gab in dieser Zeit viel online Training, das für ihn von überall möglich war, es virtuell abzuhalten.
Eigentlich wollte er ja bereits im Vorjahr seine Kariere beenden, hat dann aber seinen Bühnenabschied auf heuer verschoben. „Ich wollte immer zu meinen Bedingungen aufhören. Ich könnte natürlich noch zwei bis drei Jahre voll tanzen, denn ich bin noch auf einem guten Niveau, aber für mich war es wichtig, selbst zu entscheiden, wann ich aufhöre. Dieser Punkt war mir deshalb wichtig, um frei dafür zu sein, das zum Tanzen auszusuchen, was mir Spaß macht. Ich habe viele Angebote bekommen und trete noch bei verschiedenen Galaabenden auf. Ich bin jetzt im April 40 Jahre alt geworden und so war das für mich der richtige Zeitpunkt. Ich habe in Balanchines „Jewels“ die „Diamonds“ getanzt – das war eine sehr schöne Abschiedsvorstellung in Miami“, stellt er fest.
Derzeit ist er viel in Europa unterwegs. Nach der internationalen Aids-Benefiz-Gala in Salzburg und einem Auftritt in Wien sowie in München bei einer Benefiz-Gala, gibt er an der Grazer Oper der dortigen Balletttruppe Unterricht, macht dann „Paquita“ in Kalifornien, bevor er Anfang Juli in St. Pölten beim Europaballett einen Workshop hält und im Rahmen der Summer School auch zwei Wochen in der Dutch National Ballet School unterrichten wird; außerdem hat er in New Orleans schon für einen „Nussknacker“ zugesagt.
Wie kam es zum Angebot als artistischer Direktor für die Margot Fonteyn Academy of Ballet?
„Ich kenne Ken Ludden schon lange vom Miami-Festival, ich habe bereits mit ihm gearbeitet und er hat mir die Stelle angeboten. Wir eröffnen im September“, erklärt er. “Ich kann in Miami wohnen bleiben und fliege von dort immer wieder nach Arizona. Wir haben dort auch eine große Gala „Rainer and friends“.“
Ein anderer Schwerpunkt seiner Tätigkeit betrifft Japan: bereits vor der Pandemie hat Rainer Krenstetter oft in Japan mit Hana Kosaki getanzt, sie hat ihre Ausbildung auch in London gemacht. Sie gründete die UNBLANCHE-Company in Tokyo und konnte ihn als artistischen Direktor gewinnen. „Wir machen alles an professioneller Unterstützung, was Tänzer – und zwar Profis wie Studierende – für ihr berufliches Weiterkommen benötigen. So gestalten wir die Videos fürs Vortanzen, bieten Workshops an, haben Vorstellungen und bereiten für Wettbewerbe vor. Ich habe zum Beispiel drei Tänzerinnen aus Tokyo nach Salzburg zur Gala mitgenommen und in einem Gesamt-Package ihnen ein Balletttraining in Wien ermöglicht“, berichtet er.
In Tokio am Arbeiten mit der UNBLANCHE Company. Copyright: UNBLANCHE Company
Wie kam es zur Biografie?
„Das Buch ist bereits als Idee vor der Pandemie entstanden, leider verstarb dann kurz vor der Fertigstellung der Verleger, so haben wir das Buch im Eigenverlag herausgebracht. Ich habe mit Jason Ashwood bereits 2015 in London in einem anderen Projekt gearbeitet. Das war „Visage“ mit Solisten diverser Compagnien“, erläutert er. „So dachten wir, wir machen Ähnliches. 2018 ist Jason damit auf mich zugekommen. Er war dann bei mir in Miami und hat mich noch einmal im darauffolgenden Jahr zwei Wochen lang in Florida besucht, um mich zu interviewen und Fotos zu machen. Ich hatte genau zu diesem Zeitpunkt eine Blinddarm-Notoperation, aber drei Tage danach bin ich schon wieder am Strand für eine weitere Fotosession mit ihm gewesen. Wir wollten die Zeit möglichst intensiv und optimal nützen.“ Jetzt im Frühjahr ist das Werk nun erschienen. Unter dem Titel „Not Without Tears – A Life Lived Onstage“ erzählt Rainer Krenstetter sehr offen seine Lebensgeschichte, berichtet von Emotionen auf der Bühne und das Geschehen rund um die Auftritte. Aktuell gibt es das Buch nur auf Englisch, eine deutsche Übersetzung wäre ein Gedanke für künftig.
Wie sieht er seine Tänzerkarriere im Rückblick?
„Ich bin glücklich, wie sich bei mir alles ergeben hat. Ich bin dankbar, dass mich Vladimir Malakhov damals nach Berlin geholt hat. Ich durfte dort großartige Rollen tanzen – ich erinnere mich besonders gern an den Loge in Bejárts „Ring um den Ring“ oder das Eifman-Ballett „Tchaikovsky“, resümiert er. “Der Anfang in Miami war herausfordernd für mich, wir haben viel Balanchine, Robbins und Twyla Tharp im Repertoire. Aber das alles hat mich in weiteren Facetten als Tänzer sehr bereichert. Ich fühle mich für mich komplett – mit meinen Erfolgen in Europa, den USA und in Japan. Ich habe eine schöne internationale Karriere gemacht und konnte meinen Bühnenabschied mit einer Vorstellung in einer großen Compagnie feiern. Natürlich kommt mir manchmal der Gedanke, dass man vielleicht manches gern noch einmal getanzt hätte, aber jetzt habe ich meine Entscheidung getroffen. Ich bin im Übergang zu einem neuen Lebensabschnitt. Ich freue mich auf das Neue, das kommen wird und bin offen für alles. Ich kann mein Wissen und meine Erfahrung der nächsten Ballettgeneration mitgeben.“
Zu Beginn seiner Tänzerlaufbahn dachte Rainer Krenstetter immer “Freue dich auf die Zukunft“. Was würde er dem Ballettnachwuchs nun mitgeben?
„Es gibt Höhen und Tiefen, man lernt daraus und es geht immer weiter, aber ohne Tränen geht es nicht. Am Anfang klingt das sehr schön, wenn man viel gastiert, aber manchmal ist man dann in einem Hotelzimmer auch sehr alleine. Gerade die Pandemie hat gezeigt, wie schnell alles anders sein kann und die aktuelle schwierige politische Situation lässt mich auch nachdenklich sein, wie es denn weitergehen wird“, stellt er fest und meint: „Mache das Beste aus jeder Situation. So ist das Leben.“
Ira Werbowsky