Interview mit Mário Radačovský: „Ich bin sehr glücklich über das bisher Erreichte“
Mit dem Antritt von Martin Glaser als Generaldirektor des Nationaltheaters Brno im November 2013 wurde Mário Radačovský von ihm zum künstlerischen Leiter des Balletts des Nationaltheaters Brno ernannt und kürzlich für weitere fünf Jahre in dieser Funktion verlängert.
Portrait: Mário Radačovský. Copyright: Marek Olbrzymek
Mário Radačovský absolvierte seine Ballettausbildung in Bratislava und erhielt seinen ersten Vertrag 1989 im Ballett des Slowakischen Nationaltheaters, wo er auch bald zum Solotänzer avancierte. Drei Jahre später bot ihm Jiří Kylián, der Leiter des Nederlands Dans Theaters (NDT) an, als Tänzer in die dortige Compagnie zu wechseln. Noch bevor Mário Radačovský dieses Angebot antrat, tanzte er für ein halbes Jahr als Solist in der Ballettcompagnie des Nationaltheaters in Brno. In den sieben Jahren am NDT erlebte er dann Zusammenarbeiten mit den namhaftesten Choreografen seiner Zeit wie u.a. Mats Ek, Nacho Duato, Ohad Naharin oder William Forsythe. Ganz besonders hat ihn in dieser Zeit geprägt, wie Jiří Kylián sein Ensemble geführt hat und wie er an seine Choreografien heranging. 1999 wurde Mário Radačovský als Erster Solotänzer ans Les Grands Ballets Canadiens in Montreal engagiert – hier begann er auch zu choreografieren. Im darauffolgenden Jahr kehrte er als Gastsolist ans Ballett des Slowakischen Nationaltheaters zurück, das er von 2006 bis 2010 geleitet und auch dafür zahlreiche Kreationen geschaffen hat, ebenso wie für seine eigene Balletttruppe, das Balet Bratislava, das er 2011 gründete und dessen Leitung er bis zur Auflösung zwei Jahre später inne hatte. Seit 2013 ist er nun der künstlerische Direktor der Ballettcompagnie in Brno.
Anlässlich der zehn Jahre Wirken im Haus bietet sich eine gute Gelegenheit für einen Rückblick auf das Erreichte und einen Ausblick auf das Kommende.
Bestimmend war für Mário Radačovský die jahrelange Zusamenarbeit mit Jiří Kylián. „He is my hero“, spricht er voll Begeisterung von seinem Vorbild und meint weiter: „It is important to have a vision and to believe in this vision.“ Die vergangenen Jahre sieht er daher als wichtige Aufbauarbeit, denn man muss sich Zeit lassen, damit sich Dinge auch entsprechend entfalten und weiterentwickeln können. Daher förderte er nicht nur sorgsam seine Tänzer sondern bot auch jungen Choreografen die Chance sich zu profilieren. Mário Radačovský vergleicht seine Arbeit mit der Compagnie mit einem Garten, in dem man die verschiedenen Pflanzen zum Sprießen bringen will, indem man sät, gießt, manchmal vertrocknet vielleicht auch ein Pflänzchen, aber man kümmert sich und versucht das Bestmögliche zu tun, damit alles blüht und gedeiht. Besonders stolz ist er darauf, was seine Tänzer und Tänzerinnen in den letzten zehn Jahren erreicht haben – als bestes Beispiel dafür sieht er die Premiere von „Bdĕní“. Er anerkennt, was seine Balletttruppe leistet und geleistet hat, sogar über seine Erwartungen hinausgehend. Kontinuität ist ihm dabei immens wichtig, um sich laufend zu verbessern und vorwärts zu gehen. Dabei darf die tägliche Arbeit im Ballettsaal nie zum „Job“ werden, denn dann habe man verloren, weil seiner Meinung nach ist es unbedingt erforderlich, mit Freude bei der Sache zu sein, auch wenn man im Training hart arbeitet oder gerade eine neue Kreation vorbereitet wird.
Als Führungspersönlichkeit gibt er an seine Compagnie weiter, was er damals als Tänzer bei Jiří Kylián erlebt hat, nämlich einen respektvollen Umgang miteinander, aber sich auch einmal einen Fehler einzugestehen, denn Fehler machen ist menschlich, dabei immer das erreichte Niveau zu behalten, das nächste Ziel im Blick zu haben. Mit einem weiteren Bild beschreibt er, wie er das verstanden haben will: man sitzt im Flugzeug und es startet, der Flieger hebt ab, manchmal nimmt er eine Kurve statt des direkten Weges, aber dann ist die Flughöhe erreicht und eigentlich will man diese immer beibehalten und nicht wieder herunterkommen – das bezieht sich auf die bislang erreichte Qualität und den Erfolg, den die Compagnie beim Publikum hat, schließlich muss man respektieren, dass das Publikum viel Geld für die Eintrittskarten bezahlt und daher ist für ihn kein Kompromiss an der Qualität zulässig.
Das Repertoire der Compagnie ist breit gestreut – neben klassischen Werken stehen auch zeitgenössische bzw. neoklassische Piecen auf dem Programm wie bei den letzten beiden Premieren: vor dem Sommer tanzte die Compagnie erstmals an einem Abend nur Choreografien von George Balanchine, jetzt erstmalig ein Werk von Nacho Duato und – für Mário Radačovský ganz besonders ausschlaggebend – zum ersten Mal ein Stück von Jiří Kylián! Außerordentlich gefreut hat ihn, dass Jiří Kylián persönlich eine Woche lang die letzten Proben vor der Premiere betreut und mit dem Ensemble gearbeitet hat.
Mário Radačovský bei Proben zu „Romeo und Julia“. Copyright: Jakub Jíra
Diese aktuelle Premiere ist für Mário Radačovský das schönste Geschenk als Ergebnis seiner bisherigen zehn Jahre Tätigkeit als künstlerischer Ballettchef hier in Brno. Damit stellt sich natürlich auch die Frage, was man nächstes Mal noch besser machen oder noch mehr erreichen kann. Mit dem, was er mit seinem Team bislang erzielt hat, konnte die Marke Ballett des Nationaltheaters Brno an Bekanntheit zulegen, sie ist sehr geschätzt und gut etabliert und hat sich mehr und mehr zu einem wichtigen und beachteten Ballettensemble entwickelt. Durch das bisher Erreichte sieht er seine Compagnie auf dem besten Weg, sich für die „Champions League“ der besten Ballettensembles zu qualifizieren.
Sehr erfreulich findet er, dass dieser Tage Brno international im Blick als Zentrum für den Tanz war durch das von Opera Europa´s Dance Forum & Positioning Ballet organisierte Joint Meeting für Ballettchefs. Normalerweise ist Brno ja bekannt für das biennial abgehaltene Janáček Festival, aber es gibt auch ein alle zwei Jahre stattfindendes Tanzfestival, das Dance Brno. Heuer sind hier nicht nur die heimischen Ballettcompagnien eingeladen sondern anlässlich der vor 30 Jahren erfolgten Gründung der Republiken Tschechien und Slowakei treten diesmal auch slowakische Ensembles als Gäste auf.
Wie geht er an eine neue Choreografie heran? Kristallisiert sich zuerst das Thema heraus oder ist die Musik zuerst da? Das ist von Werk zu Werk unterschiedlich, jedoch ist meist das Motiv zuerst präsent. In der Reihe der Persönlichkeiten für seine abendfüllenden Ballette wie Beethoven oder Michelangelo ergab sich die Musikauswahl danach. Als Beispiel dafür, dass manchmal auch die Musik zuerst feststeht, nennt er die 7. Sinfonie C-Dur, op. 60 von Dmitri Schostakowitsch, die er auswählte, um für die vor einem Jahr gegründete Junior Compagnie, das NdB II, dazu die Choreografie zu erstellen.
Auf die Frage nach seinen nächsten Plänen skizziert er seine neueste gerade in Vorbereitung befindliche Kreation über Coco Chanel, die im Mai 2024 im Mahen Theater Uraufführung haben wird. Für diese Ikone der Fashionwelt und faszinierende Frauenfigur sucht er die dazu passende Musik-Collage aus um alles, was an Emotionen oder Transitionen im Tanz ausgedrückt werden soll, darin Entsprechung finden zu lassen.Da er schon lange mit seinen Tänzern zusammenarbeitet, ist der kreative Prozess ein gegenseitig sehr befruchtender. Mário Radačovský hat sein Konzept vorbereitet und im konstruktiven Miteinander nimmt das neue Stück dann finale Gestalt an.
Für ein weiteres Premieren-Projekt konnte er die Bubeniček-Zwillinge Jiří und Otto gewinnen, die Cyrano de Bergerac zu Orchesterbegleitung tänzerisch umsetzen werden. Die Uraufführung ist für September 2024 geplant.
„Appreciate every single day“ ist sein Motto – Mário Radačovský ist angesichts der aktuellen Weltsituation und der Kriege dankbar dafür, in einem Land in Frieden leben zu dürfen. Er wünscht allen viel positive Energie, Gesundheit und ein freudvolles Leben in Frieden und ist glücklich sagen zu können: „ I am a happy man, I love my wife, my daughter, my compagnie and my work.“ Damit sei ihm toi, toi, toi für die kommenden Jahre gewünscht!
Ira Werbowsky