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Interview mit der georgischen Pianisten Ketevan Sepashvili: „Ich wollte mit Gabunias Stücken meine georgische Geschichte erzählen.“

22.11.2023 | Instrumentalsolisten

Ich wollte mit Gabunias Stücken meine georgische Geschichte erzählen.“

Interview mit der georgischen Pianisten Ketevan Sepashvili 

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Ketevan Sepashvili. Foto:Andrej Grlic

Wenn die in Wien lebende georgische Pianistin Ketevan Sepashvili die Kinderstücke für Erwachsene aus der Feder ihres Landsmannes Nodar Gabunia mit Frédéric Chopins 24 Préludes vereint, dann kommt hier ein persönliches Anliegen zum Ausdruck. Gabunias Musik widerspiegelt eigene biografische Berührungspunkte. Bei Chopin ist es die unerreichte Symbiose aus Emotionalität und rationaler Logik, die es ihr angetan hat. Auch bei der Wahl ihres Instrumentes überlässt die Pianistin nichts dem Zufall. Mit Stefan Pieper sprach sie über den Werdegang dieses Projektes und ihren Alltag, der auch regelmäßige Besuche in ihrer georgischen Heimat einschließt.

Warum haben Sie Ihre CD Augenblicke genannt?

Es sind gerade die Augenblicke, die im Leben eines Menschen eine große Rolle spielen und manchmal auch das Leben verändern. Ich wollte mit den Miniaturen eine Geschichte erzählen über mich.

Beschreiben Sie mir Ihren Bezug zum Komponisten Nodar Gabunia und zu seiner Musik

Ich kannte Nodar Gabunia persönlich sehr gut. In meiner Zeit war er Direktor vom Tbilisi state conservatoire und ein wunderbarer Musiker und innovativer Mensch. Ich kenne zahlreiche Studierende, die bei ihm gelernt haben. Ich habe bereits in den frühen 2000er Jahren Stücke von Gabunia gespielt. Als Gabunia gestorben war, haben seine Studenten einen Wettbewerb organisiert. Ein Jahr später habe ich in diesem Wettbewerb den ersten Preis gemacht. Gabunia hat zwei Klavier zyklen geschrieben, einen, den er „From a Pupil’s Diary“ nannte und dann noch diesen Zweiten mit dem Titel „Kinderstücke für Erwachsene“ genannt hat. Ich habe mich in diese Stücke verliebt und vier Stücke in diesem Wettbewerb gespielt. 

Was war die konkrete Initialzündung zu diesem Projekt? 

Ich hatte immer schon den Wunsch, irgendwann einmal den ganzen Zyklus zu spielen. In der Pandemie war plötzlich Zeit, über das Leben nachzudenken. Ich habe vieles Revue passieren lassen – meine Zeit in Georgien, danach mein Leben in der Schweiz und jetzt eben in Österreich. Ich wollte mit Gabunias Stücken meine Georgische Geschichte erzählen. Es bedeutet mir viel, dass die Stücke von einem georgischen Komponisten sind und deswegen auch meine eigenen Wurzeln verkörpern. Denn ich komme ja genauso wie Gabunia aus diesem schönen Land.

Können Sie konkreter beschreiben, was Sie an diesen Stücken anspricht? 

Vor allem sind es diese besonders kindlichen Aspekte in der Musik. Vieles, was er in seinen Stücken abbildet, habe ich ja auch so erlebt. Ich denke etwa an das kindliche Fangenspielen. Gabunia erfindet immer so einfache und schöne Melodien für so etwas. Er erzählt gewissermaßen etwas von mir in diesen Stücken, was eine glückliche Kindheit wiederspiegelt.

Haben Sie schon eine Resonanz auf die Stücke dieser CD erlebt?

Ich hätte vorher nicht gedacht, dass so viele Menschen auf die Musik aufmerksam würden. Gabunia ist ja wirklich kaum bekannt. Chopin wiederum ist fast schon zu bekannt durch die unzähligen Aufnahmen, die es gibt. Der gemeinsame Nenner zwischen den beiden Komponisten besteht für mich darin, dass es sich bei beiden Werkzyklen um sehr „persönliche“ Kompositionen handelt. 

Haben Sie bei der Interpretation besondere Prioritäten? 

Ich möchte klanglich möglichst viel herausholen. Bei Chopin gibt es ja schon viele Interpretationen. Viele von denen decken sich aber kaum mit meinen eigenen Vorstellungen. Da werden oft die Tempi übertrieben und manchmal wird der Fokus zu einseitig auf Virtuosität gelegt. Man kann hier aber auch ganz andere Wege gehen und die Stücke intimer und persönlicher aufnehmen. Allerdings ist das nur Geschmacksache.

Welche Schnittstellen zwischen Chopin und Gabunia sehen Sie in pianistischer Hinsicht?

Ein Grundsatz bei Gabunia war, dass vor allem das „Legato“-Spiel die größte Herausforderung ist. . Auch Chopin hat gesagt: Wenn man Klavier spielen möchte, muss man singen. Gabunias Kinderstücke für Erwachsene sind ausgesprochene Lehrstücke in dieser Hinsicht. Bei Chopin verhält es sich ähnlich. Er ist ein großer Melodiker mit einer unerreichten Gabe zu atmenden Phrasierungen.

Es freut mich, dass Ihre Erläuterungen sehr auf meine ersten Höreindrücke Ihrer CD passen. Ich würde fast behaupten, dass durch diese Lesart die beiden unterschiedlichen Komponisten sogar enger zusammenrücken.

Das konnte ich aber auch nur in dieser Form verwirklichen, weil mir ein dafür passendes Klavier zur Verfügung stand. Ebenso ein Aufnahmeteam, das einen sehr guten Job gemacht hat. Ich spiele schon sehr lange auf einem Fazioli-Flügel und bin wirklich verliebt in dieses Instrument.

Warum gerade ein Fazioli?

Ich würde sagen, der Fazioli reagiert wirklich auf meine Gedanken. Alles ist einfach schon „da“ und lässt sich sehr detailliert und persönlich gestalten auf diesem Instrument. Ein Faziolli reagiert ausgesprochen individuell auf den Pianisten. Aber das setzt auch eine besondere Bereitschaft voraus, auf dieses Instrument einzulassen. Aber dieser Einsatz lohnt sich, denn dadurch wird eine erstaunliche Vielfalt möglich.

Was für ein Geheimnis steht hinter der lupenreinen, luftigen Aufnahmequalität?

Ich nehme immer in großen Sälen auf, weil ich diese Akustik mag. Ich habe in einem Konzertsaal in Reiding im Burgenland aufgenommen. Dieser moderne Saal mit viel Holz hat eine wunderbare Akustik. Aufnahmeleiter David Merö und der Tontechniker Franz Schaden, der übrigens an der Musikuniversität Wien unterrichtet, kennt meine persönliche Klangvorstellung sehr gut, wir haben ja auch schon 5 CD gemeinsame CDs aufgenommen. Wir sind seit vielen Jahren gut miteinander befreundet und diese menschliche Verbindung hilft ungemein. Wenn ich eine Aufnahme mache, steckt da mein ganzes Herzblut drin. 

Ich möchte gerne noch ein paar Hintergründe mehr über die Stücke erfahren. Wie Kinderstücke hören sich Gabunias Kompositionen für mich gar nicht an – sie klingen dafür viel zu innovativ. 

Ich würde sagen, die Stimmung der Umbruchjahre nach dem Zerfall der Sowjetunion hat Nodar Gabunia stark inspiriert. Georgien hatte gerade seine – extrem hart verdiente – Unabhängigkeit erlangt. Aber es sollte natürlich Zeit kosten bis sich irgendetwas verändert, auch im Kulturleben. Zugleich wirkte nach wie vor eine starke Prägung durch die russische Schule auf das Musikleben. Gabunia schöpfte aus all diesen Dingen, wollte aber auch alles neu interpretieren. Er hat viele neue Ideen gehabt und die fließen alle in seine komponierte Musik ein, zum Beispiel in seine Klaviertoccaten und Improvisationen. Manches davon erinnert an Prokofjew und er hat stark die georgische Volksmusik mit diesen spezifischen Tonskalen aufgegriffen. Jedes einzelne aus den Kinderstücken für Erwachsene hat einen Touch georgischer Folklore in sich. Georgien ist nun mal ein sehr musikalisches Land. Singen gehört zum Leben und zum Arbeiten dazu. Zum Traurigsein und zum Fröhlich sein, einfach zu allem. Wichtig ist die Mehrstimmigkeit. Viele komplexe Sachen hat er in diesen Stücken versteckt z.B. in Richtung Polyphonie. Gabunia ist hier sehr pädagogisch unterwegs. Deswegen sind seine Stücke auch für professionelle junge Pianisten ein Erfahrungsgewinn. 

Ein starkes lyrisches Gepräge steht dazu ja in keinem Widerspruch

Die Musik ist hochmodern gedacht, aber offenbart zugleich viele tänzerische, beschwingte Volksmelodien. Man kann hier viel lernen, aber auch interpretatorisch viel individuell gestalten.

Was für eine Verbreitung haben diese Stücke in Georgien gehabt?

Sie sind in meinem Heimatland natürlich viel verbreiterter als hier. Aber auch hier in Europa werden sie jetzt immer bekannter – und das freut mich sehr!

Haben Sie ein bestimmtes Ideal, was Musik ausmachen soll?

Musik kann und soll modern sein, aber mir ist es wichtig, dass man sie verstehen kann. Gabunias Stücke passen für mich in dieses Schema. Man kann sie ohne weiteres erkennen und fassen. Die Kinderstücke für Erwachsene haben für mich hier den höchsten Reifegrad.

Lassen Sie uns mal die Brücke zu Chopin schlagen. Was ich interessant finde – jetzt wo Sie den gesamten Zyklus gespielt haben, ist der Aspekt von übergreifender formaler Logik. Ich denke hier auch immer an Bach als musikgeschichtlichen Bezugspunkt.

Das ist ein absolut wichtiger Aspekt hier. Bach war für Chopin und gleichermaßen für Gabunia so eine Art Bibel. Deswegen ist auch der polyphonische Aspekt ein übergreifendes Merkmal. Die Musik ist nicht nur einfach schön, sondern auch sehr rational gedacht. Was wiederum für die Reinheit und damit Schönheit der Musik eine Rolle spielt. Es war für mich ein langer Prozess, dies alles zu ergründen. Deswegen habe ich mir sehr lange Zeit gelassen, bis ich überhaupt angefangen habe, Chopin zu spielen. Chopin ist viel mehr als nur schöne Melodie und Begleitung. Es geht mir auch immer darum, durch die Musik hindurch den Menschen dahinter zu verstehen. 

Lesen Sie auch viel Biografisches über die Komponisten? 

Auf jeden Fall. Bei Chopin sind die Aufzeichnungen Georges Sands immer sehr aufschlussreich. Vieles, was Außenstehende schreiben, z.B. Literaten, ist für uns Künstler besonders wichtig. Eben weil wir oft viel zu involviert in alles sind, während ein Außenstehender oft eine viel bessere Perspektive auf das Ganze hat. 

Sie leben schon länger nicht mehr in Georgien, sondern in Wien. Wie geht es Ihnen hier? 

Ich bin richtig verliebt in diese Stadt, in der ich schon seit 16 Jahren lebe. Österreich ist mein Heimat.

Was für Kontakte zu Georgien unterhalten sie?

Ich reise regelmäßig in mein Heimatland, zuletzt war ich im Sommer da. Ich pflege dort meine Verbindungen vor allem zur Z. Paliashvili Musikschule für hochbegabte Kinder, die in ein paar Jahren bald ihr 100jähriges Jubiläum feiert. Das ist eine ganz wichtige Institution. Diese Schule ist mit der Hauptgrund, warum viele Musikerinnen und Musiker aus Georgien heute auf internationalen Konzertbühnen stehen. Ich versuche schon seit 15 Jahren, dieser Schule zu helfen und wo es brennt, zu löschen und die Kinder zu unterstützen. Ich gebe immer wieder Meisterkurse dort und bringe auch Schülerinnen und Schüler nach Wien, damit sie hier Konzerte spielen können. Man sollte nicht vergessen, etwas weiterzugeben für zukünftige Generationen. 

Wie ist überhaupt die Stimmung aktuell, seitdem Russland die Ukraine überfallen hat?

Ich bin gewissermaßen ein Kriegskind und habe schon dreimal Krieg erlebt. Die aktuelle Situation ist sehr aufgeladen.Es ist erschreckend wie Russland sich aufführt, allerdings ist nichts neues. Georgien hat es schon oft genug erlebt. Es muss endlich etwas passieren, dass diese schreckliche militante, sowjetische Macht endlich verschwindet. Entschuldige für meine Schärfe, aber anders kann man es nicht mehr ausdrucken. Aber ich versuche weiterzumachen und mich für die Kultur zu engagieren. Ich behalte meine Schule im Auge und helfe, wo ich kann. Ich arbeite mit einer großen Stiftung zusammen. Das macht alles großen Spaß und ich finde es sehr wichtig. Diese Menschen werden irgendwann einmal anderen Menschen helfen. Man sollte immer in erster Linie an das Gute und nicht an das Negative denken. Auch wenn die Welt wohl leider nicht so konstruiert ist.

Das Interview führte Stefan Pieper 

Konzerttermin

Donnerstag, 23.11.2023: Pianosalon Christophori, Berlin

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CD

Ketevan Sepashvili

Moments“

ARS Produktion 2023

Videotrailer

https://www.youtube.com/watch?v=1KMdcI_oG1A

 

 

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