INTERVIEW MIT DEM SÄNGER ALEXANDRE DUHAMEL
in Bordeaux: Von Sancho und Zurga zu Don Giovanni und Don Alfonso
Alexandre Duhamel © Marine Cessat-Begler
Alexandre Duhamel gehörte wie Florian Sempey zu der berühmten Jahrgang 2010 des durch Christian Schirm geleiteten Atelier Lyrique der Pariser Oper, wie auch Marianne Crebassa (die man seit ihren Auftritten in Salzburg nicht mehr vorzustellen braucht), Stanislas de Barbeyrac (der erste Don Ottavio dieser Trilogie, den er schon u.A. schon an der Met gesungen hat zur Zeit in der Wiener Staatsoper singt,) und Cyril Dubois (den wir wenige Tage später in Paris als Nicias in der „Phryné“ von Saint-Saëns erlebten). An seinen ersten Auftritt im jährlichen „Opernschulen-Konzert“ im Palais Garnier kann ich mich zwölf Jahre später noch ganz genau erinnern: seine Arie von Sancho Pança aus Massenets „Don Quichotte“ war einfach umwerfend: der stärkste Eindruck für mich persönlich zusammen mit Florians Figaro. Und das lag erst einmal an seinem sehr großen Stimmvolumen.
Alexandre Duhamel bezeichnet sich selbst als „baryton dramatique“ (Heldenbariton oder spinto) – Florian Sempey in unserem Gespräch als „baryton lyrique“. Doch Heldenbaritone werden an französischen Konservatorien zur Zeit erstaunlich wenig aufgenommen & ausgebildet, weil mal in Frankreich, wie man es auch bezeichnen will, Vorbehalte gegen große Stimmen hat, die als weniger „elegant“ gelten als z.B. ein „baryton Martin“ (wie Pelléas). So wurden z.B. die großen Baritone Ernest Blanc und Alain Fondary erst an die Pariser Oper eingeladen, nachdem sie im Ausland (Italien & Deutschland) schon beachtliche Erfolge gehabt hatten. Ein langes Thema, denn auch junge Sängerinnen werden hier mit genau den gleichen Vorurteilen konfrontiert. Wie dem auch sei, seine Arie machte einen tiefen Eindruck und zwölf Jahre später konnte sich Alexandre Duhamel noch wortgenau daran erinnern, was ich ihm damals gesagt habe. Wir trafen uns nach dem „Don Giovanni“ und vor dem Don Alfonso des nächsten Tages – also allzu lange wollte ich den Ruhebedürftigen Sänger nicht mit meinen Fragen aufhalten.
Alexandre wurde 1983 in Paris geboren als Sohn eines Journalisten und wollte erst Journalist werden wie sein Vater und dann Schauspieler. Musik kam auch in sein Leben über das Fernsehen, als er mit ungefähr zehn Jahren einen Film über Beethoven sah und Rezitals von Andrea Bocelli und Luciano Pavarotti. Aber singen wollte er damals wie der französische Schlagersänger Michel Sardou. Im Vorstadtkonservatorium von Saint Maur bekam er Unterricht von dem großen Pädagogen Yves Sotin, der ihn so gut vorbereitete, dass er mit Applaus in das Pariser Konservatorium aufgenommen wurde, wo Malcolm Walker ihm das Atelier Lyrique der Pariser Oper vorschlug. Dort sang er gleich, wie die anderen, kleine Comprimari-Rollen und wurde quasi von der Bühne weg in kleineren Theatern (Avignon, Metz, Luxembourg) für größere Rollen engagiert. Der wirkliche Durchbruch kam 2013 als neben Roberto Alagna in Paris in der Salle Pleyel Zurga in den „Perlenfischern“ sang – und dem großen Tenor mühelos das Wasser reichen konnte.
Neun Jahre später ist es für ihn auch sehr schnell gegangen und verfügt er über eine eindrucksvolle Rollenliste (die man im Internet lesen kann), vor allem im französischen Fach. Neben Zurga ist Golaud (in „Pelléas“) zurzeit seine signature-role, die er – übrigens auch mit Marc Minkowski – zum ersten Mal in Bordeaux gesungen hat (und schon zweimal auf CD aufgenommen hat). Die nächsten Aufträge sind auch französisch: Athanaël in „Thaïs“ (von Massenet) und der sehr seltene Gunther (Hagen) im „Sigurd“ von Reyer (nächste Spielzeit in Marseille). Doch im Gegensatz zu Florian Sempey drängt es ihn jetzt schon zu Wagner und Verdi. Ein Alberich in Stuttgart und ein Kurwenal in Lille stehen schon auf dem Programm. Und was wären seine Traumrollen? Er lächelt: „Rigoletto und natürlich der Fliegende Holländer“. Nächstes Interview in zehn Jahren – wenn er diese gesungen hat!
Waldemar Kamer [Bordeaux, 5. Juni 2022]