Austausch über das reiche Schaffen und die erlebten Höhepunkte im beeindruckenden Wirken von Marek Janowski.
Ein ganz besonderer Augenblick für unseren Redakteur, Dirk Schauß, war es, den renommierten Dirigenten Marek Janowski zu einem intensiven Gespräch zu gewinnen. In einer direkten und sehr persönlichen Begegnung im Orchesterprobenraum der Oper Frankfurt entfaltete sich ein faszinierender Austausch über das reiche Schaffen und die erlebten Höhepunkte im beeindruckenden Wirken von Marek Janowski.
Dirk Schauß und Marek Janowski. Foto: Schauß
Schauß: Meine erste persönliche Begegnung mit Ihrer Arbeit fand bei einer konzertanten Aufführung von „Das Rheingold“ in der Kölner Philharmonie statt. Etwa zwei Jahre zuvor hatte ich Ihr musikalisches Schaffen bereits bewusst wahrgenommen. Obwohl ich Aufnahmen von Ihnen besaß, war ich zu der Zeit noch recht jung in Bezug auf den „“Ring““ und hörte Ihre Aufnahme mit der Staatskapelle Dresden. Das war für mich ein völlig neues Erlebnis, im Vergleich zu dem, was ich zuvor gehört hatte. Das Auffallende für mich war, dass ich in Ihren Einspielungen mehr herausgehört habe als in anderen und vor allem am Anfang ein wenig verunsichert war. Alles schien so ungewohnt hell und durchsichtig. Das „Rheingold“ ist bekanntlich ein Dialogstück, wie wir wissen. Erst mit der „Götterdämmerung“ habe ich jedoch erkannt und verstanden, welch großen Bogen Sie über alle vier Stücke gespannt haben. Beim Hören der „Götterdämmerung“ dachte ich, dass sich hier ein „Ring“ schließt, eine emotionale Verdichtung, die mit jeder „Ring“-Oper intensiver wurde. In dieser Konsequenz hatte ich es zuvor nicht wahrgenommen.
Janowski: Damals haben wir uns in Dresden darum sehr bemüht, dass dies gelang, was Sie beschrieben. Ich hatte Wert darauf gelegt, große Abschnitte am Stück in einem Durchlauf aufzunehmen, was gut klappte. Daher erscheint mir diese Aufnahme auch so lebendig. Der Erfolg dieser Einspielung führte schließlich dazu, dass Bayreuth sofort danach bei mir anfragte. Sie sagten, Georg Solti sei mit dem „Ring“ nicht gut zurechtgekommen, und Wolfgang Wagner, damals der Festspielleiter, bat mich, den „Ring“ in Bayreuth zu dirigieren. Ich lehnte damals ab, und im Nachhinein glaube ich, dass dies die richtige Entscheidung war. Die komplexen orchestralen Verhältnisse in Bayreuth erfordern einfach mehr Erfahrung, und doch war Wolfgang Wagner über meine Absage sehr verärgert. Das führte dazu, dass Bayreuth erst mal nie wieder in Frage kam. Doch vor einigen Jahren erhielt ich überraschenderweise erneut die Gelegenheit. Obwohl ich die Inszenierung von Frank Castorf nicht überzeugend fand und sie eher als musikalische Einschränkung empfand, sagte ich: „Ich mache das!“ Jetzt bin ich 85, und das Angebot kam, als ich bereits 78 war. Wenn ich jetzt ablehne, werde ich von Bayreuth nie mehr in Betracht gezogen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten mit dem Orchestergraben und der Bühne, die ich für mich gelöst habe, hat es mir viel Freude bereitet. Trotz Meinungsverschiedenheiten mit der Regie, war es für mich eine äußerst positive Erfahrung in meinem späteren Leben.
Schauß: Als ich von Ihrem Engagement hörte – anfangs nur Gerüchte – dachte ich: Nein, das kann Janowski doch nicht machen, nicht den Castorf-„Ring“!
Janowski: Lassen Sie mich sogar einen Schritt weiter gehen, denn das kann ruhig als Anekdote erzählt werden. Es war von Anfang an klar, dass Herr Petrenko nicht die gesamten fünf Jahre dirigieren würde, in denen der „Ring“ in Bayreuth aufgeführt wird. Petrenko konnte nur die ersten drei Jahre übernehmen, und dann kam Katharina Wagner und bot mir die letzten beiden Jahre an. Ich hatte natürlich bereits über die Inszenierung gehört und wie schrecklich sie sein sollte. Im dritten Jahr von Herrn Petrenko bin ich dann zu den Proben gegangen und habe das „Rheingold“ im Saal gesehen. In diesem Moment wollte ich sofort abreisen. Die Repetitoren haben mich jedoch überredet, nicht sofort zu Katharina zu gehen, und so bin ich letztendlich geblieben. Castorfs Ansatz ist im Grunde nicht falsch, aber die extrem hinderlichen Positionierungen der Sänger für die musikalische Entwicklung waren unmöglich. Es war wirklich eine Herausforderung, aber im Nachhinein bin ich froh, dass die Repetitoren mich überzeugt haben, zu bleiben.
Schauß: Es gab auch noch das Extra mit dem Parsifal in Bayreuth für Sie.
Janowski: Ja, ich konnte für Herrn Haenchen einspringen, und es gab auch Überlegungen für spätere Engagements. So, ich glaube, alle zehn oder 15 Jahre stand Beethovens neunte Sinfonie in Bayreuth auf dem Programm, und Frau Wagner bot mir an, diese erneut zu dirigieren. Das hätte ich sehr gerne gemacht, aber leider fiel das genau in die Zeit der Corona-Pandemie. Jetzt sind diese Ereignisse natürlich schon weit in der Vergangenheit, aber ich möchte nicht sagen, dass ich meinen Beruf auslaufen lasse. Das ist alles noch im grünen Bereich. Allerdings hängt es damit zusammen, dass ich meine Position als Chefdirigent in Dresden beendet habe. Das Orchester hätte gerne gesehen, dass ich noch etwas länger geblieben wäre. Nach dem Schock für das Publikum durch Corona und den Bemühungen, ältere Menschen wieder in die Opern- und Konzertsäle zu locken, die überall stattfinden, ist das alles recht mühsam. Dieser Prozess der Publikumsgewinnung ist noch lange nicht abgeschlossen. Daher dachte ich, es wäre sinnvoll, dass jemand, der ein wenig jünger ist als ich mit meinen 85 Jahren, die konzeptionelle, stilistische und programmatische Verantwortung als Musikchef für ein Orchester übernimmt. Ich dirigiere immer noch gerne und kehre auch mit Freude als Gast nach Dresden zurück. Wenn man beim Rundfunkorchester ist, muss man sich vor dem Intendanten behaupten. Man muss sich immer vor das Orchester stellen, und das ist mit allen internen Problemen verbunden, die es in einem Orchester gibt. Es menschelt genauso wie in jeder anderen menschlichen Sozietät. Daher finde ich, dass es schön ist, als freiberuflicher Dirigent zu bestimmten Orchestern zu gehen, die mich immer wieder einladen, und dort meine Programme zu gestalten. Die Zukunft des Konzertformats bleibt so, wie wir es uns bisher vorgestellt haben: Ouvertüre, Konzert, Pause, Sinfonie. Diese alten Formate bleiben, aber wir müssen darüber nachdenken, wie wir sie mit einem neuen, oft weniger konzentrierten Publikum, vor allem jüngeren Menschen, umsetzen können. Da müssen Dirigenten zwischen 40 und 60 Jahren neue programmatische Überlegungen entwickeln. Das ist meine Haltung zu dieser ganzen Thematik. Es war schade in Dresden, als ich anfing, begann die Zeit mit Corona. Jetzt freue ich mich auf einige weitere Jahre als Freiberufler, auf Reisen und genieße das alles.
Schauß: Das ist wunderbar. Wenn man es von außen betrachtet, haben Sie ja lange genug, um es mal so auszudrücken, große Verantwortung getragen. Sie haben viele Positionen als Generalmusikdirektor innegehabt, und das begann schon früh bei Ihnen. Wenn man an die frühen Positionen denkt, zum Beispiel in Freiburg, haben Sie damals von Ihrem damaligen Intendanten im Grunde genommen eine „carte blanche“ erhalten. Das war wirklich ein großes Vertrauen, das in Sie gesetzt wurde.
Janowski: Ja, das stimmt, und man lernt natürlich viel in dieser Zeit. Als junger Generalmusikdirektor will man alles neu gestalten und lernen. Über die Jahre hinweg hat sich gezeigt, dass man sich an das Orchester und seine Mentalität anpassen muss. Wenn man längere Zeit mit einem Orchester arbeitet, versucht man diesem Orchester auch eine gewisse stilistische Handschrift zu verleihen. Das war immer mein Bestreben, und das ist mir bei einigen Orchestern, bei denen ich länger war, auch gelungen.
Schauß: Gab es in Ihren jungen Jahren tatsächlich eine Phase, in der Sie versucht haben, das Rad interpretatorisch neu zu erfinden, oder anders ausgedrückt, eine Phase des Überschwangs?
Janowski: Ich denke, ich war 32 oder 33, als ich in Freiburg angefangen habe. Das ist relativ spät. Zuvor hatte ich vor allem in der Hamburgischen Staatsoper unglaublich viel Opernerfahrung gesammelt. In dieser Zeit war alles, was gut und teuer war, auf der Bühne der Hamburgischen Staatsoper zu sehen. Alle großen Sänger sind mir dort begegnet. Ich habe das Deutschlanddebüt von Pavarotti an einem Montag für die Volksbühne in Hamburg dirigiert. Domingo ging ein und aus. Über diese Jahre hinweg habe ich also eine enorme Erfahrung in der Oper gesammelt. Das Handwerk war mir vertraut. Aber ich gehörte nicht zu denen, die gleich die Fünfte oder Achte von Bruckner dirigierten oder die Neunte von Schubert. Später habe ich diese Werke oft dirigiert, aber ich habe immer versucht, mir selbst zuzuhören, zu überlegen, was richtig ist und was nicht so recht funktioniert. Dann entwickelte sich meine eigene interpretatorische Klangfarbe. Die langen Jahre in Paris, wo ich 16 Jahre lang Chefdirigent war, haben mir geholfen, klangliche Vorstellungen zu verfeinern. In der Probe und sogar im Konzert folge ich der Tendenz, mir selbst zuzuhören und mich weiterzuentwickeln. Solange das so ist, bin ich meinem Schicksal dankbar, dass ich einigermaßen gesund bin. Das ist für mich ein großes Geschenk.
Schauß: Für mich sind Sie ein Sinnbild der Fokussiertheit. Ich finde es extrem beeindruckend, wie konzentriert und gelotet Sie wirken, wenn man Sie in der musikalischen Arbeit erlebt. Als Psychologe beobachte ich natürlich viel in meinem Beruf, und wir haben auch eine gemeinsame Verbindung zu Köln. Ich war der bundesweit erste Coach, der an einer Musikhochschule, in diesem Fall in Köln, angehende Dirigenten im Bereich der Kommunikation unterrichtet hat. Dabei geht es darum, wie ein Dirigent sich sprachlich ausdrückt, was enorm wichtig ist und oft vernachlässigt wird.
Janowski: Oh ja, das ist sehr wichtig.
Schauß: Bei Dirigenten, die bei mir einen besonderen Eindruck hinterlassen haben, wie Sie zum Beispiel, habe ich mir immer überlegt: Wie ist diese Persönlichkeit im Arbeitsprozess selbst? Wenn ich an Sie denke, Herr Janowski, bin ich gespannt, ob ich richtig liege. Ich schätze Sie so ein, dass Sie, wenn Sie könnten, am liebsten so wenig wie möglich sprechen würden und hoffen, dass das, was Sie zeigen und vermitteln möchten, sich von selbst kommuniziert.
Marek Janowski. Copyright: Felix Broede
Janowski: Ja, das ist tatsächlich so, aber leider geht das natürlich nicht. Orchester gewöhnen sich durch die Zusammenarbeit mit jüngeren Dirigenten immer mehr daran, dass diese Generation das Bedürfnis hat, musikalische Vorgänge dem Publikum durch Gestik zu vermitteln. Das halte ich in aller Bescheidenheit für völligen Unsinn! Der Dirigent sollte mit seiner Gestik dem Orchester vermitteln, was es als Musiker tun soll. Das Publikum sieht den Dirigenten natürlich, sollte aber vor allem hören. Heutzutage entwickelt sich das immer mehr in eine visuelle Richtung, die vom Kern des Musikalischen abweicht und glaubt, einer neuen oder jüngeren Zuhörergeneration musikalische Hörvorgänge visuell zu vermitteln. Ich halte das für falsch, auch wenn es heute so ist. Dadurch wird man natürlich als ältere Person allmählich zu einer Art Unikat, wenn man das nicht so macht. Ich bemühe mich, das nicht in dieser Expressivität zu tun, das war auch schon in meinen frühen Jahren so.
Schauß: Kam das von Ihren Lehrern wie Herrn Sawallisch?
Janowski: Nein, ich denke, das habe ich schon in meiner Schulzeit im Geigen- und Klavierunterricht gelernt, Respekt und Verehrung für das Stück zu haben, mit dem man sich gerade beschäftigt. Wenn man nur an diesem Werk interessiert ist, wird die Bedeutung von Bewegung und Gestik eher nebensächlich.
Schauß: Als ich mich auf unser Gespräch vorbereitete, kam mir die Frage in den Sinn: Vor Kurzem haben Sie Bruckners dritte Sinfonie mit dem SWR Sinfonieorchester dirigiert. Wie gestaltet sich die Erfahrung, ein und dasselbe Stück in kurzen Abständen mit unterschiedlichen Orchestern einzustudieren?
Janowski: Oh, das ist eine faszinierende Frage. Das geschieht recht selten, und es erfordert, die Erfahrungen mit dem vorherigen Orchester vollständig auszublenden, wenn man mit einem neuen Orchester arbeitet. So gehe ich vor: Ich erinnere mich daran, dass mir in der vergangenen Aufführung vielleicht dieses oder jenes nicht so gefallen hat, und dann denke ich: Das werde ich auf jeden Fall ändern. Wenn ich zuvor noch nie mit dem aktuellen Orchester gearbeitet habe, höre ich genau hin, erkenne durch meine langjährige Erfahrung schnell die Stärken und Schwächen des Orchesters. Jedes Orchester ist einzigartig, und man versucht, seine Interpretationsvorstellungen auf die Musiker zu übertragen. Bei der dritten Bruckner-Sinfonie ist es entscheidend, die Musik auf die Musiker abzustimmen, die gerade vor einem spielen. Die Tatsache, dass ich das Stück vor zwei Monaten woanders dirigiert habe, spielt zumindest für mich überhaupt keine Rolle.
Schauß: Also experimentieren Sie nicht mit völlig neuen Ansätzen?
Janowski: Nicht unbedingt.
Schauß: Wie war Ihr erster Eindruck bei der Zusammenarbeit mit diesem Orchester hier?
Janowski (lacht): Das müssen Sie die Damen und Herren hier fragen! Natürlich ist es wichtig, in der Zusammenarbeit zueinander zu finden. Ich arbeite effizient und schnell, was möglicherweise für den einen oder anderen anfangs ungewohnt ist. Doch wenn die Musiker sich daran gewöhnen, sind die Orchester am Ende immer zufrieden, wenn sie merken, dass der Dirigent effizient arbeitet. Ich denke, das trifft hier genauso zu.
Schauß: Sie sind zweifellos ein Dirigent der alten Schule und genießen hohe Wertschätzung am Pult. In der heutigen jüngeren Generation hat sich jedoch ein anderer Dirigententypus etabliert.
Janowski: Ja, die Hierarchien werden in neuen Generationen flacher.
Schauß: Ich stelle mir vor, dass es mitunter zu Spannungen kommen kann, da heute häufig ein anderer Dirigentenstil zu beobachten ist.
Janowski:
Wenn eine gute Arbeitsatmosphäre im Orchester da ist, geht man auf alle möglichen Dinge ein, wobei auch schon, als ich 35 oder 40 Jahre alt war und in Verantwortungen stand, gelegentlich früher dann mal so ausgetestet wurde, was man mit dem da vorne so machen kann unter Umständen. Das ist für denjenigen, der getestet hat, immer sehr schlecht ausgegangen, aber ich habe nie (auch Orchester Vorständen gegenüber), wenn ich geglaubt habe, dass es richtig war, Konflikte gescheut. Ich habe versucht, sie zu vermeiden, aber es sollte schon immer doch im Gesamtkonzept in die Richtung gehen, wie ich mir das so gedacht habe. Das hat sich für mich überhaupt nicht geändert. Und das Merkwürdige ist, da hat eine jüngere Generation zu Anfang Schwierigkeiten damit. Vor 30, 40 Jahren gab es diese Schwierigkeit nicht. Das hat sich jetzt verändert, und trotzdem stelle ich auch bei der einen oder anderen Person dann fest, dass die so nach zwei oder drei Proben sagen: Herr Janowski, Sie sind ja ein harter Knochen, aber im Grunde genommen merken wir ja deutlich, dass da was Gutes als Ergebnis herauskommt, und ich finde, das ist das Einzige, was eine Rolle spielt. Ja, das Ergebnis muss für sich sprechen.
Schauß: Früher konnte man die Orchester an ihrem einzigartigen Klang erkennen. Das gehört der Vergangenheit an.
Janowski: Es ist sehr interessant, dass Sie das ansprechen. Der französische Klang nähert sich immer mehr dem globalen allgemeinen Klangbild an. Man muss versuchen, das zu bewahren, da die zeitgenössische Musik, insbesondere durch komplexe Rhythmen, die Musiker dazu zwingt, sich ausschließlich auf die Motorik zu konzentrieren und weniger auf einen individuellen Klang. Dennoch bleibt ein französischer Holzbläsersatz etwas anderes als ein deutscher. Ein gutes französisches Orchester, wie die Pariser Orchester, hat einen anderen Zugang zum Klang, insbesondere bei einer Brahms-Sinfonie im Vergleich zu einem deutschen Orchester. Ich finde, das sollte unbedingt gepflegt werden, denn die Tendenz zur Uniformität nimmt immer mehr zu, was bedauerlich ist.
Schauß: Wenn Sie nun auf Ihre erfüllte und lange Dirigentenlaufbahn zurückblicken – und das ist für mich immer eine zentrale Frage – gibt es ein Credo, eine Lebensüberzeugung, die Sie durch diese wunderbare Zeit getragen hat?
Janowski: Für mich ist klares, nachvollziehbares Strukturieren in einem Orchestersatz das fundamentale Credo. Schnelle Noten müssen hörbar sein und dürfen nicht von langen, langsamen Noten überdeckt werden. Das ist für mich von enormer Bedeutung!
Schauß: Das passt sehr gut zu Ihnen. Ich musste zweimal lesen, weil ich dachte, es sei falsch veröffentlicht. Ich las, dass Sie Ende April 2024 in Stuttgart das „Rheingold“ dirigieren.
Janowski: Ja, das mache ich. Ich war schon mehrmals beim Stuttgarter Staatsorchester für Konzerte, und ich finde, es ist ein ausgezeichnetes Orchester. Die Musiker geben sich bei mir viel Mühe. Dann kam der Intendant der Stuttgarter Oper, Herr Schoner, und sagte: „Ich weiß, Sie machen das nicht mehr, aber würden Sie vielleicht die Wiederaufnahme vom ‚Rheingold‘ bei uns dirigieren wollen?“ Da habe ich zugestimmt. Ich habe einige Änderungen in der Orchesterbesetzung durchgesetzt – sie wechseln ja immer, das ist eine Herausforderung. Wenn es losgeht, komme ich gerade aus Tokio zurück. Ich lande morgens aus Tokio in Stuttgart und habe am Abend schon eine Probe. Von allen vier „Ring“-Opern halte ich nach wie vor „Das Rheingold“ für das größte Meisterwerk. Es verbindet Struktur und Klang auf so elegante Weise, wie es Wagner in der „Walküre“ nie mehr erreicht hat, vielleicht noch im ersten Akt von „Siegfried“, aber schon gar nicht in der „Götterdämmerung“. Ich freue mich auf die drei Vorstellungen.
Schauß: Aber Sie wissen, dass es besser ist, bei der Stuttgarter Produktion nicht nach oben auf die Bühne zu schauen.
Janowski: Das hat mir der Intendant auch gesagt.
Schauß: Ich habe mich gefragt, warum hat Marek Janowski so wenig Gustav Mahler dirigiert?
Janowski: Das ist eine berechtigte Frage. Als junger Dirigent habe ich alle seine Sinfonien in Freiburg und Dortmund dirigiert. Tatsächlich habe ich dabei festgestellt, dass das nicht meine Welt ist. Die ersten drei Sinfonien erscheinen mir verständlich, aber ab der vierten Sinfonie – mea culpa – kann ich mit dem Rest seiner Musik wenig anfangen. Deshalb denke ich, dass Menschen, die sich damit vollständig identifizieren können, dies besser übernehmen sollten.
Schauß: Obwohl Sie in den letzten Jahren immer wieder für die Leitung der dritten und sechsten Sinfonie angefragt wurden. Wollten Sie es noch einmal überprüfen?
Janowski: Ja, und es bestätigt sich immer wieder bei mir. Wenn jemand käme und sagen würde, Sie könnten die Dritte oder die Zweite machen, würde ich sagen: Mach ich! Das ist im Grunde genommen meine Mahler-Rückwärts-Perspektive. Musikalisch, nicht stilistisch, aber ab der vierten Sinfonie wird mir das alles zu sehr zu einem speziellen musikalischen Privatissimum. Damit stehe ich auch offen dazu, dass sich mein Interesse an Mahlers Musik stark begrenzt.
Schauß: Ich finde es bewundernswert, dass Sie das so ehrlich beantworten. Ich danke Ihnen sehr herzlich für dieses intensive und offene Gespräch.
Janowski: Es war mir ein großes Vergnügen.
Das Gespräch fand im Januar 2024 statt.