Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

INNSBRUCK/ Tiroler Landestheater: THE RAPE OF LUCRETIA – beklemmend und stark. Premiere

20.06.2021 | Oper in Österreich

foto nr. 6299 1 the rape of lucretia
Alec Avedissian (Tarquinius), Irina Maltseva (Lucretia) © Birgit Gufler

Innsbruck: „THE RAPE OF LUCRETIA“ – 19.6.2021 Premiere – beklemmend und stark

Benjamin Brittens Kammeroper „The Rape of Lucretia“ in der Inszenierung des Tiroler Landestheater-Intendanten Johannes Reitmeier bildet den Ausklang einer coronabedingt kurzen Spielzeit in Innsbruck. Der Stoff dieses 1946 entstandenen musikalischen Bühnenwerks – die Vergewaltigung der römischen Generalsehefrau Lucretia durch den etruskischen Tyrannen Tarquinius, ihr Selbstmord und der römische Aufstand gegen die Etrusker – geht auf den römisch-antiken Geschichtsschreiber Titus Livius zurück und wurde von Ronald Duncan, Brittens Librettisten, mit einer katholischen Botschaft versehen: Hoffnung auf die Erlösung durch Jesus Christus angesichts einer schlechten Welt, in der Grausamkeiten, wie Lucretia sie erleiden musste, möglich sind; nicht zu vergessen der zeithistorische Kontext von Brittens Kammeroper unmittelbar nach den Gräueln des Zweiten Weltkrieges.

foto nr. 2006 the rape of lucretia
Jennifer Maines (Erzählerin) © Birgit Gufler

Johannes Reitmeiers Inszenierung beeindruckt durch ihre kompakte Anlage, Schlüssigkeit und glasklare Linie. Offenbar ließ er sich von Brittens Musik, geschrieben für Streichquintett kombiniert mit Flöte, Oboe, Klarinette, Fagott, Horn, Harfe und Schlagwerk, inspirieren, denn so bildhaft, reichhaltig, doppelbödig und sparsam zugleich wie diese ist auch Reitmeiers Inszenierung, die das Stück in die Gegenwart verpflanzt. Spielerischer Umgang mit Symbolen (zum Beispiel Blumen verschiedener Art) und eine stringente Personenführung, in der jede Bewegung, jede Geste ihren Sinn hat, zeichnen eine Regie aus, die sich vor dem Hintergrund beeindruckend schlichter und aussagekräftiger Bühnenbilder (von Michael D. Zimmermann) abspielt. Es braucht nicht viel, damit das Setting stets klar ist: den Barraum eines Offizierskasinos, Lucretias Wohnstube, deren wohltuende Ästhetik nahezu unmerklich durch ein Gemälde an der Wand, das das Verbrechen an Lucretia quasi vorwegnimmt, irritiert wird, ihr Schlafgemach und schließlich einen nur angedeuteten sakralen Erinnerungsraum, um die religiöse Schlussbotschaft, die in Wort und Musik ja ohnehin dick aufgetragen wird, dezent abzufedern. Und dazwischen gesellschaftspolitische Visualisierungen durch entsprechende Videoprojektionen, denn im Grund genommen ist das Lucretia-Thema gesellschaftspolitisch: Es geht um verstörende Geschlechterklischees, Machtmissbrauch gegenüber Frauen und was dieser bei den Opfern bewirkt.

foto nr. 6583 the rape of lucretia
Camilla Lehmeier (Bianca), Annina Wachter (Lucia) © Birgit Gufler

Die Stärke der Gesamtproduktion liegt zweifellos aber auch in ihrer Besetzung. Irina Maltseva (Mezzosopran) als Lucretia vermag die ungeheure Tragik ihrer Figur beklemmend und stimmlich überzeugend darzustellen, ebenso wie Alec Avedissian (Bariton), der stark in allen Stimmlagen die blindwütige Machtgier des Prinzen Tarquinius verinnerlicht. Seine zunächst „fratres in vino“ und letztlich Opfer und Gegenspieler, die Bässe Johannes Maria Wimmer (General Collatinus und Lucretias Ehemann) und Unnsteinn Árnason (General Junius), überzeugen durch stimmliche Präsenz und Pointiertheit, ebenso wie ihre weiblichen Gegenbilder, die Mezzosopranistin Camilla Lehmeier (Bianca) und Sopranistin Annina Wachter (Lucia). Auch diese „Gefährtinnen“ Lucretias sind in Brittens sehr „demokratischer“ Musik alles andere als bloße Nebendarstellerinnen, haben viel zu singen und treiben die Handlung mit engagierter Wärme (Lehmeier) und faszinierend aufblitzenden Koloraturen (Wachter) voran. Und dann gibt es noch eine Erzählerin und einen Erzähler, die einerseits die Handlung kommentieren, gelegentlich in die Köpfe der Hauptakteure eintauchen und Teil der Handlung werden: der stimmlich grandiose Dale Albright und die abgeklärte, überzeugend auftretende Jennifer Maines. Sie alle profitieren vom einfühlsamen Kammerorchester, das sich aus Mitgliedern des Tiroler Symphonieorchesters Innsbruck zusammensetzt, und ihrem inspiriert und umsichtig dirigierenden Chef Kerem Hasan.

Thomas Nußbaumer

 

 

 

Diese Seite drucken