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Insel der Freude: JUDITH JÁUREGUI (piano) möchte einfach nur ehrlich sein

03.04.2019 | Instrumentalsolisten

Insel der Freude: Judith Jáuregui möchte einfach nur ehrlich sein

Diese Klangwelt beglückt und entrückt: Die baskisch-spanische Pianistin Judith Jáuregui versenkt sich auf ihrer neuesten CD in die Farbenpracht eines Claude Debussy, legt aber auch durch die Kombination mit anderen Komponisten die Voraussetzungen und Konsequenzen dafür offen. Fazit: Debussys spezifische Klangmagie ist in diesem Programm weit über dessen „Estampes“ und die verführerische „Isle Joyeuse“ hinaus präsent – etwa in Manuel de Fallas Hommage „Pour le tombeau de Claude Debussy“, der weitgespannten Ballade Nr 2. aus Franz Liszst Spätwerk oder Frédéric Chopins Andante Spianato, die die Seelenverwandtschaft aller Beteiligten mit der spanischen Kultur unterstreicht. Und auch Frederico Mompous „Jeunes Filles au jardin“, welches dieses Programm beschließt, liegt auf einer verblüffend stimmigen gemeinsamen Linie. Im Gespräch mit Stefan Pieper unmittelbar nach ihrem Auftritt im Salon Bösendorfer bekannte sich Judith Jáuregui zur musikalischen Ehrlichkeit.

Haben Sie sich für Ihre neueste CD bewusst für eine Liveaufnahme entschieden?

Eigentlich war die Aufnahme gar nicht geplant. Es handelte sich um ein Konzert, zu dem mich Bösendorfer eingeladen hatte. Wir haben dann in Wien spontan aufgenommen. Als ich das Audio bekommen habe, war ich sehr begeistert – vor allem von der Ehrlichkeit des Moments.
Ich wollte die Aufnahme eigentlich nur als private Erinnerung behalten. Aber ich hörte so viel spezielles und schönes drin. Es war spontan, trotzdem gelang die Aufnahme sehr professionell. Ob es daran lag, dass ich einfach ohne irgendeinen Erwartungsdruck gespielt habe? Normalerweise sagen die Leute nein!- pass auf, aber alle sagten Mach das! Das ist ein toller Moment! Eine Liveaufnahme ist etwas besonderes. Sie hat eine große Ehrlichkeit, an die ich glaube. Es ist wie ein Foto von einem Moment.

Sie haben ja schon ein eigenes Label gegründet – aber der Livemitschnitt erscheint nun bei ARS. Warum?

Ich freue mich über die künstlerische Freiheit, die mir mein eigenes Label gestattet. Ich habe dort schon CDs mit Skrjabin, mit Szymanoswki und mit spanischer Musik veröffentlicht. Gleichzeitig entwickelt sich meine Karriere aber immer weiter, so dass ich auch auf internationalere Bühnen komme, was mich sehr freut. Da brauche ich jetzt mal ein Label mit internationaleren Vertriebsstrukturen. Mein Team hat mich mit dem Label ARS-Produktion verbunden. Die Verbindung war ab dem ersten Moment sehr gut. Dieses Label steht für künstlerische Freiheit und verfügt über eine große Erfahrung. In den letzten 30 Jahren haben sie viele junge Talente entdeckt. Ebenso engagiert sich dieses Label für Repertoire abseits des Mainstreams. Ich möchte diese Kollaboration auf jeden Fall künftig noch weiter ausbauen.

Was muss zusammenkommen, dass eine gute Interpretation entsteht, von der Sie hinterher selbst begeistert sind?

Ehrlichkeit ist am wichtigsten. Zu mir selbst, aber auch dem Komponisten gegenüber. Diese Ehrlichkeit beginnt bei einem wirklich tiefempfundenen Klang und aufrichtigen Ton in der Musik. Dafür muss man sich auch mal während des Spiels in die Rolle des Zuhörers begeben. Beim Spielen wirklich bewusst hören, das ist ein sehr interessanter und absolut nötiger Erfahrungsprozess sein. Dadurch wird man freier. Emotional frei zu sein ist am wichtigsten. Ich will und muss als Mensch frei sein, wenn ich der Musik begegne.

Was macht die Konzertsituation mit Ihnen?

Es ist mir sehr wichtig, in einem Konzert vor Publikum zu spielen. Mit einem Publikum zusammen können wir unsere Herzen teilen. Es gibt nichts schöneres, als etwas zu teilen. Seit meinem 8. Lebensjahr bin ich begeistert davon, in einem Konzert zu teilen, was ich fühle.
Ich habe eine sehr schöne Erinnerung an einen Auftritt in einem Seniorenheim. Da lebten Menschen, die dort nicht mehr so einfach weg können, deren Leben auf diesen Ort reduziert ist. Ich habe dann versucht, ihnen wenigstens über meine Musik eine temporären Fluchtweg, eine imaginäre Reise zu zaubern. Sie können sich nicht vorstellen, was für eine Dankbarkeit ich bei diesem Konzert erntete.

Was macht Sie frei?

Reisen, Lesen und die Natur. Man muss sich beim Musizieren gehen lassen und in der Vorstellung reisen. Das sind wichtige Elemente für mich. Kunst ist ja immer Emotion. Es gibt Leute, die Angst vor klassischer Musik haben, weil sie die nicht verstehen. Klassische Musik ist ja auch Leben und Emotion. Wer versteht das Leben? Niemand. Wieviel Glück haben wir, dass wir mit Musik so viel reisen können? Das ist das Schönste in meinem Leben. Zu so vielen Plätzen und Emotionen.

Wohin reisen Sie, wenn Sie zum Beispiel Debussy spielen?

In den „Pagodes“ ist diese starke Prägung durch die asiatische Kunst. Debussy hat sich dafür bei der Weltausstellung in Paris begeistert, als er zum ersten Mal Asien entdeckte. Natürlich identifiziere ich mich mit dem ganzen spanischen Kolorit. Viele Menschen sagen, dass die Franzosen die beste spanische Musik geschrieben haben – Debussy, Ravel oder Charbrier. Debussy war sehr fasziniert von Spanien und er hat in seiner Musik die Farben Andalusiens vortrefflich gemalt. Debussy war meiner Meinung nach ein besonders ehrlicher Komponist. Er hat gesagt, es gibt keine Regeln und kein einfaches richtig und falsch im Leben. Kunst ist der Momentaufnahme verpflichtet und die Freude daran ist das einzige Gesetz.

Wie ist es gerade zu dieser Stücke-Abfolge bei diesem Konzertmitschnitt gekommen?

Alles fließt hier in einem Bogen zusammen – gerade das war meine Idee! Wenn ich ein Programm baue, will ich alles in einen natürlichen Atem bringen. Es mag Kontraste geben, zum Beispiel wenn wir von L’isle joyeuse zu Chopins Andante Spianato gehen – aber dazwischen lebt eine natürliche Verbindung. Nur dadurch entsteht das gesamte Bild in seiner Vielfalt. Deswegen habe ich diese Auswahl getroffen.

Wie sehen Sie dieses aktuelle Projekt in Ihrer Gesamtentwicklung? Würden Sie sagen, Sie sind hier bei etwas angekommen?

Ich will viel entwickeln und möchte noch ganz viel erfahren. Ich fühle mich zu jung, um mich schon auf etwas zu spezialisieren. Ein großes Thema war das Repertoire an der Schwelle zwischen der Romantik und dem 20. Jahrhundert. Der Klaviersatz dieser Stilepoche ist so reichhaltig. Es gibt so dichte klangliche Aspekte. Ja, dies ist schon ein Schwerpunkt im Moment. Nächstes Jahr kommt das Beethoven-Jahr, da möchte ich gerne Verbindungen zwischen Haydn, Brahms, Schubert und eben Beethoven erforschen. Aber ich fühle mich auch sehr wohl mit Mozart und Haydns Concerti.

Wie sieht es mit der musikalischen Gegenwart aus?

Wir als Interpreten haben eine hohe Verantwortung für die Musik, die geschrieben ist. Ich bin aber auch offen für die Komponisten der Gegenwart. Wir brauchen sie und sie brauchen uns. Ich konnte früher nie glauben, wie viel Musik es gibt, die wir noch nicht kennen. Es gibt keine Grenzen.

Eine große Inspiration war für mich Amy Beach, eine Pianistin aus Amerika im 20. Jahrhundert. Sie hat ein unglaubliches Klavierkonzert geschrieben. In Sevilla und Madrid habe ich kürzlich an einer Aufführung von Weinbergs Quintett mit dem deutschen Signum Quartett mitgewirkt. Dieser Komponist rangiert auch nicht in erster Reihe, aber ist eine unglaubliche Musik.
Ich hatte unlängst auch ein Jazzprojekt mit einem kubanischen Pianisten Pepe Rivero zusammen auf zwei Klavieren – ebenso im Trio, wo wir etwas mit spanischer und lateinamerikanischer Musik machen. Auch das ist faszinierend und schön.

Haben Sie immer schon Klassik und Jazz gleichzeitig betrieben?

Ich liebe einfach Musik und will keine Grenzen ziehen.

Selbst auf der vorliegenden CD gibt es genreübergreifende Schnittstellen. Debussys Musik hat durchaus modale Tonskalen, die einem Jazzstück auch gut zu Gesicht stehen.

Ja, auf jeden Fall. Bei Ravel ist es nicht anders. Frederico Mompous Musik weist auch viele solcher Elemente auf. Ebenso ist da ein populäres Lied aus Katalonien zu hören.

Gibt es weiter Konzerte mit Ihrem aktuellen Programm?

Ja, am 10. April gastiere ich in Berlin im Pianosalon Christophori, später dann in Portugal und Frankreich. Und inzwischen reise ich nach Tschechien mit De Falla’s „Nächte in den Spanischen Gärten“. Danach folgen verschieden Projekte in der Schweiz. Wie gesagt: Es gibt nicht schöneres, als mit Musik die Welt zu entdecken.

CD Judith Jáuregui
Pour le Tombeau de Claude Debussy
Live from Vienna

Judith Jauregui, piano

ARS-Produktion 2019

 

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