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INNSBRUCK/Tiroler Landestheater: LA GIOCONDA – – ungetrübter Musikgenuss, aber – vergiss Venedig!! Premiere

26.11.2017 | Oper

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Jennifer Feinstein (Laura), Viktor Antipenko (Enzo), Elena Mikhailenko (Gioconda). Foto: Rupert Larl.

INNSBRUCK/ Tiroler Landestheater – „LA GIOCONDA“ – ungetrübter Musikgenuss, aber – vergiss Venedig!! Pr. 25.11.2017

131 Jahre mussten vergehen, ehe Amilcare Ponchiellis große romantische Oper endlich die Opernbühne von Innsbruck erreicht hat. Während das Hauptwerk des Maestro aus der Gegend von Cremona in Italien stets gepflegt und aufgeführt wird (im kommenden Frühjahr z. B. in Piacenza und Reggio Emilia) und auch – zumindest in der Vergangenheit – an der MET dank illustrer Stars wie Rosa Ponselle, Zinka Milanov, Renata Tebaldi, Franco Corelli, Carlo Bergonzi usw. häufig gespielt wurde (die vielen Live-Mitschnitte dortiger Aufführungen belegen es), führt das prachtvolle Werk in unseren Breitengraden ein eher bescheidenes Dasein. Dabei bietet „La Gioconda“ musikalisch alles, was das Herz eines Melomanen höher schlagen lässt: herrliche Arien, erregende Duette, gewaltige Ensembleszenen – eine späte Grand Operà mit Blick in die Zukunft (Richtung Verismo). Die eher krude Handlung nach Victor Hugos Schauerdrama „Angelo, tyran de Padoue“ wurde von Tobia Garrio ( = Arrigo Boito) textlich für die Oper eingerichtet und feierte 1876 in Mailand (Scala) eine viel bewunderte Uraufführung. Doch der Komponist nahm immer wieder Änderungen vor, insgesamt fünf an der Zahl. 1880 kam es, wieder an der Mailänder Scala,  zum erneut bejubelten Erfolg der nun endgültigen Version.

Musikalisch ist die „Gioconda“ ein Werk des Übergangs – einige Gesangsnummern erinnern an den späten Donizetti, die großen Chortableaus nehmen es durchaus mit Verdi auf und aus mancher Musiknummer lassen sich Anklänge von Ponchiellis Schülern Mascagni und Puccini erahnen. Die effektvolle Ballettmusik im dritten Akt, bekannt als „Tanz der Stunden“ erlangte weltweit Wunschkonzertpopularität und fand sogar Eingang in die Filmindustrie („Fantasia“) sowie der Werbeindustrie. Eine Oper also wie geschaffen für spektakuläre Arenen-Aufführungen (erinnert sei an den Durchbruch der damals 24jährigen (!!) Maria Callas in der Arena di Verona), aber auch für Opernhäuser, die sich den gewaltigen Anforderungen stellen und über eine erstklassige Besetzung verfügt. Nicht weniger als sechs Hauptrollen gilt es zu besetzen, jeder nur vom ersten Fach. Mit der Titelfigur beschenkte Ponchielli dramatische Soprane die imstande sind, den etwas zwiespältigen Charakter glaubwürdig zu verkörpern, aber auch den immensen gesanglichen Anforderungen der Rolle gerecht zu werden. Nicht zu Unrecht bezeichnete die unvergessene Leonie Rysanek, die die Gioconda in den 70ern des 20. Jhdt. an der Deutschen Oper Berlin sang, diese Rolle und jene der Norma als die ihres Wissens schwersten, die das italienische Repertoire zu bieten hat.

Am Tiroler Landestheater hat sich ein Ensemble zusammengefunden, das den hohen gesanglichen und darstellerischen Ansprüchen vollauf entspricht. Elena Mikhailenko (Gioconda) verfügt über einen warm getönten dramatischen Sopran mit wunderschönen Piani. Großartig das Duett mit Laura im 2. Akt, zu grandioser Form auflaufend im alles fordernden 4. Akt (Höhen, Tiefe, langes Terzett, Koloraturen in der Szene mit Barnaba). Einfach sensationell! Jennifer Feinsteins Laura beeindruckt mit einem Mezzosopran von beachtlichem Umfang und Durchschlagskraft, dem es noch ein wenig am letzten Schliff mangelt. Aber welch ein Talent kündigt sich da an! Der junge großgewachsene Engländer Dominic Barberi beeindruckt als persönlichkeitsstarker Alvise mit beachtlichem, klangschönem Bassmaterial (besonders im dramatischen Duett mit Laura im 3. Akt). Ganz oben in der Publikumsgunst stand die wunderbare Anna Maria Dur, die der Cieca berührendes Profil verlieh und ihre Arie im 1. Akt zu einem Höhepunkt werden ließ. Viktor Antipenko (Enzo), ein international erfolgreicher Tenor aus St. Petersburg, ersang sich mit seinem schön timbrierten, schmelzreichen, in der Höhe leider etwas dünn werdenden Tenor verdienten Jubel für ein betörendes „cielo e mar„. Barnaba, die Inkarnation des Bösen und wohl der infamste aller Opernschurken (von Gessler über Hagen, Jago, Scarpia bis hin zu Francesco Cenci), fand in Marian Pop eine höchst beeindruckende, nie überzeichnende Verkörperung. Besondere Erwähnung verdienen der Gänsehaut erzeugende Monolog sowie das Duett mit Enzo im 1. Akt.  Eine überragende Leistung des weltweit gefragten rumänischen Baritons, die vom Publikum seltsamerweise nicht angemessen gewürdigt wurde. Sonst werden doch gerade die Bösewichte am meisten bejubelt! Das hochkarätige Ensemble ergänzten der mit Wohlklang ausgestatte Unnstein Arnason (erfreulicher Bass-Ensemble-Zugang am TLT) als Zuane, der solide Chor-Solist William Tyler Clark (Isepo) sowie der sich in großer Form aufschwingende Chor und Extrachor des TLT, bestens vorbereitet vom verdienten Chordirektor Michel Roberge. Ein  „Tanzensemble“ von lediglich sechs nicht näher bezeichneten Tänzern sorgte für sportiven Aufputz (nach einer Choreographie von Martin Chaix, für das TLT eingerichtet von Randy Diamond) und eine ungewohnte, aber brillant-durchdachte Umsetzung des viel strapazierten „Stundentanz“ unter Einbeziehung des gesamten Ensembles. Toller Einfall – mehr soll nicht verraten werden.

Am Pult des sich in großer Form aufspielenden Tiroler Symphonieorchester Innsbruck war ein für Innsbruck neuer, hervorragender Maestro seines Fachs zu entdecken. Der italienische Dirigent Francesco Rosa liebt das Auskosten der Kantilenen, das Ausschwingen der symphonischen Elemente. Trotz des eher breiten Dirigats riss die Spannung nie ab. Raffinesse anstatt Plakativ-Knalliges. Rosa hat das Innsbrucker Publikum im Sturm erobert. Nachzufragen wäre, warum ausgerechnet die bekannte Barcarole Barnabas im 2. Akt gestrichen, der Eingangschor ( „Feste e pane„) nach Giocondas (und in dieser Regie auch Barnabas) Tod wiedergegeben wurde. Dirigenten-/Regiewillkür oder eine von Ponchiellis Bearbeitungen, die mir noch nicht untergekommen ist?

Uneingeschränkter, begeisterter Publikumsjubel für die musikalische Seite des Abend, jedoch unerwartet heftiger Widerspruch beim Auftreten des Regie-Duos Alexandra Szemerédy und Magdolna Parditzka (verantwortlich für Regie/Bühne/Kostüme). Wurden sie deshalb so heftig abgestraft, weil sie kein Postkarten-Venedig des 16. Jhdt. samt prächtiger Kostüme und Palazzi, sondern die Handlung einen totalitären Überwachungsstaat (man denkt sofort an die DDR oder andere kommunistische Länder in der 2. Hälfte des 20. Jhdt.) auf die Bühne hievten? Im Prinzip sind die beiden jungen Ungarinnen tief in Hugos Vorlage eingedrungen und haben eine spannungsreiche, unverkrampfte Personenregie ersonnen. Bei Hugo herrschte das Spitzelwesen im Auftrag des Rates der Zehn, hier in dieser Inszenierung jenes eines hohen Militärbonzen mit seinen Vasallen und Barnaba an deren Spitze. Passend zur zeitlichen Verlegung der Handlung sind die für uns „Westler“ wenig vorteilhaften erscheindenden Kostüme der Damen, die Herren wurden besser bedient. Nicht uninteressant die Idee, Cieca vor ein Gericht zu bringen und dort von Laura verteidigt zu werden. Wenig einleuchtend ist die häufige Vermischung von Innen- und Außenräume – Personen, die „draußen“ sein sollen, bewegen sich „innen“  oder umgekehrt. Was sich im Kopf erdenken lässt, kann nicht immer 1:1 in die Realität umgesetzt werden. Unnötig die Drastik im Finale des 2. Aktes. Eine merkliche Applausabschwächung als Zeichen der Unzufriedenheit wäre zu tolerieren gewesen, nicht jedoch dieser überzogene Buhsturm, dem sich allerdings immer mehr Bravos entgegenstemmten.  Da gab es in der Vergangenheit doch ab und zu berechtigt Ablehnenswerteres, das dann ohne Murren akzeptiert und brav beklatscht, ja bejubelt wurde.

In Summe: ein absolut lohnender Abend auf Großstadtniveau, zumindest aus musikalischer Sicht. Dank an die Intendanz, dass nun, nach Catalani und Cilea, auch Ponchielli am Tiroler Landestheater Einzug gehalten hat. Wie wäre es, diese Reihe fortzusetzen – etwa mit Zandonai (geb. in Rovereto bei Trient zu K. u. K.-Zeiten!)…..    

Dietmar Plattner

PS: Die Übertitelung stammt vom Kooperationspartner dieser Produktion, dem Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen. Sie passt sich an die optischen Vorgaben an – mit einigen Ungereimtheiten.

 

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