Innsbruck
„PEER GYNT“ Tanztheater 2.1.2016 (UA 24.10.15) – Zwischen Tiefgang und Banalität
Herausragende Nebenrolle: Samuel Maxted als Knopfgießer. Copyright: Rupert Larl
Es wäre eine große Chance gewesen, Henrik Ibsens bislang kaum für die Sparte Tanz entdecktes bzw. genutztes dramatisches Gedicht, inspiriert von der stimmungsreich eindringlichen Musik von Edvard Grieg auf die Bühne zu bringen. Doch Innsbrucks Tanzchef Enrique Gasa Valga setzt bei seiner Kreation lieber auf eine Vergegenwärtigung des Titelhelden, obwohl der rastlose und aufschneiderische Bauernsohn bereits zur Entstehungszeit einen ungewöhnlich modernen Prototypen markierte. Wie geschickt traditionelle Bezüge und zeitlose Ebenen auch musikalisch miteinander verknüpft werden können, zeigte vor einigen Jahren Heinz Spoerli mit seinem damaligen Zürcher Ballett, indem er Grieg teils verstörend schroffene, aber immer zur Situation passende zeitgenössische E-Musik gegenüberstellte. Die Kombination bzw. Konfrontation mit Pop-Songs, deren Text ohnehin kaum verständlich ist, lässt Gasa Valgas Arbeit zur Zerreißprobe zwischen menschlicher Tiefe und Oberflächen-Show werden. Radikale Übergänge vom einen zum anderen stören Griegs Komposition auch deshalb so empfindlich, weil deren poetische Qualität dadurch um so mehr bewusst wird.
Die sich durch das ganze Stück ziehenden elektro-akustischen Geräusch-Arrangements des Tiroler Klanggestalters Peter Kollreider erweisen sich dagegen als stimmigere Ausdrucks-Transporteure zur Gegenwart, vor allem dort, wo sie wie beim Schiffbruch Peer Gynts die bedrohlich gesteigerte Kulisse des tosendes Meeres sogar noch stärker einfangen als Griegs Version. Auf der Habenseite steht auch die dramaturgische Gliederung in kurzen, unmittelbar ineinander übergehenden Szenen, die sich an der Reihenfolge von Ibsen orientiert. Die Basis dafür schafft ein die Bühne dominierendes, auf mehreren Ebenen begehbares und drehbares Stahlgerüst, auf dessen Außenseite durch Computer-Animationen bewegte Bilder und Stimmungen geschaffen werden, die die Schauplätze zwischen norwegischer Heimat und diversen Stätten von Gynts Orient-Reise skizzieren. Einige große Gesteinsformationen sind dazu ergänzend die einzigen realistischen Requisiten (Bühne: Helfried Lauckner). Auch die Kostüme von Dorothee Schumacher (Damen) und Andrea Kuprian (Herren) sind größtenteils eine gelungene Mischung aus ländlichen Ansätzen und phantasievoll geschnittenen Formen.
Gasa Valgas choreographische Einfälle entsprechen dem Wechsel aus rastlosem Abenteuer und eingestreuten Phasen des Innehaltens, offenbaren aber auch das Qualitätsgefälle von klassische Muster durchaus gewinnend aufgreifenden Figuren und seichten rhythmischen Showtanz-Elementen. Da stehen kunstvoll aufgebaute Pas de deux und Gruppen sowie Breakdance-Anleihen verratende Arrangements neben flachen Formationen, die aus dem sonstigen Oeuvre des Choreographen hinreichend bekannt sind.
Lore Pryszo (Solveig) und Samuel Francis Pereira (Gynt). Copyright: Rupert Larl
Dies beeinflusst mehr oder weniger auch die Prägnanz der einzelnen Rollen: Samuel Francis Pereira beherrscht als ununterbrochen geforderter Titelheld Figur und Bühne durch ein jugendliches Charisma mit einer guten Portion Sexappeal, zeigt aber beim auf den jahrelangen Wanderfahrten Reifenden keine (auch durch die Maske durchaus mögliche) Altersentwicklung, die den philosophischen Aspekt des gerne als „Faust des Nordens“ bezeichneten Peer Gynt unterstützen würde. Als positiv ist seine flexible Dynamik zwischen akademischer Haltung und expressiver Lockerheit zu betrachten.
Chiara Ranca als verführerische Anitra. Copyright: Rupert Larl
Die Frauen seines Lebens profitieren auch mehr oder weniger von der Gewichtung der Choreographie: Marie Stockhausen ist als Mutter Aase eine mögliche, in ihrer wenig Gefühlstiefe zeigenden Sterbeszene keine zwingende Besetzung, Natalia Fioroni die lieblich herzhafte, von Peer geraubte Braut Ingrid, Chiara Ranca als verführerisch sinnliche und ihren zarten Solo-Tanz geschmackvoll servierende Anitra die stimmigste Figur, Anna Romanova die passend Besitz ergreifende grüngekleidete Tochter des wenig auffallenden Trollkönigs Gabriel Marseglia und Lore Pryszo die schlicht gezeichnete und mit Herz berührende Solveig, in deren Zeiten überdauernder Liebe und Treue Peer endlich zu sich selbst findet. Auch in den Episodenpartien ein Spagat zwischen Licht und Schatten: Samuel Maxted imponiert nicht zuletzt aufgrund seiner alle überragenden Größe, seiner schnittigen Körperspannung als Peer zur Besinnung rufender Knopfgießer; Léo Maindron hinterlässt dagegen als schrill ausstaffierter und poppig in Szene gesetzter Professor Begriffenheit nur Rätsel. Ebenso kontrovers: der von Mingfu Guo klar umrissene Bräutigam Ingrids; Maiko Furuuchi, Alessia Peschiulli und Alice White als in kurzen schwarzen Kleidchen irritierende Sennerinnen.
Immerhin gelang es am Ende trotz Verzicht auf Griegs Klänge mit einem sinngemäß in die Jetztzeit führenden Song von Johnny Cash, dessen genau aufgegriffener Rhythmik und einem symbolisch beeindruckenden Schlussbild mit den erwähnten Fehlern ein Stück weit zu versöhnen: Peer und Solveig erklettern Hand in Hand das Gerüst, verbleiben zunächst in einem schmalen Fensterausschnitt, ehe sich dieser schließt und Himmelserscheinungen über die Wand flimmern – ein nachhaltiges Bild für die in die Ewigkeit eingehende Liebe des geprüften und daraus gestärkten Paares.
Udo Klebes