Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

INNSBRUCK/ Tiroler Landestheater: SIMON BOCCANEGRA

17.12.2018 | Oper


Rats-Szene mit Kiril Manolov. Foto: Rupert Larl

Innsbruck: „SIMON BOCCANEGRA“ – Tiroler Landestheater  – 16.12.2018

Der „Boccanegra“-Liebhaber wird nie verstehen, warum dieses Meisterwerk Giuseppe Verdis von der breiten Masse nicht jene Wertschätzung erfährt, die ihm zweifelsfrei zustehen würde. Dabei hat diese 1857 uraufgeführte, 1881 überarbeitete Oper über den ersten vom Volk gewählten Dogen Genuas alle Ingredenzien, die für einen fesselnden Opernabend erforderlich sind – scharf gezeichnete Charaktere, prachtvolle Arien, Duette und Ensembles, eine faszinierend ausgearbeitete Orchestrierung und eine Handlung, die so schlecht (weil angeblich sehr verworren) auch wieder nicht ist, wie immer wieder behauptet wird. Ginge es nach diesem Kriterium, müssten etliche Standardwerke aus dem Repertoire auf Logik hinterfragt werden.


Barno Ismatullaeva (Amelia), Kiril Manolov (Simon. Foto: Rupert Larl

Nach über 40jähriger Abwesenheit kehrte nun (Premiere 24.11.) Verdis Lieblings-, aber auch Sorgenkind, wieder auf die Bühne des TLT zurück. Dank einer hochkarätigen Sängerschar, des klangschön singenden und beherzt spielenden Chores und Extrachores des TLT (Einstudierung Michel Roberge) und dem in großer Form aufspielenden Tiroler Symphonieorchester Innsbruck unter der überlegenen, spannungsgeladenen, Details auskostenden Stabführung von Francesco Rosa wurde das Publikum mit einer im musikalischen Bereich auf großstädtischem Niveau stehenden Aufführung vorweihnachtlich beschenkt. Der hünenhafte bulgarische Bariton Kiril Manolov, ein Verdi-Bariton der Extraklasse (2019 Mutis Amonasro in Chicago), durchlebt die anspruchsvolle, vielschichtige Titelpartie mit bewundernswertem stimmlichem Einsatz und glaubwürdigem Spiel. Michail Ryssov (Fiesco) ließ einen beachtlichen, durchschlagskräftigen Bass mit gelegentlich fahlem Timbre vernehmen, das jedoch gut zur Rolle des unnachgiebigigen Adeligen, der erst im Finale zur Versöhnung bereit ist, passt. Der jungen usbekischen Sopranistin Barno Ismatullaeva (Amelia) wird bereits jetzt eine große Karriere vorausgesagt. Die bildhübsche, sich gelegentlich maniriert gebende Sängerin verfügt tatsächlich über eine Stimme von beachtlicher Qualität und Volumen. Frühlingsfrisch perlen die Töne aus ihrer Kehle, raffiniert gesponnene Pianiphrasen sind jedoch keine zu hören gewesen. Der St. Petersburger Viktor Antipenko scheint seit seinem letztjährigen Enzo (Grimaldi!) in der „La Gioconda“ Innsbrucks neuer Tenorliebling geworden zu sein. Zu Recht – das reizvolle Material hat einen strahlenden, nicht durchdringenden Klang und kann die emotionale Achterbahnfahrt Adornos überzeugend vermitteln. Großer Jubel nach seiner fulminant vorgetragenen Arie im 2. Akt! Der spanisch-amerikanische Bariton Daniel Luis de Vicente, optisch einem Rübezahl nicht unähnlich, verlieh dem „Klein-Jago“ Paolo Albiniani erregendes Profil und wäre stimmlich durchaus eine Option für den Titelhelden. Der blutjunge isländische Hausbass Unnstein Arnason wertete die Rolle des Pietro merklich auf, Fotini Athanasaki (Amelias Magd) und Junghwan Lee (Hauptmann) ergänzten  das vortreffliche Sängerensemble.

Weniger Anlass zur Begeisterung löste Thilo Reinhardts Regie (in den schlichten, praktikablen Bühnenbildern Paul Zollers und den streng auf schwarz-weiß zielenden Kostümen von Katharina Gault) aus. Gute, zum Teil sehr gute Ansätze in der Personenführung werden durch unnötige Mätzchen empfindlich gestört. Volk und die Protagonisten in heutiger Alltagskleidung (mal ganz was Neues), Sonnenbrillen- und Kofferträger sind ebenso anzutreffen wie Ausfolger von Maschinenpistolen und Sprengstoffbündel (eines davon bekommt Amelia als Verlobungsgeschenk von Fiesco zugewiesen – wofür?). Große Emotionen werden ausgespart, die Begegnung Simons mit der verschollenen geglaubten Tochter verläuft ebenso gefühlsbefreit wie die Versöhnung Simons mit Fiesco bei Whisky und Friedenszigarren. Warum der 3. Akt als „Epilog – Jahre später“ betitelt wird und in einem „Museum der toten Helden“ spielen soll, dürfte wohl kaum einer im Zuschauerraum verstanden haben. Jetzt erst stirbt Simone am Gift, das ihm im 2. Akt Paolo verabreichte …? Die Manie mancher Regisseure, Handlungen durch ihr (unnötiges) Zutun noch unverständlicher (aus ihrer Sicht natürlich „klarer“) machen zu müssen, scheint eine unselige Zeitgeisterscheinung zu sein.

Das Publikum reagierte mit großer, lang anhaltender Begeisterung für eine Top-Aufführung.     

Dietmar Plattner

 

 

Diese Seite drucken