INNSBRUCK
„Rienzi“ – im Caesarenwahn befangen (Pr. 19.5.2018)
Jene Opernfreunde, die es zur Zeit nach einer „Rienzi“-Aufführung giert, sei der Besuch des Tiroler Landestheaters ans Herz gelegt. Das TLT ist gegenwärtig das einzige Opernhaus europaweit, das Richard Wagners dritte Oper zur Diskussion stellt. Ein mutiges Unterfangen.
Nach der Zauberoper „Die Feen“ und dem buffonahen „Liebesverbot“ wollte der junge Wagner neue Wege beschreiten. Der Besuch einer bombastischen Spontini-Oper 1836 in Berlin offenbarte ihm das gesuchte Sujet – eine Oper im großen Stil zu schaffen und im damaligen Zentrum der Musikwelt – Paris – uraufzuführen. Auf der abenteuerlichen Flucht aus Riga (März 1839) landete er mit seiner Frau in Paris und lernte die Renner der dortigen Opernhäuser kennen und schätzen – vornehmlich die Werke von Meyerbeer und Halevy. Zu einem Komponierauftrag für die Seine-Metropole kam es trotz Intervention von Meyerbeer nicht, die finanziell schwer angeschlagene Situation und die kränkende Ablehnung zwangen das Ehepaar Wagner zur Rückkehr nach Deutschland. Schlussendlich kam der im Spätherbst 1840 fertig gestellte „Rienzi“ nach einigem Hin und Her am 20. Oktober 1842 an der Dresdner Hofoper zur glanzvollen Uraufführung – trotz der ausufernden Spieldauer von über 6 Stunden. Nach Straffung der Partitur seitens des Komponisten hielt das Werk Einzug auf die internationalen Bühnen. In späterer Folge distanzierte sich Wagner jedoch von seiner ersten Erfolgsoper, nannte sie „Der Schreihals“ und wollte ihn sogar vom Grünen Hügel verbannt wissen. Der Bannfluch hält ja bis heute an.
Marc Heller. Foto: Rupert Larl
„Rienzi“ ist ein Werk der Widersprüche. Der „Aufstieg und Fall des letzten römischen Tribunen“ ist in den Massenszenen voll zündender, aber auch trivialer Musik (speziell dann, wenn Anleihen an seine Grand Opera-Vorbilder genommen wurden), in den Solonummern tritt bereits unverhohlen das kommende Musikgenie zu Tage. Was an seinen großen Meisterwerken geschätzt wird, ist hier bereits ansatzweise vorhanden. „Holländer“, „Tannhäuser“, „Lohengrin“, „Meistersinger“ bis hin zum „Parsifal“ melden sich an. Für die Innsbrucker Erstaufführung des „Rienzi“, welche mit knapp 3 1/2 h inklusive 2 (!) Pausen auskommt, wurde bei Rezitativen, Auf- und Abmärschen und natürlich der Ballettmusik der Rotstift großzügig angesetzt, die Musiknummern blieben jedoch weitestgehend unangetastet.
Jennifer Maines. Foto: Rupert Larl
Großartige Fundamente der Premierenaufführung waren besonders das an allen Pulten hervorragend besetzte Tiroler Symphonieorchester Innsbruck unter der überlegenen Stabführung von Lukas Beikircher (vorwärtsdrängende Tempi, sehr gute Dynamik) sowie dem mächtigen Kollektiv aus Chor, Extra- und Kinderchor des TLT, das Michel Roberge perfekt auf die umfangreiche Aufgabe vorbereitete. In der unangenehm hoch liegenden Titelrolle (in den späteren Opern war Wagner etwas gnädiger mit seinen Sängern) debütierte der Amerikaner Marc Heller. Ein unerschrocken heldischer Tenor wie geschaffen für die „großen Bröcken“ der Opernliteratur. War es der Premierennervosität zuzuschreiben, dass der Sänger stimmlich mehr geben wollte, als es den Stimmbändern guttat? Nach dem emotionell berührend vorgetragenden Gebet versagte ihm bei seiner Schlussansprache an das Volk die Stimme. Schade! An einer deutlicheren Diktion gilt es auch noch zu arbeiten. Josefine Weber, viel gefragte Münchner Sopranistin im jugendlich-dramatischen Fach, überzeugte mit klaren, strahlenden Sopranhöhen als Rienzis Schwester Irene. Interessant – die auffallend innige Zuneigung der Geschwister zueinander lässt schon Wälsungenblut erahnen. Mit der ersten Hosenrolle ihrer Karriere konnte die sehr beliebte Jennifer Maines auf Anhieb einen Bombenerfolg erzielen. Sie gab dem zwischen Liebe zu Irene und Sohnespflicht taumelnden Adriano glaubhaftes Profil und sang die große Arie im 3. Akt (deutliche Bellini-Anklänge!) bewegend. Der junge isländische Hausbassist Unnstein Arnason beeindruckte als hünenhafter päpstlicher Legat Raimondo mit schönem Bassmaterial. Die mit frischen, sympathischen Stimmen gesegneten Bürger Roms Baroncelli (Florian Stern) und Cecco del Vecchio (Alec Avedissian) sowie die Oberhaupte der verfeindeten Familien Orsini (Joachim Seipp) und Colonna (Johannes Maria Wimmer) rundeten das Ensemble solide ab.
Nachdem der 1. Akt szenisch eher enttäuschend verlief, holte Johannes Reitmeiers Regiekonzept nach der 1. Pause stark auf und steigerte sich von Akt zu Akt. Ohne Rote-Kreuz-Schwestern, Krankenbetten und Rollstühlen wäre der 4. Akt noch glaubwürdiger gewesen (und alle hätten’s verstanden, worum es geht), der Finalakt war grosses Theater. Thomas Dörfler, Reitmeiers bewährter Bühnenbildner seit vielen Jahren, hievte drei unwohnliche Geschlechtertürme auf die Bühne, die schnelle Szenenwechsel erlauben und – in Verbindung mit steil ansteigenden Tribünen – Antike, Mittelalter und Diktatorenbauweise des 20. Jhdt. verbindet. Antje Adamson schuf ein Meer von Kostümen, von Prunkroben über Militäranzüge hin zu einfachen Gewändern für das einfache Volk. Die Familien Colonna und Orisini heben sich auch kleidungsmäßig voneinander ab.
„Rienzi“ in Innsbruck – ein Wagnis, das gelang. Ganz große, begeisterte und verdiente Zustimmung!
Dietmar Plattner