Innsbruck/Tiroler Landestheater
„PETER PAN – THE DARK SIDE“ – ÖEA 25.5.2024
Martin Lechleitner als Peter Pan. Copyright: Birgit Gufler
Das Positive vorweg: nach 75 Minuten ist das Auftragswerk der „Stiftung Haydn von Bozen und Trient“ vorüber und die Gehörgänge können sich langsam wieder auf Normalbetrieb umstellen. Die Uraufführung von der dunklen Seite des Peter Pan fand im letzten Jahr an der damaligen Wirkungsstätte von Innsbrucks nunmehriger TLT-Intendantin Irene Girkinger, den Vereinigten Bühnen Bozen, statt.
Für die Musik zeichnete der international anerkannte Osttiroler Komponist Wolfgang Mitterer verantwortlich, das Libretto steuerte kein Geringerer als Sir David Pountney bei. Mitterer und Pountney wollten in ihrem, von jeglicher Disney-World-Süßlichkeit befreiten Werk die Gefahren aufzeigen, denen die Jugendlichen im Netz, dem „digitalen Nimmerland“ ausgeliefert sind. Per Mouseklick haben Teenies problemlos Zugang in eine Welt, die sie überfordert und im schlimmsten Fall vernichten kann. Mitterer schrieb dazu ein musikalisches Konglomerat, das fast alle Stilrichtungen der Musikgeschichte anklingen lässt – Dissonanzen neben Harmonien, Zitate aus der eKlassik ebenso wie aus der Volksmusik und dem Pop. Dies alles mit enormer Lautstärke, nur gelegentlich verlieren sich ruhigere Phasen (Szene Wendy – Peter) in der Partitur. Nicht alle Sänger sind diesem Klangrausch gewachsen und mit sang- und dankbareren Gesangslinien bedacht. Selbst eine so höhensichere, fabelhafte Sängerin wie Annina Wachter (Tinkerbell) stößt mitunter an ihre stimmlichen Grenzen, von den „Boys“, die von den Chordamen Ana Akhmeteli, Federica Cassati, Renate Fankhauser, Sarah Hartinger, Sabrina Henschke und Quiong Wu verkörpert werden, ganz zu schweigen. Kreischalarm pur! Aber kein Vorwurf an die Damen, der Komponist ließ das so erklingen! Zufriedenstellender entledigten sich die männlichen Chorsolisten Seongchan Bahk, Ivan Benitez, William Tyler Clark, Julien Horbatuk, Junghwan Lee und Il-Youn Yoo als „Pirates“ ihren Rollen.
Während die gesanglichen Beiträge von William Blake (Michael) und Nikita Voronchenko (John) im neutralen Bereich blieben, überzeugten Rosie Lomas (Wendy), Martin Lechleitner (Peter), Bernarda Klinar (Tyger) und vor allem der herausragende Oliver Sailer (Hock) sehr. Alles klangschöne, frische Stimmen. Beim verdienten Countertenor Bernhard Landauer (Nanbot / Crocodile) waren allerdings einige Abnützungserscheinungen nicht zu überhören. Timothy Redmond ließ das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck stellenweise zu klangrauschverliebt aufspielen.Daisy Evans‘ Regie sorgte für harmlosen Bühnengrusel und einer schon fast schon lachhaft braven SM-Szene zwischen Hock und Tyger, Loren Elstein steuerte Allerweltskostüme und ein ebensolches Bühnenbild bei.
Nachdem die Ausführenden vom Publikum bedankt wurden, setzte bereits nach 1 Durchgang (!) eine Massenabwanderung im Saal ein, auch die „üblichen Verdächtigen“ (Berufsjubler) versuchten, den Applaus in die Länge zu ziehen. Komponist und Librettist waren anwesend und verneigten sich artig.
Resumee: Ein mehr als entbehrlicher Opernimport, zumal die heurige Saison gerade einmal d r e i (!) Opernklassiker („Die Liebe zu den drei Orangen“, die szenisch nicht umstrittenen „La Bohéme“ und „Figaros Hochzeit“) sowie die hervorragend gelungene Kammeroper „Die Jugend des Simplicius Simplicissimus“ von Hartmann aufweist. Die vollmundig angepriesenen „spartenübergreifenden Abende“ wie „The Fairy Queen“ gehören in die Kategorie „fauler Kompromiss“ und überzeugen kaum.
Dietmar Plattner