Tiroler Landestheater Innsbruck
„LA BOHÈME“ 18.11.2023 (Premiere) – szenische Bauchlandung der Extraklasse
Überzeugend: Attilio Glaser als Rodolfo.Foto: Birgit Gufler
Jubel, wenn auch eher gedämpft, für die Sänger, Beifall für das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck sowie die Chöre des Hauses (Theater-, Extra-, Kinderchor) sowie mehrheitliche Ablehnung für das Regieteam. Die Reaktion des Publikums fiel kurz, aber eindeutig aus. Nach geschätzt fünf Minuten leerte sich der Saal, die langen Gesichter der Besucher in den Garderoben und die zum Teil heftigen Kommentare sprachen Bände.
Dem jungen Regieteam ist es gelungen, Puccinis hinreißenden Opernklassiker (im Prinzip ein Selbstläufer) all das zu nehmen, was ihn so beliebt macht. Kein Charme, kein Flair, nur Kälte und Banalität. Die szenische Umsetzung strotzt nur vor Abweichungen vom Original und schlechter Personenführung, Tiefpunkt dazu der 2. Akt – statt einer fröhlich Weihnachten feiernden Menschenmenge versammelt sich eine größtenteils in Schwarz gekleidete Gesellschaft um das Cafè Momus. Der Tod, ein pinkfarbiges (!) Geschöpf mit langem Schnabel, geistert von da an über die Bühne, um am Schluss die verblichene Mimi brutal von der Bühne zu schleifen. Die Verantwortlichen für diese Stückverdrehung heißen Anna Bernreiter (Regie) sowie Hannah Oellinger und Manfred Rainer (Ausstattung – abenteuerlich schrille Kostüme für die Herren, vermutlich eine Leihgabe der letzten Regenbogenparade? Mimi, die Lungenkranke, wurde in Minirock und ein ärmelloses Oberteil gesteckt, relativ gut bedient wurde Musetta mit einem grünen, weit ausladenden Abendkleid. Verständlich, dass sich die Sänger in einer derartigen Umgebung nicht besonders wohl zu fühlen schienen.
Mit Ausnahme von Rodolfo bestand das Sängerpersonal aus dem zum Teil neu formierten Ensemble. Die zerbrechlich wirkende Marie Smolka (eine Mimi mit feinen, eher herben Tönen), Nikita Voranchenko (sein Marcello hätte etwas mehr Volumen vertragen und blieb auch darstellerisch blaß), der stimmpotente Schaunard von Jacob Phillip, die bezaubernde, von der Regie gänzlich im Stich gelassene Musetta von Annina Wachter sowie Oliver Sailer (Colline mit einer berührend vorgetragenen Mantel-Arie) gaben ein insgesamt stimmiges, spielfreudiges Ensemble ab, das von dem mit strahlenden Tenortönen auftrumpfenden Attilio Glaser (Rodolfo) gekrönt wurde. In kurzen Episoden waren Stanislav Stambolov (Benoit), Florian Stern (als tenoraler ! Alcindoro) und William Blake (Parpignol) zu hören. Die in dieser Oper wenig geforderte Chorformation (Einstudierung Michel Roberge und Janelle Groos) bewährte sich wie stets, das TSOI unter der Leitung von Gerrit Prießnitz bevorzugte eher lautere als subtilere Töne. Szenenapplaus gab es nur im ersten Akt nach den beiden Arien, ansonsten herrschte während der Vorstellung (selbst beim Aktschluss 3!) Funkstille – keine Hand wollte sich rühren.
Nach dem im Großen und Ganzen gelungenen Saisonauftakt der neuen Intendanz mit der „Liebe zu den 3 Orangen“ folgte nun ein herber Tiefschlag. Und das in einer Spielzeit, in der sich die Sparte „Oper“ im Gegensatz zu früheren Saisonen geradezu kläglich ausnimmt.
Dietmar Plattner