Innsbruck: „GENOVEVA“ – 24.9. 2022 Pr. – Eine Irritation
Susanne Langbein (Genoveva). Foto: Birgit Gufler
Aus verschiedenen Gründen wird Robert Schumanns einzige Oper „Genoveva“ (UA: Leipzig 1850) – trotz der unbestreitbaren Schönheit ihrer Musik – selten aufgeführt. Zum einen handelt es sich um eine untypische Oper mit einem sehr „symphonisch“ ausgerichteten Orchestersatz, der das Instrumentale über das Vokale immer wieder triumphieren lässt, ferner umfasst sie nur wenige arienhafte Nummern (wenn man vom genialen Duett „Wenn ich ein Vöglein wär“ absieht), hingegen aber zahlreiche rezitativische Teile und Chornummern, die der Gattung des Oratoriums nahestehen. Ähnlich wie Wagners Opern ist Schumanns „Genoveva“ durchkomponiert und erhob den Anspruch, mit ihrer musikalischen Sprache, die den Geist der deutschen Romantik mit allem, was darin mitschwingt – Mittelalterbegeisterung, Natur, deutsche Tugenden, Märchen und Sagen – pointiert erfasst, einen wichtigen Beitrag zur Erneuerung der deutschen Oper leisten zu können. Gegen Wagners Werk zog die „Genoveva“ allerdings den Kürzeren, was vielleicht auch am dramatischen Stoff liegen könnte. Es geht um die Leiden einer zu Unrecht der Untreue verdächtigten Ehefrau, und Genoveva ist – entsprechend der von Ludwig Tieck und Friedrich Hebbel inspirierten Vorlage des Librettos, für das der Komponist selbst verantwortlich zeichnete, eine wahrhaft Heilige im christlichen Sinn, die die übelsten Bedrängungen und Intrigen mit unerschütterlichem Gottesvertrauen erträgt. Folgerichtig endet das Stück auch in pathosschwangerem Gotteslob und einer kitschigen Neuvermählung des im Happy End wiedervereinten Ehepaars Genoveva und Siegfried.
In der Tat ist diese Geschichte heute nur noch schwer vermittelbar, weshalb Johannes Reitmeier, der Intendant des Tiroler Landetheaters, eine Neuinterpretation vornahm. Bei ihm sind sowohl Genoveva als auch die böse Margarethe, die den Intrigenplan schmiedet und die Rachegelüste des von Genoveva zurückgewiesenen Golo in die Tat umsetzt, letztlich Opfer männlicher Gewalt. Genoveva erscheint gar als „femme fragile“, und weil sie eigentlich nicht so recht weiß, was da um sie herum geschieht, lässt Reitmeier sie als Blinde und zunächst in einem opulenten, mit zahllosen Schleiern besetzten brautkleidartigen Gewand herumtappen. Auf diese Weise entsteht eine pantomimische, durch verstörende Anekdoten angereicherte Subgeschichte – unter anderem eine angedeutete frühere Schwangerschaft Margarethes durch Golo und Kindesweglegung –, die mit dem christlich-dogmatischen und system-affirmativen Werk Schumanns nichts zu tun hat. Die Inszenierung (Bild und Kostüme: Michael D. Zimmermann) kann sich auch nicht klar für oder gegen eine Aktualisierung des Stücks entscheiden. Die Kostüme sind einerseits quasi-historistisch – das Stück spielt ja zurzeit eines „Heiligen Krieges“ gegen die Mauren – und daneben modern. Söldner in Tarnuniformen, wie man sie aus TV-Bildern des aktuellen Krieges in der Ukraine kennt, tummeln sich neben Mittelaltertypen mit Kreuzen und Stöcken. Pfiffig hingegen ist die Gestaltung des in den beiden ersten Akten das Bühnenbild beherrschenden Riesen-Kruzifixes, der auf einem Gefährt, das einem ausgebrannten Artilleriefahrzeug ähnelt, montiert ist und dessen Stamm bei entsprechender Drehung und Neigung einem Geschützrohr gleicht. Genovevas trostspendendes Kreuz, das sie in ihrem Betonbunkerverlies vorfindet, ist am Ende der verstörende Torso dieses Kruzifixes. Die offensichtliche Infragestellung des Kreuzsymbols in dieser Inszenierung führt dazu, dass man von Kreuzen förmlich erdrückt wird. Äußerst ansprechend und beeindruckend ist andererseits die magische Spiegelszene, die zu den Pluspunkten zählt. Alles in allem aber macht das subversive Unterlaufen des Librettos den Stoff weder genießbarer noch verständlicher und hinterlässt nur den Eindruck einer Irritation mit diffusen Ergebnissen.
Alec Avedissian, Irina Maltseva . Foto: Birgit Gufler
Eindeutig ist jedoch der musikalische Erfolg der Premiere. Susanne Langbein erweist sich als eine ideale Genoveva, die einerseits die differenzierten Zwischentöne ihrer Rolle mit großer Sicherheit erfasst und noch in den dramatischen Leidenspassagen des Schlussaktes hochkonzentriert, punktgenau und vor allem stimmlich faszinierend zulegen kann. Jon Jurgens als gescheiterter Verführer Golo ist ihr kongeniales Gegenstück, seine Gestaltung der Rolle, geprägt von seiner edlen, wendigen Tenorstimme und seinem Gespür für Dramatik und Stimmungswechsel, ist in jedem Moment packend. Dieses großartige Duo wird durch Irina Maltseva als schauspielerisch glänzende und stimmlich fulminante Margarethe komplettiert. Auch der Bariton Alec Avedissian als Pfalzgraf Siegfried, den Reitmeier in seiner Inszenierung als einen etwas dubiosen Macho erscheinen lässt, und der Bassist Johannes Maria Wimmer als Haushofmeister Drago, der als „Bauernopfer“ der Intrige ermordet wird und im Auftrag des lieben Herrgotts als Stimme aus dem Jenseits Genoveva retten darf, punkten durch Präsenz und musikalische Ausdruckskraft.
-Johannes-Maria Wimmer (Drago), Jon Jurgens (Golo). Foto: Birgit Gufler
In den Nebenrollen sind Joachim Seipp (Bischof Hidulfus), dessen Vibrato doch sehr ungewöhnlich ist, sowie Oliver Sailer und Julien Horbatuk als Diener im Einsatz. Mehr als nur Beiwerk sind in diesem Stück der Chor und Extrachor des Tiroler Landestheaters Innsbruck, die sich in den oratorienartigen Nummern prägnant in Szene setzen. Das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck unter Lukas Beikircher, ein wesentlicher Protagonist in Schumanns „Genoveva“, agierte bravourös, inspirierend und alle Registerklangfarben in voller Schönheit entfaltend.
Thomas Nußbaumer