Innsbruck / Tiroler Landestheater
„Eugen Onegin“ – prachtvolle Ensembleleistung! – Pr. 22.3.2025
Marie Smolka. Copyright: Birgit Gufler
Ein äußerst ambitioniert singendes und agierendes Ensemble, eine unter die Haut gehende, psychologisch fein ausgearbeitete Inszenierung sowie ein glänzend aufgelegtes Orchester, all das zusammen ergab ein Opernerlebnis, das noch länger nachwirken wird.
Das TLT kann sich glücklich schätzen, sämtliche Rollen aus der hauseigenen Sängerschar besetzen zu können. Und mit Freude ist festzustellen, welche Qualitätsstimmen der hauseigene Chor beherbergt, die immer wieder solistisch zum Einsatz kommen und so manchen Solosänger in die hintere Reihe verweisen.
Peter I. Tschaikowskis meistgespielte Oper, basierend auf dem 1830 veröffentlichten Versroman von Alexander Puschkin, entstand 1877, zu einer Zeit also, als auch der Komponist mit starken Emotionswallungen und Seelenqualen zu kämpfen hatte und diese auch ungeschönt zu Papier brachte. Auch in der Handlung geht es um die Liebesirrungen und – wirrungen junger Menschen auf einem Gutshof in der russischen Provinz um 1820. Die Musik ist meisterhaft orchestriert und bietet den Gesangssolisten prachtvolle Arien und Ensembles. Tatjanas erregende Briefszene, Onegins „Entsagungsarie“ (in der er Tatjana erklärt, kein Mann für die Ehe zu sein), Lenskis von Wehmut und Todesahnung umflorte Arie vor dem unseligen Duell, Gremins Glückpreisung seiner Ehe mit Tatjana sowie die Polonaise zählen zu den Hits des allgemeinen Opernkanons. Über all diesen Perlen der Musikkunst schwebt – passend zur Werkbezeichnung „lyrische Szenen“ – ein Hauch von Melancholie und Weltschmerz.
Regisseurin Eva-Maria Höckmayr sowie deren Ausstatterin Julia Rösler verzichten gottlob auf folkloristische Behübschung (gab es deshalb am Schluß der Vorstellung zwei matte 10Buhs?) und setzen stattdessen auf eine klare, beinahe minimalistische Optik. Die Farben schwarz, weiß und gelegentlich rot dominieren, weiß getünchte, verschiebbare Wände sorgen für raschen Szenenwechsel und spiegeln das Seelenleben der Protagonisten wider. Höckmayr versteht es trefflich, die Charaktere jeder einzelnen Person herauszuarbeiten. Die in dieser Inszenierung eingefügte stumme Rolle, kurz „Sie“ genannt und ständig präsent, wird von der wunderbaren Eleonore Bürcher dargeboten. Eine Notwendigkeit für diese Personalbereicherung ist jedoch nicht zu erkennen.
Umso eindringlicher wirken dafür die Gesangssolisten. Marie Smolka, am TLT bereits als Mimi, Contessa und vor allem Simplicius Simplicissimus gefeiert, begeistert als anfänglich introvertiert-zerbrechliche, später zur Grand Dame gereifte Tatjana mit ihrem ausdrucksstarken, seelenvollen Sopran und ihrer elfengleichen Erscheinung. Der junge britische Bariton Jacob Phillips, seit 2023/24 Mitglied des TLT-Ensembles, verlieh dem dandyhaften Titelhelden starkes Profil. Seine klangvolle, männliche Stimme trägt gut, verliert aber in der Höhe an Reiz, die Töne verhärten sich und klingen unter Druck sogar schneidend. Dieses Manko sollte zu beheben sein! Alexander Fedorov stellt einen mannhaften, gar nicht weinerlichen Lenski auf die Bühne und wird für seine bewegend vortragene Arie heftig beklatscht und bejubelt. Als lebensbejahende Olga erfreut Bernarda Klinar mit frischem Mezzosopran, die aus dem Chor des TLT ins Solistenensemble aufgestiegene Abongile Fumba wartet mit einem bombigen Alt auf, die Chorsolistin Fotini Athanasaki als Amme Filipjewna überrascht mit einem wunderbar warm getönten Alt und einer herzlichen Persönlichkeit. Florian Stern (Triquet) und Johannes Maria Wimmer (Gremin) haben starke Auftritte, Julien Horbatuk (Saretzki), Stanislav Stambolov (Hauptmann) und Junghwon Lee (Vorsänger) ergänzen das hochwertige Ensemble trefflich.
Jacob Phillips, Marie Smolka. Copyright: Birgit Gufler
Keinesfalls unerwähnt dürfen die wunderschönen Kostüme von Julia Rösler sowie die ungemein stimmige Richtregie von Ralph Kopp. Der stets bestens vorbereitete Chor und Extrachor des TLT (von Michele Roberge betreut) sowie das prachtvoll aufspielende Tiroler Symphonieorchester Innsbruck unter der dynamisch ausgewogenen Leitung von Matthew Toogood wurden in den stürmischen, lange anhaltenden Schlußjubel ebenso miteinbezogen wie die Solisten. Diese in russischer Sprache (!) wiedergegebene Produktion stellt eine klare Besuchsempfehlung dar, handelt es sich in ihrer Geschlossenheit auf dem Opernsektor um das Beste, was die neue Intendanz (seit 2023/24 Irene Girkinger) bisher vorzuweisen hat. Bitte weiter so! Dietmar Plattner
Folgetermine: 28., 30.3., 3., 13., 26., 30.4., 4. sowie 22.5.