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INNSBRUCK/ Tiroler Landestheater: ELEKTRA. Premiere. Ein fulminantes Abschiedsgeschenk

12.06.2023 | Oper in Österreich

Innsbruck: „ELEKTRA“ – 11.6. 2023 – Premiere – Ein fulminantes Abschiedsgeschenk

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Aile Asszonyi (Elektra). Foto: Birgit Gufler

Als sich am Ende der Vorstellung das Premierenpublikum von den Sitzen erhob, galten die minutenlangen „Standing Ovations“ nicht nur dem Regisseur der neuen „Elektra“-Inszenierung des Tiroler Landestheaters, Johannes Reitmeier, sondern ganz besonders auch dem Intendanten Johannes Reitmeier, dem es in den zehn Jahren seiner Intendanz gelungen ist, das Tiroler Landestheater auf ein neues, in vieler Hinsicht vorher nicht erreichtes Qualitätsniveau zu heben. Die „Elektra“ ist das Abschiedsgeschenk eines erfolgreichen und in Innsbruck äußerst beliebt gewordenen Intendanten und zugleich ein markantes Ausrufezeichen, denn „Elektra“ von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal bedeutet 1 Stunde und 45 Minuten lang hemmungslose Emotionalität, pausenlose Eskalation des Negativen und schließlich blutige Brutalität.

Reitmeier erdachte sich in Abstimmung mit seinem Bühnenmeister Thomas Dörfler ein Ambiente, das permanent den Ausgangspunkt des blutigen Konflikts in Erinnerung ruft: ein Bad, genauer gesagt, ein in Braun- und Blautönen verfliestes Hallenbad mit einer Uhr, die sich nicht mehr bewegt, denn Agamemnon war ja von seiner Frau Klytämnestra und ihrem Liebhaber Aegisth im Bad seines Hauses erschlagen worden. Nun, viele Jahre später, stellt sich dieses Bad, dass sich am Ende, wenn die Hausangehörigen nach der Ermordung des Mörderpaares ein schauriges Freudenfest feiern, in einen nächtlichen Antiktempel verwandelt, als Elektras Rückzugsort dar, als eine Agamemnon-Gedenkstätte mit roten Grablichtern, wo Elektra schmerzerfüllt auf Rache sinnt. Mit ihrer Schwester Chrysothemis, der Mutter und dem Stiefvater kommuniziert sie kaum und wenn, dann nur feindselig, und ihre fünf Mägde, die in ihren blutverschmierten Schürzen so aussehen, als ob sie gerade nach Agamemnons Ermordung das Bad gereinigt hätten, behandelt sie mit Verachtung. Die Kostüme der Protagonistinnen und Protagonisten von Michael D. Zimmermann und Andrea Kuprian bilden einerseits zeitnahe Kleidung ab und wirken andererseits durch ihre Extravaganz wie aus der Zeit gefallen.

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Angela Denoke (Klytämnestra), Aile Asszonyi (Elektra). Foto: Birgit Gufler

Blut spielt in Reitmeiers Inszenierung eine große Rolle, Blut klebt am Messer, das immer wieder den Eigentümer wechselt, am Beil, am Gewand, an den Fingern, und einmal wird es gar kübelweise ins Becken geschüttet. Eine Bluttat stand am Anfang, eine allerdings etwas zu sehr gewollte Bluttat steht am Ende, wenn Elektra nicht, wie im Libretto vorgegeben, beim Tanz zusammenbricht, sondern äußerst unerwartet von ihrem Bruder Orest niedergestochen wird. Allerdings ist nach Reitmeiers Interpretation Orest nicht der entschlossene Rächer, sondern – und das verrät seine Körpersprache und wird auch durch den hektisch seinen Herrn herumschubsenden Pfleger verdeutlicht – ein von Gewissensqualen getriebener Zauderer, der seine Tat nur widerwillig hinter sich bringt und am Schluss der impulsive Auslöser dafür ist, dass sich Elektras Hass nun durch seine Hand gegen sie selbst richtet. Über diese Deutung kann man geteilter Meinung sein, zumal Orest durch Text und Musik überwiegend als ein durch Vorsehung angetriebener Täter und weniger als ein innerlich Zerrissener erscheint.

Jedoch wird das Konzept professionell und künstlerisch hochwertig umgesetzt, auch musikalisch großartig ausgeführt. Das Ensemble agiert in Höchstform. Aile Asszonyi verkörpert eine fulminante, hochexplosive und stimmgewaltige Elektra mit schauspielerischem und mimischem Potenzial, das sie etwa in der extrem berührenden Erkennungsszene mit ihrem Bruder exzellent entfaltet. KS Angela Denoke verleiht der Klytämnestra-Rolle mit ihrem besonders in der Tiefe geschmeidigen, differenzierenden Gesang sinnlich-betörenden Glanz, man fühlt: Achtung, diese Frau geht auch über Leichen! Die Sopranistin Magdalena Hinterdobler als Chrysothemis punktet durch Brillanz im hohen Register. Andreas Mattersberger überzeugt als Orest mit Stimmvolumen und dramatischem Vermögen, ebenso wie Forian Stern als pointiert auftretender Aegisth.

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Orest (Andreas Mattersberger) ersticht Aeghist (Florian Stern). Foto: Birgit Gufler

Ein Pauschallob gilt den Nebenrollen: Oliver Sailer als Pfleger, Dagmara Kołodziej-Gorczyczyńska als Vertraute, Qiong Wu als Schleppträgerin, Sascha Zarrabi und Stanislav Stambolov als junger bzw. alter Diener, Jennifer Maines als Aufseherin sowie Abongile Fumba, Fotini Athanasaki, Federica Cassati, Susanna von der Burg und Annina Wachter als Mägde.

Hervorzuheben ist auch die reduzierte, entschlackte Orchesterfassung des Vorarlberger Komponisten Richard Dünser. Seine Bearbeitung der Strauss-Partitur ist als ausgesprochen gelungen zu bezeichnen, nicht unbändige Klangmassen schwemmen aus dem Orchestergraben, sondern die feinen Linien, die besonderen Klangfarbenmischungen und die Vielfalt der Leitmotive und ihrer Abwandlungen treten klar hervor. Das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck mit Lukas Beikircher am Pult musizierte bei der Premiere prägnant, beherzt und sehr mitreißend – auch dieser Klangkörper konnte sich in den letzten zehn Jahren während Johannes Reitmeiers Intendanz noch ein großes Stück weiterentwickeln.

Thomas Nußbaumer

 

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