Dale Albright (Blazes), Johannes Maria Wimmer (Arthur), Florian Stern (Sandy). Foto: Birgit Gufler)
Innsbruck: „DER LEUCHTTURM“ – 15.10.2020 – ein Psychothriller
Die Kammeroper „Der Leuchtturm“ (The Lighthouse) von Peter Maxwell Davies (1980) ist ein atmosphärisch dichtes Werk von ungeheurer Dramatik, ein Drei-Personen-Stück über 75 Minuten, ein Psychothriller und Seelenstriptease, unterlegt mit einer bildhaften, ausdrucksstarken Musik. Der Plot beruht auf einer wahren Begebenheit: Im Winter 1900 verschwanden auf der Leuchtturminsel Eilean Mor vor Schottland alle drei Wächter spurlos. Die mysteriöse Angelegenheit rief eine Reihe von Spekulationen hervor und hinterließ offen Fragen: Was ist auf der Insel geschehen, warum gab es nirgendwo Indizien für ein Unglück, eine Katastrophe, einen Kampf? Der britische Komponist Peter Maxwell Davies (1934–2016), von dem Text und Musik stammen, liefert mit seinem Stück seine eigene Interpretation. Anfänglich landen drei Schiffsleute („Offiziere“), die die Besatzung des Leuchtturms ablösen sollen, unter Mühen auf der Insel, denn es herrscht ein Sturm. Sie zeigen sich erlebend, kommentierend und erzählend, denn offenbar müssen sie einer Behörde Bericht erstatten. Den Leuchtturm, ein ruinenhaftes, derangiertes Gebäude, finden sie leer, aber in geordnetem Zustand vor. Widersprüchliche Aussagen deuten an, dass hier nicht die Wahrheit gesagt wird, der Schluss des Stücks wird überraschen.
Dale Albright (Blazes), Johannes Maria Wimmer (Arthur), Florian Stern (Sandy). Foto: Birgit Gufler)
Das Bild schlägt um, das Rad der Zeit wird zurückgedreht und man gerät mitten ins unheilvolle Geschehen. Die drei Leuchtturmwächter Sandy, Blazes und Arthur leiden sichtlich unter Lagerkoller, aufkommende Aggressionen sind kaum überdeckbar und werden durch die Gegensätzlichkeit der Charaktere forciert. Blazes hat als Jugendlicher einen Mord begangen, für den sein Vater gehängt wurde, Sandy ist ein Missbrauchsopfer, Arthur ein religiöser Fundamentalist. Bald schon ist ein Messer im Spiel.
Die Musik, ausgeführt vom bravourösen Tiroler Ensemble für Neue Musik unter der präzisen Leitung von Tommaso Turchetta, spricht die avantgardistische Sprache des 20. Jahrhunderts, wenngleich Davies – er war ja bekannt dafür – auch Volkstümliches einfließen ließ. Blazes, dem „wild rover“, wird gelegentlich Musik in der Art eines irisch-schottischen Trinkliedes unterlegt, Sandy artikuliert sich operettenhaft und Arthur verfällt oft in den Ton der Kirchenlieder. Das Instrumentarium aus Violine, Viola, Cello, Kontrabass, Flöte, Klarinette, Horn, Trompete, Posaune, Percussion, Gitarre, Banjo und Keyboard bietet die Grundlage für eine klangfarbenreiche Musik, deren Bildhaftigkeit auch einem Hitchcock-Thriller gut anstünde. Die drei Protagonisten, unterstützt von einer vorwiegend in Schnabelmasken auftretenden stummen Statisterie, agieren entsprechend dem nachvollziehbaren Regiekonzept von Kai Anne Schuhmacher in den Kostümen und im eindrucksvollen Bühnenambiente von Michael D. Zimmermann.
Florian Stern (Sandy), Johannes Maria Wimmer (Arthur), Dale Albright (Blazes) Foto: Birgit Gufler)
In der Tat ist das Stück nicht für jedermanns Ohren und das Publikum verbleibt, wie man aus Kreisen des Tiroler Landestheaters hört, gelegentlich verschreckt zurück. Allerdings ist die Qualität der Komposition über alle Zweifel erhaben und bestechend, und ganz offensichtlich wollte Davies mit seinem Seelendrama nicht unterhaltsam wirken. Die drei Sänger, jeder in einer Doppelrolle auch als Offizier, schließen an die Vorzüge des Werks nahtlos an. Florian Stern mit seiner biegsamen, in allen Lagen wunderbar austarierten Tenorstimme, ist auch schauspielerisch ein Highlight und verkörpert die Figur des stark gehemmten und plötzlich impulsiven Sandy absolut überzeugend. Dale Albright, nicht mindert facettenreich in seiner stimmlichen Ausdruckskraft, stellt den unberechenbaren Gewalttäter Blazes sehr beklemmend dar. Johannes Maria Wimmer hingegen schlüpft in die Rolle des hyperreligiösen Arthur. Seine warm differenzierende, fundamentale Bassstimme ist zunächst trügerisch, denn sie lässt nicht erahnen, welch radikal-gewalttätiges Potential in dieser Figur schlummert und schließlich hervortritt. Wimmer vollzieht hier einen entscheidenden, sehr überzeugend vermittelten Wandel.
Thomas Nußbaumer