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INNSBRUCK/ Tiroler Landestheater: DER FREISCHÜTZ – ein packendes Drama. Premiere

27.09.2020 | Oper in Österreich


Roman Payer (Max), Andrea De Majo (Samiel), Andreas Mattersberger (Kaspar). Foto: Birgit Gufler.

Innsbruck: „DER FREISCHÜTZ“ – 26.9. 2020 Pr. – Ein packendes Drama

Der aus der Taufe gehobene Innsbrucker „Freischütz“ am Tiroler Landestheater, inszeniert vom Intendanten Johannes Reitmeier selbst, vermittelt neue Erkenntnisse in vielerlei Hinsicht – sowohl über das Werk als auch über Abgründe und Widersprüche der menschlichen Psyche. Reitmeier und seinem Team gelang die Umsetzung eines vielschichtigen, auf mehreren Ebenen aussagekräftigen Konzepts abseits von Waldidylle und Jägerromantik. Die Handlung wird ins Biedermeier – also in die Entstehungszeit der Oper (1821) – verlegt, was durch den biedermeierlichen „Touch“ der anregenden Kostüme von Michael D. Zimmermann signalisiert wird. Die Farbtöne und das Formenspiel der Bühnengestaltung durch Thomas Dörfler unterstreichen die Idee und den düsteren Stimmungsgehalt der Handlung. Es dominieren dunkle Farben in allen Schattierungen – konkordant zu den dunklen orchestralen Klangfarben Carl Maria von Webers – und das vielfach projizierte Symbol der Schießscheibe, deren Ringe sich mitunter in die Längsstreifen des Bühnenbildes auflösen.

Wahrhaft beklemmend in ihrer Wirkung ist die Darstellung der berühmten Wolfsschlucht-Szene und der Guss der Freikugeln als Schwarze Messe, in der Kaspar als Teufelspriester in einem angedeuteten Götzentempel den Jägersburschen Max an den Rand einer existenziellen Grenzerfahrung treibt. Das Motiv der Bedrängung – insbesondere in Bezug auf Max – spiegelt sich in einer Art „Pas de deux“-Personenführung, auch (meist) stiller Statisten, wider. So ist Samiel, unheimlich stark dargestellt von Andrea De Majo, permanent präsent, als choreografischer Antagonist des innerlich schwer belasteten Max gleichermaßen wie als Personifizierung bedrohlicher Gedanken und Vorahnungen bei Agathe. Durch die gelegentliche Rasanz der Personenchoreografie und starke Symbolhandlungen, meist bedrohlich in Verbindung mit dem Schießgewehr, entwickelt sich eine Aura der inneren Zerrissenheit und des Getriebenseins der Protagonisten, die den Absichten des Librettisten Friedrich Kind ebenso entspricht wie jenen des Komponisten. Reitmeiers Interpretation des Werks bildet somit den Rahmen für ein packendes musikalisches Drama, das zudem eine kleine Novität bereithält, nämlich eine Österreichpremiere: Erstmals werden hierzulande die von Hector Berlioz vertonten Rezitative von 1841, die im Original bekanntermaßen gesprochen werden, präsentiert, wodurch das Musikdrama in Richtung einer durchkomponierten Oper rückt, zumal sich Berlioz’ Musik hinsichtlich ihrer Klangfarben und Motivik geschickt in Webers Musik einfügt.


Jardena Flückiger (Ännchen),  Susanne Langbein (Agathe). Foto: Birgit Gufler.

Dem Tiroler Symphonieorchester Innsbruck unter Lukas Beikircher gebührt ein großes Lob für die hochkonzentrierte, stimmungsvolle und in diversen Solopassagen glänzende Umsetzung der Partitur. Sie bildete den Nährboden für ebenbürtige gesangliche Qualitäten. So begeisterte die Sopranistin Susanne Langbein als Agathe durch ihren dynamisch fein abstufenden, differenzierenden Gesang – selbst im Pianissimo – und ihre Überzeugungskraft. Ihre Arie „Und ob die Wolke sie verhülle“ ist unter den Glanzstücken ihrer Präsentation hervorzuheben. Auch Roman Payer als Max besitzt eine sehr gute Tenorstimme, die vor allem in der Höhe leuchtet. Seine stärksten Momente erlebte man besonders im ersten Aufzug, doch mitunter blieb er etwas zu leise und auch im darstellenden Spiel zu verhalten. Andreas Mattersberger faszinierte auf ganzer Linie, kernig und voluminös in allen Lagen seiner klangvollen, intensiven Stimme und nahezu dominant als bösartiger Kaspar, als wäre er der Teufel selbst. Er und Jardena Flückiger als Ännchen, die nicht nur durch komische Effekte, sondern auch durch ihren reinen, glockenhellen Sopran und die gekonnte Schlichtheit ihrer Melodieführung begeisterte, zählten zu den Publikumslieblingen der Premiere. Flückigers Interpretation der Arie „Einst träumte meiner sel’gen Base“ mit dem ergreifend stark gespielten Bratschensolo gehörte zu den eindrucksvollsten Momenten der Vorstellung. Auch die anderen konnten, wenngleich weniger im Rampenlicht positioniert, zum Erfolg beitragen: der Bassist Unnsteinn Árnason als klanggewaltiger Eremit, der durch einen Kunstgriff Reitmeiers schon vor der Ouvertüre die Bedeutung seiner Rolle untermauern durfte, der dramatische Bariton Alec Avedissian als Fürst Ottokar und reicher Bauer Kilian und Joachim Seipp in der Rolle des patriarchalischen fürstlichen Erbförsters Kuno als eindrucksvoller Bassbariton.


Susanne Langbein (Agathe), Joachim Seipp (Kuno), Unnsteinn Arnasson (Eremit). Foto: Brigitte Gufler)

Die Mitglieder des Chors und Extrachors des TLT wurden ebenfalls mit herrlichen Musiknummern bedacht, in denen sie sich großartig bewährten – man denke an das volksliedhafte „Brautlied“, vorgetragen von Ana Akhmeteli, Bernadette Müller, Renate Fankhauser und Dagmara Kołodziej-Gorczyczyńska, und den hornquintengesättigten „Jägerchor“. Typisch für die Vielschichtigkeit der Inszenierung: Die Jäger besingen nicht einfach statisch die Freude an der Jagdlust, sondern richten ihre Gewehre auf Agathe, auf diese Weise den dramatischen Bogen der Handlung aufrechterhaltend.

Thomas Nußbaumer

 

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