INNSBRUCK
„CAPRICCIO“ – glänzendes Opernfinale (17.6.2017)
Copyright: Rupert Larl
In seinem immer wieder lesenswerten Buch „Das geliebte Haus“ berichtet Rudolf Hartmann, Regisseur der Münchner UA des „Capriccio“ vom 28.10.1942 detailliert über den triumphalen Premierenerfolg, aber auch über die kriegsbedingten dramatischen Begleitumstände, die aus Sicherheitsgründen für eine pausenlose Aufführung sprach. In den Nachkriegsproduktionen glaubten Theaterverantwortliche, dass ein Stück mit einer durchschnittlichen Spieldauer von ca. 140 Minuten für das Publikum nicht zumutbar wäre und eine Pause (nach der 7. Szene) vonnöten sei. Gegenfrage – das von der Spieldauer her nicht unähnliche „Rheingold“ wird seit der Uraufführung problemlos ohne Pause gespielt und es gab / gibt keinerlei Stimmen, die eine Pause (vielleicht nach Wotans und Loges Abgang nach Nibelheim?) einfordert. Wie auch immer – diese Unterbrechung bekommt dem kostbaren Stück überhaupt nicht und nach diesem Interruptus lichteten sich bei der TLT- Premiere die Reihen empfindlich.
Dass sein Alterswerk für die Bühne ein Liebhaberstück bleiben wird, das war Richard Strauss von Anfang an klar, stellt es doch die Quintessenz seines Schaffens dar, wenn nicht gar der gesamten Spezies „Oper“. Das geistreich-witzige Libretto von Clemens Krauss und Strauss‘ mit Zitaten aus Werken verschiedenster Komponisten (u. a. Rameau, Gluck, Couperin, Piccinini hin zu Donizettis Dienerchor („Don Pasquale“), Verdis „Ballo“ (Spottduett der Verschwörer) bis hin zu Eigenzitaten aus „Ariadne“ und „Daphne“) gespickte Partitur bereiten dem Kenner ein Hörvergnügen ohnegleichen, von der herrlichen Mondscheinmusik und Madeleines Schluss-Szene ganz zu schweigen.
Copyright: Rupert Larl
Nur Könner sollten sich an dieses Werk wagen, sind doch die Anforderungen (wie im Prinzip bei allen Strauss-Opern) an die Ausführenden außerordentlich. Die aktuelle Innsbrucker NI mit leider nur sechs (!!) Aufführungen besticht durch eine enorme „Teamdichte“ und hervorragenden gesanglichen Leistungen mit lobenswerter Textdeutlichkeit, aber auch einer überzeugenden Optik. Die Palme des Abends gebührt diesmal nicht der Primadonna, sondern dem überragenden Theaterdirektor La Roche in Person von Michael Hauenstein. Er ist das Kraftzentrum des Abends, singt prächtigst (allzu viele Bassisten mit einer ähnlich herrlich timbrierten Stimme gibt es momentan nicht) und ist szenisch stets präsent. Seine leidenschaftlich vorgetragene Verteidigung (Holla, Ihr Streiter in Apoll) zeigt Hauensteins überragende künstlerische Bandbreite auf. Kein Wunder, dass die Zürcher Oper diese Sängerbegabung ab 2017/18 als neues Ensemblemitglied begrüssen wird. Susanna von der Burg, deren nach wie vor (nach all den vielen, vielen fordernden Partien ihres Faches in den letzten Jahren) intakter, mädchenhaft klingender, geschmeidig aufblühender idealer Strauss-Sopran ist eine ideale Gräfin – angenehm zurückhaltend im Parlando, berührend in der Finalszene. Ein Juwel! Die um sie buhlenden Galane, der Dichter Olivier und der Musiker Flamand, finden in Richard Morrison und Uwe Stickert feurige Kontrahenten, aus denen „Unzertrenntliche“ (also Wort und Musik) werden. Morrisons kerniger Bariton und Stickerts jugendlich höhenstarker Tenor sind ein Gewinn für das Haus. Valentina Kutzarova stattet alsClairon die erforderliche Eleganz in Stimme und Darstellung aus und ist einem erotischen Geplänkel mit dem gräflichen Jungspund (Alec Avedissian, locker im Spiel und charmant im Gesang) nicht abgeneigt. Ein Kabinettstück als eingeschlafener Souffleur Monsieur Taupe beschert der vielseitige, verdienstvolle Joshua Lindsay, der mit Saisonschluss das TLT leider verlässt. Danke für seinen stets professionellen Einsatz und alles Gute für das Kommende! Beim italienischen Sängerpaar glänzt Sophia Theodorides funkelnder Sopran mehr als Florian Sterns leicht angestrengt wirkender Tenor. Johannes Maria Wimmer ist der überlegen agierende Haushofmeister, den acht Dienern (Solisten des Herrenchors des TLT) gebührt ein Kompliment für ihre bissig-pointiert vorgetragenen Kommentare. Das zauberhafte junge Tanzpaar (Choreographie Marie Stockhausen) Chiara Ranca und Calogero Failla sorgen für federleichte gestische Brillanz und anmutige Bewegungen.
Bevor der Dirigent des Abends den Taktstock hebt, lassen sechs hervorragende Solisten des Tiroler Symphonieorchesters mit dem auch im Konzertsaal anzutreffenden Eingangs-Streichsextett aufhorchen (Annedore Oberborbeck, Susanna Merth-Tomasi / Violine, Alexandre Chochlov, Christoph Peer / Viola, Michael Tomasi, Lucia Tenan / Violincello) und sorgen für den ersten Höhepunkt des Abends. Danach lässt der nach Kassel abwandernde MD Francesco Angelico einen wunderbar duftigen Strauss aufspielen, um nach der heiteren Dienerszene dem Publikum ein Bad im Wohlklang im Verbund mit dem prachtvoll aufspielenden TSOI zu bescheren. Lieber Herr Angelico, nach der unsagbar schönen 3. Mahler letzte Woche und nun diesem Strauss lassen wir Sie noch unlieber von dannen ziehen. Vielen Dank für das in Innsbruck Geleistete und toi-toi-toi für Kassel!
Es war klug, für diese kurze „Capriccio“-Serie eine besonders gelungene Szenerie einzukaufen. Dem Südthüringischen Staatstheater Meiningen gelang in der Saison 2015/16 ein großer Wurf und der Transfer dieser Produktion ans TLT funktionierte reibungslos. Regisseur Anthony Pilavachi fand eine ideale Sympiose zwischen der Zeit der Handlung (Paris um 1775) und der Entstehung (München 1942). In einem durch Kriegsschäden ramponierten Wohnzimmer mit einem prachtvollen Gemälde im Hintergrund wird unter der Obhut eines Musiklehrers (?) / Komponisten (?) ein Streichsextett vorbereitet. Deutlich vernehmbare Fliegerangriffe verhindern anfangs das häusliche Konzert, doch nach Abebben der Geräusche kann das Spiel beginnen. Just in dem Moment, in dem das Orchester einsetzt, entsteigt aus dem Bild die delikat gekleidete Rokoko-Gesellschaft und bevölkert den Salon. Pilavachis kluge Sichtweise, seine ausgefeilte Personenregie und Tatjana Ivschinas fabelhafte Bühnenlösung samt der typengenauen, das Auge beglückenden Kostüme sorgen – im Verein mit den wunderbaren Musikern – für einen Abend der Extraklasse. Besser hätte Intendant Johannes Reitmeier seine ersten fünf Innsbrucker Jahre nicht beschließen können. Ganz große Publikumsbegeisterung!
Dietmar Plattner