Innsbruck: Richard Strauss: „ARIADNE AUF NAXOS“ – 20.9.2025 Premiere. – Reizflutungen
Christoph Kail (Haushofmeister), Jacob Phillips (Musiklehrer) © Toni Suter
„In der Vorstellung gibt es Szenen mit starken Lichteffekten“, lautet die etwas ungewöhnlich anmutende Ankündigung im Programmheft zu „Ariadne auf Naxos“ (1912/1916) von Richard Strauss nach dem Libretto von Hugo von Hofmannsthal am Tiroler Landestheater in Innsbruck. In der Tat beginnt die neue Saison mit einer sehr effektreichen, manchmal reizüberflutenden Premiereninszenierung des lustvoll zwischen Opera buffa und Opera seria changierenden Werks durch Nina Russi, in der sich der Lichtdesigner Raphael Fuchs und der Videogestalter Robi Voigt ab und zu auch so richtig austoben dürfen.
Nina Russi schafft in Zusammenarbeit mit der Bühnenbildnerin Susanne Gschwender bewusst keine räumliche Trennung zwischen dem „Vorspiel“ und der „Oper“ (in der Oper), die bekanntlich der Forderung eines reichen Mäzens, ad hoc ein „Trauerstück“ mit einer „Tanzmaskerade“ zu verbinden, entsprechen muss. Aus diesem Grund dominiert das Bühnenbild ein drehbarer Raum aus weißgekalkten Wänden, derer eine einen mächtigen Sprung aufweist. Auch dem sprichwörtlichen „roten Faden“ in Form roter Seile und eines roten Geflechts, das vielleicht die Höhle der auf Theseus wartenden Ariadne symbolisieren soll, kommt eine unübersehbar große Bedeutung zu, daran erinnernd, dass Ariadne einst ihrem Theseus ein rotes Wollknäuel mitgab, mit dessen Hilfe er dem Labyrinth entkam, ehe er die Geliebte auf der Insel Naxos absetzte und sich von ihr abseilte.
Während das Bühnenbild im „Vorspiel“ eher kärglich bleibt, sorgen in der „Oper“ starke Lichteffekte und Videozuspielungen aus den Kellergängen des Landestheaters und mitunter verstörende Nahaufnahmen der Gesichter von Ariadne und ihrer drei Nymphen für Reizflutungen, die durch die Zusammenstellung eines postmodern anmutenden Kostümfundus, für den Annemarie Bulla verantwortlich zeichnet, verstärkt werden. Weshalb die Commedia dell’Arte-Figuren Harlekin, Scaramuccio, Truffaldin und Brighella lange Zeit ohne Hosen umherlaufen und dann auch in bunten, wechselnden Kostümchen als Typen austauschbar bleiben, ist unerfindlich. Andererseits kann man den fantasievollen Kostümen – zum Beispiel wandelt Zerbinetta in einem poppig-pinken Rüscherlkostüm durch die Handlung – nicht in Abrede stellen, dass sie dem Auge einiges bieten würden, zudem entspricht die mitunter slapstickartige Personenführung dem weitgehend erfrischend satirischen Charakter der Oper.
Benjamin Chamandy (Harlekin), Oliver Sailer (Truffaldin), Annina Wachter (Zerbinetta), Jason Lee (Brighella), William Blake (Scaramuccio), Jakob Nistler (Tanzmeister), Jacob Phillips (Musiklehrer), Florian Stern (Tenor), Christoph Kail (Haushofmeister), Hazel Neighbour (Najade), Camilla Lehmeier (Komponist), Abongile Fumba (Dryade), Anna Gabler (Primadonna), Qi Wang (Lakai) © Toni Suter
Auch zum Saisonauftakt punktet das Tiroler Landestheater, das nach „Elektra“ und „Rosenkavalier“ seine Strauss-Pflege fortsetzt, durch die Qualität des Ensembles der Sängerinnen und Sänger. Anna Gabler gestaltet die Rolle der trauernden, todessehnsüchtigen Ariadne mit schwerblütiger Eleganz und berührt die Herzen nicht nur in ihren Klagearien („Es gibt ein Reich“, „Ein schönes Bild“), sondern auch im wundervollen Schlussduett mit Bacchus, der von Florian Stern mit viriler, heldenhafter Tenorstimme, hervortretend aus dem sich öffnenden Mauersprung, verkörpert wird. Annina Wachter spielt die kokette, mitunter von Selbstzweifeln bedrängte Zerbinetta mit Bravour und hat nun die Gelegenheit, wiederholt die Arie „Großmächtige Prinzessin“, eine virtuose, extrem schwierige Koloraturarie, mit der sie 2024 beim „ZukunftsStimmen-Wettbewerb“ von Elīna Garanča den 2. Preis erlangte, vorzutragen. Sie bewältigt ihre Rolle mit technischem Können und schauspielerischem Witz.
William Blake (Scaramuccio), Jason Lee (Brighella), Oliver Sailer (Truffaldin), Annina Wachter (Zerbinetta), Benjamin Chamandy (Harlekin), Jakob Nistler (Tanzmeister), Jacob Phillips (Musiklehrer) und Ensemble © Toni Suter
Im „Vorspiel“ brillieren Camilla Lehmeier in der Hosenrolle als wütend-verzweifelter Komponist mit aufblitzender Sopranstimme, Jacob Phillips mit geschmeidigem Bariton als Musiklehrer, Jakob Nistler als Tanzmeister und der Schauspieler Christoph Kail in der Sprechrolle als Haushofmeister im Rollstuhl, den er selbstvergessen verlässt, indem er aufspringt. William Tyler Clark (Perückenmacher) und Qi Wang (Lakai) ergänzen das Ensemble pointiert.
Die drei Nymphen Hazel Neighbour (Najade), Anastasia Lerman (Echo), Abongile Fumba (Dryade) © Toni Suter
Ein sowohl stimmlich als auch theatralisch faszinierendes Quartett bilden die Commedia dell’Arte-Darsteller und Verehrer Zerbinettas, Benjamin Chamandy (Harlekin), Oliver Sailer (Truffaldin), Jason Lee (Brighella) und William Blake (Scaramuccio), denen Richard Strauss herrliche Ensembles und Soli in den Mund legte. Als Solist tat sich insbesondere Benjamin Chamandy mit der Arie „Lieben, Hassen, Hoffen, Zagen“, bald melancholisch, dann wieder lyrisch, stets zwischen Heiterkeit und Tiefe, hervor. Sphärenhaft-schön sind auch die Stellen, an denen die drei Nymphen Hazel Neighbour (Najade), Abongile Fumba (Dryade) und Anastasia Lerman (Echo) auftreten.
Anna Gabler (Ariadne) in ihrer Höhle, dahinter drei Nymphen im Video © Toni Suter
Das mit rund 35 Musikerinnen und Musikern besetzte Tiroler Symphonieorchester Innsbruck unter seinem Chefdirigenten Gerrit Priessnitz schöpft lustvoll aus einem riesigen Vorrat an Klangfarben, wobei einzelne Gruppen und Soloinstrumente an bestimmten Stellen eingesetzt werden, um Licht, Melancholie, Schicksalsschwere, Festlichkeit, Ironie, Märchenhaftigkeit usw. symbolisch zu untermalen, und natürlich aus Richard Strauss‘ unvergleichlich großartiger Musik. Das Orchester spielte bravourös und sehr oft mitreißend, wenngleich insbesondere im Vorspiel streckenweise zu laut und damit der Tendenz einer gewissen Reizflutung folgend.
Thomas Nußbaumer