Innsbruck: „THE FAIRY QUEEN“ – 10.2. UA – Eine eher einfallslose Collage
Sara Nunius (Paula), Stefan Riedl (Lion), Sarah Merler (Thisbe), Oliver Sailer (Demetrius), Bernarda Klinar (Helena) Patrick Ljuboja (Paul), Sascha Zarrabi (Oberon), Anastasia Lerman (Titania), Antonio Tafuni (Coridon), Annina Wachter (Hermia), Jacob Phillips (Lysander), Yi Yu (Sleep), Giorgos Mitas (Indian Boy), Letizia Pignard (Pyramus), Daniela Bjelobradić (Virginie) © Birgit Gufler
„The Fairy Queen“ – die Feenkönigin – von Henry Purcell, 1692 uraufgeführt in London, ist eine sogenannte „Masque“, eine Semi-Oper, in der allegorische, dem Bereich der Mythen und Märchen entstammende Gestalten spielerisch die Freuden und Qualen der Liebe ausloten. Das Libretto ist eine anonyme Bearbeitung von William Shakespeares Komödie „A Midsommer nights dreame“. Von der Musik, die außergewöhnlich gut ist, sind 59 Nummern erhalten, darunter volkstümliche „Dances“, heute noch beeindruckende Arien, Chöre und einleitende Instrumentalstücke, die dem Usus der Zeit entsprechend eher spärlich notiert sind, wodurch Freiräume für Arrangements und Improvisation offenstehen.
Für die Produktion am Tiroler Landestheater in Innsbruck, die als „Uraufführung“ ausgewiesen ist, übernahm der Berliner Komponist Albrecht Ziepert 16 dieser Stücke vollständig und andere fragmentarisch und schuf ein „Electronic-Barock-Musiktheater“, in dem neben konventionellen Orchesterinstrumenten auch der E-Gitarre (Robert Pockfuß) sowie dem Cembalo und Synthesizer (Mairi Harris Grewar) tragende Rollen zukommen. Zudem wurden manche Stücke von Purcell weiterkomponiert oder anderweitig verändert. Ziepert bezeichnet diesen Prozess als „Überschreibung“ des Originals.
Sascha Zarrabi (Oberon), Anastasia Lerman (Titania), Giorgos Mitas (Indian Boy), Oliver Sailer (Demetrius) © Birgit Gufler
Gemeinsam mit Mirella Weingarten, die auch für die Regie und Bühne verantwortlich zeichnet, entstand ein Libretto, das Originaltexte mit Texten von Shakespeare, Johann Wolfgang Goethe, Erich Kästner und Mirella Weingarten kombiniert und der Anforderung Rechnung trägt, durch die Einbeziehung auch von Schauspiel und Tanztheater ein für Innsbruck spartenübergreifendes Stück zu inszenieren. Der Inhalt entspricht in vielen Zügen jenem des Originals, es geht im Rahmen einer teils losen, teils nicht vorhandenen Handlung um diverse Liebespaare, ihre Beziehungsprobleme und um zeitlos gültige Emotionen wie Eifersucht, Leidenschaft, Begehren, Obsession, Machtausübung etc.
Angeleitet von einer stummen Figur namens Puck (dargestellt von Catherine Jaeger), die als „Fädenzieherin“ meist am Seil über der Bühne schwebt, werden diese Paare da und dort ineinander vermengt. Manche von ihnen – wie Oberon und Titania, Helena und Demetrius, Hermia und Lysander – verweisen in die Antike, andere wie Paul und Paula, Lion and Wall, Mystery und Sleep, Coridon und Mopsa in jüngere Zeiten. Daneben geistern als Einzelfiguren Virginie, die allein bleiben will, und der stumme Indian Boy, den alle vergöttern, der dann von Cold Spirit, dem Tod, sehr dramatisch hinweggerafft und abschließend herzzerreißend betrauert wird, durch die Szenen.
Leider können Ziepert und Weingarten mit ihrer Bearbeitung der Purcell‘schen Collage aus Figurenpaaren, Affekten, Emotionen und Handlungselementen, der die Regie da und dort auch ein bisschen modisches Transgender aufpfropft, keine plausible Geschichte und keinen roten Faden abgewinnen, und vielleicht hatten sie das auch nie im Sinn. Eine Szene reiht sich an die andere, vieles ist verwirrend, da ja Traum und Realität ineinander verschwimmen sollen, und wer sich Tiefgründigeres erwartet, ist hier ohnehin fehl am Platz.
Dennoch darf man Kompaktheit und innere Logik vermissen. Durch die neuen Textteile entstehen nicht nur Kontraste, sondern macht sich auch eine methodische Unentschlossenheit breit. Auf barocken Formalismus, der dem allegorischen Denken und der Affektenlehre verpflichtet ist, prallt mitunter modernes Psychodrama. Sobald eine moderne Episode wieder verpufft ist, herrscht wiederum Barock. Unausgewogen wirkt das Verhältnis von Sprech- und Musiktheater. Am Anfang wird mehr deklamiert und kommt die durchwegs überzeugend auftretende Schauspielgruppe (mit Daniela Bjelobradić als Virginie, Giorgos Mitas als Indian Boy, Patrick Ljuboja als Paul, Sara Nunius als Paula und Stefan Riedl als Lion) öfter zum Zug, später wird mehr gesungen.
Anastasia Lerman (Titania), Daniela Bjelobradić (Virginie) © Birgit Gufler
Sowohl das Stück als auch die Regie sind darauf ausgelegt, sich von einem Effekt zum nächsten zu retten. Zweifellos sind die Kostüme (von Julia Müer und Verena Polkowski) zauberhaft und fantasievoll und kommen vor der zunächst in Schwarz gehaltenen Bühne, die später von einer strukturierenden Holzkonstruktion dominiert wird, sehr gut zur Geltung, jedoch wirkt die Führung der Singenden, Spielenden sowie sieben Tänzerinnen und Tänzer, die sich als drehende, tanzende, laufende, liegende Paare und Gruppen im Raum bewegen, äußerst beliebig, dann wieder aufdringlich und sehr oft unergründlich, wenn kein Bezug zur momentanen Handlungsepisode erkennbar ist.
Auch die musikalische Bearbeitung bzw. Komposition spiegelt das Dilemma eines unentschlossenen, gerne auf vordergründige Effekte abzielenden Konzepts. Über weite Strecken hört man Purcells Musik, doch im nächsten Moment schon wummert der Synthesizer aus den Saallautsprechern, breiten sich freitonale Klangflächen aus oder heult die E-Gitarre und man steht abrupt im Genre der Neuen Musik oder Popmusik des 21. Jahrhunderts. Ebenso abrupt landet man aber dann wieder bei Purcell.
Es sei nachdrücklich darauf hingewiesen, dass gerade in Innsbruck eine lange Tradition der historisch orientierten Aufführungspraxis besteht und jene Zeiten, als moderne Orchester alte Musik von Komponisten wie Purcell auf modernen Instrumenten und nach den Vorstellungen einer romantischen Klangästhetik spielten, als altbacken und überwunden gelten. In der aktuellen „Fairy Queen“-Produktion jedoch feiert dieser Geist auch deshalb, weil sich der Bearbeiter-Komponist für den originalen Sound nur wenig interessiert, leider wieder fröhliche Urständ. Trotz sehr schöner Soli auf Violine, Cello oder Oboe, trotz der gelungenen Begleitung der Schlussarie und trotz allem Bemühen ist das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck unter der Leitung von Philipp von Steinaecker weder ausreichend spezialisiert noch in der Lage, Purcell auf internationalem Niveau zu spielen. Besonders drastisch spürt man dies dort, wo das Blech im Einsatz ist. Und so hört man aus dem Orchestergraben einen alles in allem mittelmäßig musizierten Purcell mit elektronischen Einsprengseln und Einzelnummern.
Catherine Jaeger (Puck), Andrea De Majo (Cold Spirit) © Birgit Gufler
Die Leistungen der Sängerinnen und Sänger hingegen zählen zu den Pluspunkten der Produktion. Anastasia Lerman ist eine ungemein differenziert und edel artikulierende Titania im Sopranregister und ihr Partner Sascha Zarrabi ein leidenschaftlicher Tenor mit biegsam-weicher Stimme. Andrea De Majo, dem in diesem genreübergreifenden Projekt seine Musical-Schulung bestens zugutekam, sang den „Cold Spirit“ (Tod) im Countertenorregister ungemein beklemmend. Sowohl Annina Wachter als Hermia als auch Bernarda Klier als Helena hinterließen durch ihren strahlenden, ausgewogenen Gesang bleibende Eindrücke. Deren Rollenpartner Jacob Phillips als Lysander und Oliver Sailer als Demetrius überzeugten ebenfalls in puncto Ausdruckskraft. Anzumerken ist, dass in den Chornummern auch die Kolleginnen und Kollegen der Schauspielsparte mitsangen und sich dabei recht wacker schlugen.
Thomas Nußbaumer