Innsbruck
„RUSALKA“ 24.9. 2016 (Premiere) – endlich in Tirol angekommen
Michael Hauenstein, Anna-Maria Kalesidis. Copyright: Tiroler Landestheater/ Larl
Unglaubliche 115 Jahre seit ihrer UA 1901 mussten vergehen, bis Antonin Dvoraks Meisterwerk für die Opernbühne erfolgreichen Einzug im Haus am Rennweg feiern konnte. Woran es lag, dass all die Intendanten des TLT in der Vergangenheit dieser von herrlichster, beseelter Musik nur strotzenden Oper die kalte Schulter zeigten, ist nicht nachvollziehbar. Nun aber, dank dem gegenwärtigen Intendanten Johannes Reitmeier und dem MD des Hauses, Francesco Angelico, kam es zur längst fälligen Premiere und die zweite tschechische Nationaloper (nach Smetanas „Verkaufter Braut“) verzauberte das Publikum. Schon in der Pause konnten Wortfetzen wie „was für herrliche Musik“ und „wunderbare Stimmen“ aufgeschnappt werden. Und in der Tat – musikalisch war diese „Rusalka“ eine Offenbarung. Francesco Angelico scheint einen besonders guten Draht zur slawischen Musik zu besitzen. Mit dem ausgeruhten, bestens disponierten Tiroler Symphonieorchester Innsbruck fächerte er Dvoraks meisterhaft instrumentierte Partitur auf und kostete jedes Detail genussvoll aus. Warum allerdings die feierliche Polonaise im zweiten Akt nur verstümmelt wiedergegeben wird, ist unverständlich, nein ärgerlich. Anstelle dieser empfindlichen musikalischen Beschneidung wären dezente Striche im dritten Akt (Elfenszene) angemessener gewesen.
Auf der Bühne agierte eine Sängerschar, die hohen intenationalen Ansprüchen gerecht werden kann. Die junge, zerbrechlich wirkende Anna-Maria Kalesidis berührt zutiefst als von Sehnsüchten und Hoffnungen getriebene, mit einer Gehbehinderung lebende Titelheldin. Ihr zauberhaft timbrierter, mit einem Touch von Melancholie versehener Sopran bewältigt die lyrischen wie auch die dramatischen Szenen (3. Akt) mühelos. Dass diese Sängerin andernorts ihrer an Mozart geschulten Stimme bereits Partien wie Abigail (!) zumutet, verwundert. Noch klingt die Stimme unangestrengt und rund. Der polnische Tenor Dominik Sutowicz (Prinz) präsentiert einen kompakten, höhensicheren Zwischenfachtenor, dessen Pianoversuche jedoch eher dürftig ausfallen und wenn, dann in den tieferen Lagen brüchig klingen. Der hünenhafte Michael Hauenstein stellt eine Idealbesetzung als Rusalkas väterlich zugetaner Wassermann dar und glänzt besonders mit seiner prachtvoll vorgetragenen traurigen Arie im 2. Akt. Kein Wunder, dass dieser hochtalentierte Bass ab der Saison 2017/18 der Oper Zürich angehören wird. Susan Maclean punktet als hinreißend präsente Jezibaba auf allen Linien – da paaren sich Spielwitz und enorme Musikalität auf ideale Weise. Einen Traum von einem Vamp verkörpert die makellos singende und fabelhaft aussehende Jennifer Maines in der eher undankbaren Rolle der „Fremden Fürstin“. Perfekt in Spiel und vokalem Einklang die drei Elfen (Susanne Langbein, Christianne Belanger, Diana Selma Krauss), prägnant das schön vorgetragene Lied des Jägers von Daniel Raschinsky. Der hübsche, von böhmischen Weisen durchzogene Dialog zwischen Butler (in dieser Inszenierung) und Hausdame wird von Joshua Lindsay und der neu engagierten Camilla Lehmeier höchst gewinnbringend vorgetragen.
Gastregisseur Thilo Reinhardt lässt die Handlung während der „Ouvertüre“ (O-Ton Programmheft!) in einem Museum beginnen (auch schon ein etwas abgetragener Regie-Hut). Ein an den Rollstuhl gefesseltes Mädchen und dessen Familie besuchen ein Haus der bildenden Künste. Ein Bild mit einer Nixe in einer Eislandschaft erregt ihre Aufmerksamkeit ebenso wie die Anwesenheit eines Kunststudenten, den das Exponat ebenfalls fasziniert. Reinhardts Arbeit zeichnet sich indes durch eine präzise, uneitle und vor allem kongenial mit der Musik korrespondierende Handschrift aus. Mit dem Bühnenbild-Künstler Paul Zoller (der in seinen Bildern diskret Freudsche Traumdeutungen einfließen lässt) und der Kostümausstatterin Ulrike Schlemm verfügt der Regisseur über Partner, die seine Intentionen perfekt umzusetzen verstanden und dem Publikum Bilder von hohem ästhetischem Reiz bescherten. Ralph Kopps ausgeklügelte Lichtregie vervollständigte das Sehvergnügen.
Das den ganzen Abend atemlos lauschende Publikum war von der Qualität dieser in tschechischer Originalsprache (!) gesungenen Erstbegegnung restlos begeistert und feierte alle am Gelingen Beteiligten mit größter Herzlichkeit. Die Länge und Heftigkeit des Applauses sprachen für sich.
Dietmar Plattner