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INNSBRUCK/Landestheater: DER LIEBESGESANG von Geog Friedrich Haas – Ein intensives Liebestrennungsduett. Österreichische Erstaufführung/Pemiere

14.09.2024 | Oper in Österreich

Innsbruck: Georg Friedrich Haas: „LIEBESGESANG“ – 13.9.2024 ÖEA, Pr. – Ein intensives Liebestrennungsduett

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Mimi Doulton (Sie) & Benjamin Chamandy (Er): Vokaler Ausdruck extremer Konflikte © Birgit Gufler

Das Tiroler Landestheater, aufgrund der finanziellen Einbußen im Abo-Verkauf und der künstlerischen Ausrichtung des Spielplans durch die seit einem Jahr engagierte Intendantin Irene Girkinger zuletzt im Fokus negativer Berichterstattung, startet die Abo-Saison gewagt, nämlich mit der Oper „Liebesgesang“ von Georg Friedrich Haas nach einem Libretto von Händl Klaus. Das rund 75-minütige Werk entstand im Auftrag der Bühnen Bern und wurde erst im Mai dieses Jahres uraufgeführt. Die österreichische Erstaufführung in Innsbruck entstand in Zusammenarbeit mit dem Neue-Musik-Festival „Klangspuren Schwaz“, weshalb sich unter das übliche Premierenpublikum auch die Anhängerschaft Neuer Musik mischte.

            Und zumindest dieser Teil des Publikums wurde nicht enttäuscht, denn was man zu hören bekam, war außerordentlich. „Liebesgesang“ ist eine Kammeroper für zwei Personen – eine Sängerin und einem Sänger – und entbehrt jeglicher Instrumentalmusik. Der Inhalt des Stücks ist beklemmend und zumindest bis zum letzten Drittel, wenn nur noch pure Emotionalität überwiegt, durchaus spannend. „Er (Christian)“, dargestellt von Benjamin Chamandy, befindet sich in einem Sanatorium und kauert anfangs in seinem Zimmer. Er ist offenbar physisch und psychisch schwer erkrankt. „Sie (Luz)“, seine Frau, dargestellt von Mimi Doultan, besucht ihn ein letztes Mal. Sie hat ein von ihm verfasstes Buch über Tierwelten mitgebracht, an das er sich anfänglich nicht zu erinnern vermag, aus dem er aber frei zitiert, als sie ihm daraus vorzulesen beginnt. Allmählich gelangt die Tragik ihrer Beziehung an die Oberfläche, der Grund ihrer Zerrüttung: Er hat ihr seine Krankheit verheimlicht und ihren Kinderwunsch untergraben. Nach und nach wird die Handlungsgegenwart von Rückblenden und erinnerten Ereignissen einer einst romantischen Liebesbeziehung überlagert.

            So reduktionistisch wie die Besetzung und das Libretto, dessen Text über weite Strecken komplementär verläuft – „Er“ beginnt, „Sie“ setzt fort, und umgekehrt – ist auch die Inszenierung (Regie: Marcos Darbyshire, Bühne, Kostüme, Video: Martin Hickmann). Quaderförmige, dunkle Bühnenelemente in verschiedenen Größen und Zusammensetzungen auf einer Drehbühne schaffen Räume, Ecken, Winkel. Die eindrucksvolle Lichtregie, teilweise vorgegeben durch den Komponisten, findet sparsamen, dafür umso effektvolleren Einsatz. Übertitel zum Mitlesen des Textes sind ausdrücklich untersagt, aber aufgrund der Textdeutlichkeit der beiden Protagonisten nicht notwendig.

Stille spielt in diesem Werk der Tonhöhenschattierungen eine wesentliche Rolle, auf Stille wurde das Publikum in der Einführung der Dramaturgin Katharina Duda und des Librettisten Händl Klaus förmlich eingeschworen. Es handelt sich um die Stille des Theaterraums, die sich ab und an lautstark aufdrängt, weil die Beleuchtungsprojektoren summen, weil im Publikum jemand hüstelt oder sich am Sitzplatz hin- und herbewegt.

Doch die Stille ist nur eine akustische Zutat, sozusagen ein „Begleitakkord“, der von den expressiven, die Zuhörerschaft in den Bann ziehenden Gesangslinien überlagert wird. Die gesamte Bandbreite vokaler Ausdrucksformen kommt teils pointiert zum Einsatz: Gesang in jeder erdenklichen Form der Dynamik, Flüstern, tonhöhenorientiertes Sprechen, Gluckslaute, Gutturaleffekte, Schleudertöne, Glissandi, abrupte Wechsel von Brust- und Kopfregister, ständig nach oben treibendes Tonhöhenniveau, rhythmisiertes Atmen. „Georg Friedrich Haas unterstreicht die Untrennbarkeit von Sprache, Musik, Bühnensituation, Figuren und deren Gefühlszuständen“, urteilt Stefan Politzka, der musikalische Leiter dieser Produktion, und er trifft damit den Nagel auf den Kopf. Und was bei Haas natürlich, selbst wenn man sein Werk nur ein wenig kennt, auch im „Liebesgesang“ eine große Rolle spielt, ist die Organisation der Tonhöhen. Die Musik ist nicht bloß rhythmisch herausfordernd, sondern erfordert extrem gutes Hören und vor allem Treffen von Tönen in Vierteltonintervallen. Aufgrund der engen Reibungen dieser Art von Zweistimmigkeit entstehen Obertöne. Plötzlich glaubt man, eine dritte und vierte Stimme zu hören. Die Singenden nützen, so wurde es dem Berichterstatter mitgeteilt, versteckte Hilfestellungen zum Finden der Tonhöhen, denn die sonst übliche Orientierung an Instrumenten ist hier nicht möglich.

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Mimi Doulton (Sie) & Benjamin Chamandy (Er): Schmerzliche Geborgenheit © Birgit Gufler

Den beiden Protagonisten ist, was ihre stimmlichen Fähigkeiten und schauspielerische Darstellung anbelangt, größte Bewunderung zu zollen. Mimi Doultan verfügt über eine ungemein klangvolle, bestechende Sopranstimme, die sich warm an Benjamin Chamandys leuchtende, beredte Bassbaritonstimme anschmiegt oder sie kalt und triumphierend abweist. Chamandy wiederum spielt die Rolle des Kranken, der unruhig sprunghaft zwischen Autismus, Lethargie und Wachsamkeit pendelt, fesselnd und überzeugend. Zu den starken Momenten gehören die Vorleseszene (auch dank der Lichtregieeinfälle) und immer wieder eingesetzte Inszenierungen von Willensbezeugungen (z.B. „Er – will – zurück!“). Alles in allem ist „Liebesgesang“ ein an Intensität schwer zu übertreffendes Liebestrennungsduett.

Das Kennerpublikum der „Klangspuren Schwaz“ war am Ende begeistert und applaudierte frenetisch. Es ist dem Tiroler Landestheater und der gelungenen Produktion zu wünschen, dass zumindest ein Funke dieser Begeisterung für Haas‘ „Liebesgesang“ auch auf die Breite des Abonnementpublikums überspringt.

Thomas Nußbaumer

 

 

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