Innsbrucker Festwochen der Alten Musik:
„Silla“ von Karl Heinrich Graun (Vorstellung: 7. 8. 2022)
Countertenor Bejun Mehta in der Rolle des Diktators Silla (Foto: Birgit Gufler)
Auch in diesem Jahr planen die Innsbrucker Festwochen der Alten Musik – trotz der zurzeit steigenden Zahlen der Corona-Pandemie – drei Opernaufführungen von barocken Komponisten. Als erste Barockoper wurde im Tiroler Landestheater als 46. Auflage des Festivals das mehr als vierstündige Werk „Silla“ des deutschen Komponisten Karl Heinrich Graun gespielt. Diese Koproduktion mit den Osterfestspielen Schloss Rheinsberg wurde in italienischer Sprache aufgeführt. Für die gut lesbaren Übertitel sorgte Christian Steinbock.
Karl Heinrich Graun wurde im Jahr 1703 oder 1704 in Wahrenbrück geboren und starb 1759 in Berlin. Er entstammte einer Musikerfamilie und wurde an der Kreuzschule in Dresden ausgebildet, wo er auch im Chor der Oper sang. Im Jahr 1725 kam er als Tenor an die Braunschweiger Oper, wo er zwei Jahre später 2. Kapellmeister wurde und noch im selben Jahr die erste von sechs Opern herausbrachte, die er für Braunschweig komponierte. 1735 trat er in die Dienste des späteren preußischen Königs Friedrich d. Großen und ging mit ihm 1740 von Rheinsberg nach Berlin, wo er Königlicher Kapellmeister an der Hofoper wurde. Graun war zu seiner Zeit der führende Vertreter der ital. Oper in Deutschland. Seine 26 unter starker Anteilnahme des Königs entstandenen Opern sind ein wesentlicher Bestandteil der Berliner Operngeschichte. Ganz dem neapolitanischen Stil verpflichtet, gelten sie als die letzten großen Beispiele der barocken Opera seria.
Der Inhalt der Oper Silla, die im Jahr 1753 im Königlichen Opernhaus in Berlin uraufgeführt wurde, kurz zusammengefasst: Ottavia, die Tochter eines römischen Patriziers, der einer Säuberungsaktion des Diktators Silla zum Opfer gefallen ist, und der junge Republikaner Postumio lieben einander abgöttisch. Ottavias Mutter Fulvia ist darüber wenig erfreut und rät ihrer Tochter, Sillas Antrag Folge zu leisten. Im Senat wird Silla als großer Staatsmann gefeiert, worauf er als Dank die Regierung der unterworfenen Provinzen an seine Getreuen verteilt. Als er Sizilien an Postumio geben will, lehnt dieser ab. Silla tobt, worauf ihn sein Vertrauter Crisogono zu überzeugen versucht, dass er seine Ziele nur durch Gewalt erreichen kann. Er rät Silla, Ottavia zu entführen, der römische Ratsherr Metello warnt jedoch vor solchen Exzessen. Silla kämpft mit sich und seiner leidenschaftlichen Liebe zu Ottavia. – Als Crisogono die entführte Ottavia zu Silla bringt, explodieren die Nerven beider. Während Silla ihr Herz zu gewinnen versucht, beschimpft Ottavia ihn wütend. Metello sagt sich von Silla los und bietet ihm seine Brust zum Todesstoß an. Wenig später stürmt Postumio in den Raum und fordert von Silla die Freilassung Ottavias. Er wird von der Leibwache überwältigt und in Fesseln abgeführt. Ottavia malt sich aus, wie Postumio, ihren Namen sagend, stirbt. – Metellos Vorhaltungen haben Silla zum Nachdenken gebracht. Er verzichtet auf Ottavia und verzeiht Postumio. Er will nicht zu den Tyrannen Roms gezählt werden. Auf dem Forum Romanum sind schließlich Volk und Senat versammelt, um Silla die Ehre des Triumphators zu erweisen. Während Postumio freikommt, wird Sillas schlechter Ratgeber Crisogono in die Verbannung geschickt. Klassisches Happyend der Barockoper, deren Libretto Friedrich II. verfasst hatte.
Das großartig aufspielende Innsbrucker Festwochenorchester wurde von Alessandro De Marchi geleitet, der – wie immer – auf feinfühlende Art dirigierte, was vom begeisterten Publikum mit starkem Applaus aufgenommen wurde. Als De Marchi nach der zweiten Pause zum Dirigentenpult schritt, wurde er mit zahlreichen Bravo-Rufen und frenetischem Beifall empfangen! Eine nicht alltägliche Szene in einem Opernhaus.
In der Titelrolle des Silla brillierte der weltweit bekannte Countertenor Bejun Mehta sowohl stimmlich wie schauspielerisch. Ihm nahm man den römischen Diktator ebenso ab wie seinen leidenschaftlichen Kampf um die Liebe zu Ottavia. Eine großartige Leistung!
Die von zwei Männern begehrte Ottavia wurde von der italienischen Sopranistin Eleonora Bellocci ebenfalls hervorragend dargestellt. Beeindruckend ihre „sprechenden“ Augen, die in fast jeder Szene zu bemerken waren. Berührend auch ihr inniger Gesang um ihren geliebten Postumio, als sie glaubte, dass er sterben würde.
Ottavias Mutter Fulvia wurde von der italienischen Sopranistin Roberta Invernizzi gespielt. Ihr gelang es sehr gut, die mütterlichen Gefühle für ihre Tochter auf der Bühne darzustellen. Dass beide Sängerinnen zu den bekanntesten Sopranistinnen der internationalen Opernhäuser zählen, ist seit langem bekannt.
Der von Ottavia heißgeliebte Jüngling Postumio wurde vom venezolanischen Countertenor Samuel Mariño dargestellt. Er hatte auch die schwierige Rolle des Republikaners auf militante Art zu spielen, was ihm zwar einige Mühe bereitete, aber dennoch gelang.
Den römischen Ratsherrn Metello spielte auf beeindruckende Art und Weise der rumänische Countertenor Valer Sabadus, der im Jahr 2020 den Händel-Preis der Stadt Halle an der Saale verliehen bekam. Wohl eine Auszeichnung für seine glasklare und androgyne Stimme.
Postumios Freund Lentolo wurde vom deutschen Countertenor Hagen Matzeit dargestellt, der in Deutschland auch als Bariton viele Rollen gesungen hat. Seine beste Szene hatte er, als er bereit war, sich für seinen Freund zu opfern. Die Rolle des Crisogono, der schließlich von Silla in die Verbannung geschickt wurde, wurde vom türkischen Tenor Mert Süngü gespielt. Er überzeugte sowohl stimmlich wie darstellerisch in allen Szenen. Gut auch der Coro Maghini, der das Volk Roms repräsentierte (Einstudierung: Claudio Chiavazza).
Schlussbild der Oper (Foto Birgit Gufler)
Regie der mehr als vierstündigen Oper führte Georg Quander, der von 1991 bis 2002 als Intendant die Staatsoper Unter den Linden in Berlin leitete. Auffallend war seine erstklassige Personenführung über alle drei Akte von Silla. Für das Bühnen- und Kostümbild zeichnete Julia Dietrich, die ursprünglich Modedesign studiert hatte, verantwortlich. Es war also nicht verwunderlich, dass das gesamte Sängerensemble modisch erstklassig ausgestattet war.
Das Publikum im ausverkauften Tiroler Landestheater war von der gesamten Aufführung begeistert und spendete allen Sängerinnen und Sängern nach jeder Arie lang anhaltenden Beifall. Am Schluss feierte es alle Mitwirkenden – auch den Dirigenten Alessandro De Marchi und das Innsbrucker Festwochenorchester – minutenlang mit Standing Ovations!
Ein Opernabend, den man nicht vergessen wird!
Udo Pacolt