Georg Philipp Telemann: Pastorelle en musique • Innsbrucker Festwochen der Alten Musik, Grosser Saal im Haus der Musik, Innsbruck • Vorstellung: 25.08.2021
(2. Vorstellung • Premiere am 23.08.2021)
Eine Produktion der Musikfestspiele Potsdam Sanssouci in Koproduktion mit den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik, Musica Bayreuth und den Magdeburger Telemann-Festtagen
«Will’s beim Freien immer schmerzen, o so bleib ich wohl davon»
Florian Götz (Damon) & Alois Mühlbacher (Amyntas); Foto © Birgit Gufler.
Die Aufführung von Telemanns Hochzeits-Serenata «Pastorelle en musique», dem frühesten, vollständig überlieferten musikdramatischen Werk des Komponisten, ist der eindeutige Höhepunkt der diesjährigen Festwochen der Alten Musik. Produktion von so beglückender Einheitlichkeit sind nur ganz selten zu erleben.
Die «Pastorelle en musique» ist, nach einem Vorbild von Molière und Jean-Baptiste Lully, einem Zwischenspiel aus dem Divertissement Royal «Les Amants magnifiques», zwischen 1713 und 1716 entstanden und gehört zur Gruppe jener Serenaten, die Telemann in seiner Frankfurter Zeit (1712 bis 1721) als Musikchef der «Hochadligen Gesellschaft Frauenstein», für die «considerablesten auch auswärtigen Hochzeiten» schuf. Innerhalb der Gruppe dieser Serenaten ist die «Pastorelle en musique» ein Singulär. Nicht auf Grund des pastoralen Sujets, das damals in Mode war und es den Zuschauern, die innerhalb eines wesentlich engeren moralischen Korsetts als heute lebten erlaubte sich in eine andere, einfachere Welt zu träumen. Es wäre durchaus möglich, dass Telemanns zweite Hochzeit 1714 in Hirtenkostümen erfolgte. Ein Singulär ist die «Pastorelle en musique» auf Grund ihres gemischten Stils, der sowohl die Musik wie den Text, er ist zweisprachig in Deutsch und Französische gehalten, betrifft, wie auch auf Grund der Rollenverteilung. Bevor Telemann nach Frankfurt, damals eine weltoffene Stadt, für deren und deren Börse Aufschwung die Hugenotten massgeblich mitverantwortlich waren, kam, hatte er französische Musik schon in Diensten des Grafen Erdmann II. von Promnitz kennengelernt. Für die «Pastorelle en musique» diente dann auch eine 1713 in Paris gedruckte Liedersammlung als Inspiration. Telemann war musikalisch à jour. Den italienischen Stil kannte der mit Georg Friedrich Händel befreundete Telemann, 1702 mit nur 21 zum Direktor der 1693 in Leipzig gegründeten Oper ernannt, ebenfalls. Telemann war schon zu dieser Zeit dafür bekannt, dass er in allen musikalischen Stilen zuhause war. 1752 bestätigte Johann Joachim Quantz, Komponist und Flötenlehrer Friedrichs des Grossen, Telemanns Ruf als des deutschen Vertreters des vermischten Geschmacks. Möglicherweise ist die «Pastorelle en musique» für eine deutsche-französische Hochzeit im Rahmen «Hochadligen Gesellschaft Frauenstein» entstanden und vielleicht ist Telemann, der einen schönen Bariton sein Eigen nannte, auch selbst darin aufgetreten. Dies führt zum zweiten Punkt, der Rollenverteilung. Die Zuweisung des Französischen zum hohen Paar Damon und Caliste und die italienische (und deutsche) Musik des niederen Paars Amyntas und Iris entspricht ganz den Usancen. Gänzlich ungewöhnlich ist die Besetzung des Damon mit einem Bariton und die des Amyntas mit einem Sopran. Zu erwarten wäre gemäss barocker Affektenlehre das Gegenteil, Damon als Sopran und Amyntas als Bariton. Ebenso ungewöhnlich ist die Rolle von «Knirfix» als «Brechtsche» Verbindung zum Publikum. Währen für Damon und Caliste und Amyntas und Iris das Zusammenkommen sicher ist, ist Knirfix, als Kontrast, vom Eheleben nicht wirklich überzeugt («Will’s beim Freien immer schmerzen, o so bleib ich wohl davon»).
Bereits die Ouvertüre weist auf den Ausnahmerang der «Pastorelle en musique» hin: Telemann hat ihr ein ausgewachsenes Concerto (Spirituoso – Adagio – Allegro – Adagio – Presto – Adagio – Vivace) spendiert. In der Folge wechseln sich im luxuriös besetzten Orchester (Violine, Viola, Violincello, Kontrabass, Cembalo, Laute, Oboe, Fagott, Blockflöte, Horn, Trompete und Perkussion) französische, italienische und deutsche Klänge mal ganz zeitgenössisch, mal avantgardistisch an Rameau erinnernd ab. Es kommen Tänze, eine Traumszene und Naturbeschreibungen vor. Das Ensemble 1700 unter Leitung seiner Gründerin Dorothee Oberlinger setzt das schlicht genial um. Der Zuhörer kann ob solcher Farbenpracht nur noch überwältigt staunen.
Pastorelle en musique © Birgit Gufler
Nils Niemanns historisch informierte Inszenierung in der entsprechenden Ausstattung von Johannes Ritter führt dieses überwältigte Staunen gleich weiter. Die einstudierte Gestik sitzt, bei den Solisten wie beim Vocal Consort Berlin, perfekt, das lindgrüne, barocke Gassen-Bühnenbild unterstützt die Handlung bestens und lenkt weder von der Handlung ab noch lässt es Langeweile aufkommen. Es entstehen immer wieder neue barocke «Tableaux vivants», Bilder oder Arrangements, die dann zum Leben erwachen.
Lydia Teuscher mit strahlendem Sopran als Caliste und Florian Götz mit immer stärker aufblühendem Bariton als Damon brillieren als hohes Paar. Die Entdeckung des Abends ist der wunderbar reine, kühle Sopran von Alois Mühlbacher (Amyntas), der bestens mit dem quirligen Sopran von Marie Lys (Iris) harmoniert. Virgil Hartinger gibt einen herrlich komischen Knirfix. Der Violinist Yves Ytier ist ein Multitalent und spielt während dem Tanzen Geige. Oder tanzt während dem Geige spielen. Max Volbers spielt als Cupido die Blockflöte.
Klang, Wort und Geste verschmelzen zum Gesamtkunstwerk: Alle Beteiligte verdienen höchstes Lob und Dank für dies Sternstunde barocker Musik!
Weitere Aufführung: 26.08.2021.
26.08.2021, Jan Krobot/Zürich