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INNSBRUCK: Festwochen der Alten Musik: BORIS GOUDENOW von Johann Mattheson

25.08.2021 | Oper in Österreich

Johann Mattheson Boris Goudenow • Innsbrucker Festwochen der Alten Musik, Grosser Saal im Haus der Musik, Innsbruck • Derniere: 24.08.2021

 (4. Vorstellung • Premiere am 19.08.2021)

 

«Regietheater in bestem Sinne» erreicht die Alte Musik

Opern-Kritik: Innsbrucker Festwochen – Boris Goudenow | concerti.de

Foto: Copyright Birgit Gufler

Mit der zweiten Premiere der Festwochen der Alten Musik, Johann Matthesons «Boris Goudenow oder Der durch Verschlagenheit erlangte Thron oder Die mit der Neigung glücklich verknüpfte Ehe», erreicht «Regietheater in bestem Sinne» die Festwochen der Alten Musik. Die Sänger der Barockoper:Jung und das Concerto Theresia können einen Erfolg verbuchen.

Im Gespräch vor der Oper führte Regisseurin Jean Renshaw (Regie & Bühnenbild) selbst in ihre Arbeit, vom Dramaturgen als «Regietheater in bestem Sinne» bezeichnet, ein. Nach langem Rudern in sich nur langsam lichtendem Nebel sei sie dann plötzlich auf einer glücklichen Insel gestanden. Auseinanderzunehmen und neu zu ordnen sei ihre Aufgabe und so habe sie hier eine Figur gestrichen und deren Musik, mit entsprechenden textlichen Änderungen, auf die anderen Figuren verteilt (der Mix italienischer und deutscher Arien wird im Programmheft nicht erklärt). Dann habe Matthesons Text plötzlich Sinn ergeben. Wenn sie vor dem Stück kapitulieren muss, es für sie in der überlieferten Form nicht verständlich ist: Warum gesteht sie sich ihre Niederlage nicht ein? Die Vermutung, Mattheson habe das Stück noch weiter bearbeiten wollen, es sei also keine endgültige Fassung, wirkt in dieser Situation hilflos entschuldigend. Als Bühnenbild (Mitarbeit Bühnenbild: Lisa Moro) dienen ein langer Tisch, ein fahrbarer Kleiderständer und weitere Versatzstücke wie ein Kremlmodell, die die Zuschauer zu kurzen Lachern animieren. Die Verwendung von klassischen Telefonhörern und vom Orchester gespielten Klingeltöne stellen noch keinen tragfähigen Gegenwartsbezug dar. Während zwei Drittel des Stück schneit es und dem Alkohol wird selbstverständlich heftig zugesprochen, man trägt Pelz oder vom Kalten Krieg inspirierte Militäruniformen (Kostümbild: Anna Ignatieva): da fehlen eigentlich nur noch die Birken. Wenn Josennah russisch sprechend mit einem Plakat «Stop the steal!» auftritt, möchte man ihm zustimmen: Stopp dem Raubbau an Mattheson und seinem Boris!

In der Titelrolle überzeugt Olivier Gourdy mit einem noblen Bass, der ganz der Figur des Boris entspricht. Gourdy verkörpert ideal die im Titel genannte Verschlagenheit. Mit einem wunderbar warmen, etwas höheren Bass als der von Boris, gibt Sreten Manojlović den Bojaren Fedro. Julie Gousset gibt eine höchst lebendige Axinia, die am Schluss ihren Verehrer Gavust (mit prächtigem lyrischen Tenor Joan Folqué) erhört. Josennah (mit leicht metallischem Tenor Eric Price) versöhnt sich am Schluss mit Olga (Alice Lackner) und Irina (Flore van Meerssche mit manchmal recht scharfer Stimme) folgt der Stimme ihres Herzens und erhört Fedro. Yevhen Rakhmanin als Zar Theodorus Iwanowitz und Sebastian Songin als Bogda ergänzen das Ensemble.

Die Gründe, warum Matthesons 1710 entstandene Oper damals nicht aufgeführt wurde, sind bis heute unklar. Wenn man die beiden im Stück vorkommenden Prinzen Gavust und Josennah mit realen Figuren identifiziert, einem schwedischen Prinzen Gustav und einem dänischen Prinzen Johannes, ergibt sich ein politisches Plädoyer des britischen Gesandschaftssekretärs, der Mattheson zu dieser Zeit war, zu Gunsten einer schwedischen Vorherrschaft, das ganz einfach nicht in die Zeit gepasst hat. Auch wenn es ein Happy End im Sinne eines Fürstenlobes gibt: der schwedische Prinz erhält die Zarentochter, währenddem der Dänische verbannt wird. Zudem steht der Zar, der sich sein Amt durch Benutzen seiner Tochter Axinia verschafft hat, nicht in bestem Lichte da. Der Autograph von Matthesons Boris wurde in der Stadtbibliothek Hamburg verwahrt und 1942 zum Schutz vor Bombenangriffen nach Sachsen ausgelagert, von wo er über St. Petersburg nach Jerewan und von dort zurück nach Hamburg kam, wo das Werk am 29. Januar 2005 seine Uraufführung erlebte.

Das Concert Theresia unter Leitung von Andrea Marchiol spielt hoch konzentriert auf und lässt ein barockes Juwel erklingen.

Musikalisches top, szenisch flop.

25.08.2021, Jan Krobot/Zürich

 

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