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INNSBRUCK/ Festwochen der Alten Musik/ Kammerspiele: BORIS GOUDENOW von Johann Mattheson

21.08.2021 | Oper in Österreich

Festivalfenster: Innsbrucker Festwochen der Alten Musik 2021

Innsbrucker Festwochen der Alten Musik:

„Boris Goudenow“ von Johann Mattheson (Vorstellung: 20. 8. 2021)

Boris Goudenow" bei den Festwochen Alter Musik: Politik und Liebe werden  verquickt | SN.at
Olivier Gourdy ist als Boris zu erleben. Foto: Birgit Gufler

Im Rahmen der heurigen – von der Corona-Pandemie ebenfalls getroffenen – Innsbrucker Festwochen der Alten Musik kam es in den Kammerspielen im Haus der Musik zu einer weiteren Ausgrabung einer Opernrarität eines in Vergessenheit geratenen Komponisten: „Boris Goudenow“ von Johann Mattheson. Die im Jahr 1710 komponierte dreiaktige Oper wurde damals mit zwei Untertiteln verfasst: „Boris Goudenow oder Der durch Verschlagenheit erlangte Thron oder Die mit der Neigung glücklich verknüpfte Ehre“, kam aber aus diplomatisch-merkantilen Erwägungen nicht zur Aufführung. Erst nach Wiederentdeckung der Partitur in Armenien erklang sie im Jahr 2005  erstmals.

Der Hamburger Komponist Johann Mattheson (1681 – 1764) erhielt eine breite künstlerische und geistesgeschichtliche Ausbildung und begann bereits mit 15 Jahren als Sänger an der Hamburger Oper, wo bereits 1699 sein erstes Werk  Die Plejades zur Aufführung kam. Im Jahr 1703 begann seine Freundschaft mit Georg Friedrich Händel, die jedoch durch ein Duell am 5. Dezember 1704, das beide gottlob überlebten, getrübt wurde. Dennoch sang Mattheson Hauptrollen in Händels Opern Almira und Nero. 1705 gab er seine Theaterlaufbahn auf, wirkte als Erzieher und wurde 1719 Kapellmeister am holsteinischen Hof. Mattheson genoss schon zu Lebzeiten großes Ansehen als Musiktheoretiker und gründete 1722 die erste Musikzeitschrift Critica musica. Er setzte auch in den Altpartien Sängerinnen anstatt Kastraten auf der Bühne durch.

boris goudenow © birgit gufler 06
Szenenbild. Copyright: Birgit Gufler

Die Inszenierung der Oper Boris Goudenow, deren Libretto der Komponist selbst verfasste und deren Handlung Boris’ schlau eingefädelten Aufstieg zum Zaren schildert, übernahm die als Barockexpertin geltende Britin Jean Renshaw. In einem Interview erläuterte sie ihre Arbeit mit den Worten: „Das Lesen und Immer-wieder-Lesen eines Stücks ruft Bilder hervor, daraus entsteht die Inszenierung. Ich frage mich ständig nach dem Warum, nach den Motivationen der Figuren. Irgendwann habe ich die Antworten dafür.“ Bei der verwirrenden Handlung und den amourösen Verwicklungen dieser Oper entschied sich die Regisseurin, „die Geschichte als eine Art Polit-Komödie unserer Tage zu erzählen“.  Man muss sagen: Nicht alles ist ihr gelungen!

Etwas zu plakativ wirkte ihre Bemühung, die russische Atmosphäre durch drei immer wiederkehrende Dinge auf die Bühne zu bringen: Pelzmäntel, Wodka-Flaschen und Schneefall. Fast peinlich im letzten Akt das Trinkgelage der drei Frauen Axinia, Irina und Olga, die schließlich völlig betrunken singend über die Bühne torkelten.

    Im Mittelpunkt des Bühnenbildes, das die deutsche Bühnenbildnerin Lisa Moro entwarf, stand ein breiter, aber schmaler Tisch, auf dem die meisten der Darsteller lümmelten und Wodka tranken oder herumturnten. Für die Kostüme zeichnete die Russin Anna Ignatieva verantwortlich. Ihr gelang es recht gut, das Outfit ihres Heimatlandes wiederzugeben. Für das Lichtdesign war der in Nürnberg geborene Leo Göbl zuständig.


Yevhen Rakhmanin, Julie Goussot und Joan Folqué. Copyright: Birgit Gufler

Musikalisch war der Opernabend durch das exzellente Orchester Concerto Theresia unter der Leitung des italienischen Dirigenten Andrea Marchiol von hoher Qualität. Auch das Sängerensemble war sehr bemüht, die oft schwierigen Arien zu meistern, wobei die Bass-Sänger die stärkste Wirkung erzielten, wie der Ukrainer Yevhen Rakhmanin in der Rolle des Zaren Theodorus Iwanowitz und der Franzose Olivier Gourdy in der Titelrolle des Boris Goudenow. Ebenso überzeugend auch der serbische Bass Sreten Manojlovic als Bojar Fedro.

Von den Sängerinnen bestach die Münchner Mezzosopranistin Alice Lackner in der Rolle der Fürstin Olga sowohl stimmlich wie schauspielerisch am stärksten. Die französische Sopranistin Julie Goussot als Axinia, Tochter des Boris, überzeugte ebenfalls stimmlich, während die belgische Sopranistin Flore van Meerssche als Gemahlin des Zaren und Schwester von Boris manchmal schrill klang.

Die beiden ausländischen Prinzen Josennah und Gavust wurden von den Tenören Eric Price aus Rom und Joan Folqué aus Spanien gesungen. Sie waren in der Darstellung ihrer Rollen stark gefordert und fielen möglicherweise deshalb gesanglich ein wenig ab. Der deutsche Schauspieler Sebastian Songin als Bogda, Diener des Boris, musste immer wieder in Verkleidung quirlig über die Bühne wirbeln und verkörperte damit das ewige Durcheinander der Handlung.

Im Programmheft war das Ende der Vorstellung mit ca. 22.30 angegeben, tatsächlich fiel der  Vorhang nach 23 Uhr! Trotz der langen Dauer der Vorstellung spendete der Großteil des Publikums lang anhaltenden Beifall, ein Teil der Besucher verließ allerdings bereits zur Pause das Haus.

Udo Pacolt

 

 

 

 

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