Innsbruck/ Tiroler Landestheater: „TOSCA“ 11.6.2022 (Premiere) – das erwartete Opernfest blieb aus
Aurelia Florian (Tosca) und Alexander Roy (Cavaradossi). Copyright: Birgit Gufler/Landestheater
Es ist erstaunlich, mit welchen Einfällen und Neudeutungen einem Selbstläufer wie „Tosca“ heutige Regisseure beizukommen versuchen. In den letzten Monaten war Puccinis Opernkrimi und Dauerbrenner mehrmals im Fernsehen in aktuellen Inszenierungen zu erleben und der interessierte Zuseher konnte einiges dazulernen: a) dass Scarpia Toscas Tötungsversuch überlebt (!) und diese dann eigenhändig per Schusswaffe tötet sowie Kinderkiller (!) Cavaradossi ins Jenseits befördern (Salzburg) und b) dass die eindeutig in Rom angesiedelte Handlung und Räume auch in einer Schneelandschaft (!!) gespielt werden können (Wien). Regisseur Thilo Reinhardt und sein Team (Johann Jörg / Bühne, Katharina Gault / Kostüme) setzten diesen Trend fort, pfiffen auf Orts- und Zeitvorgaben und bescherten dem Publikum eine Neuproduktion voll von fragwürdigen (auch textlichen) Eingriffen. Reinhardts Idee, das Thema „Künstler in den Fängen der politischen Macht“ gibt eigentlich schon die literarische Vorlage her und bedarf keiner verkrampften Neudeutung. Akt 1 findet laut ihm nun „im Atelier Cavaradossis in einem Museum“ statt. Interessanterweise wird in diesen Räumlichkeiten zu Aktschluss ein bombastisches „Te Deum“ unter Mitwirkung von Hoher Geistlichkeit und Burschenschaft samt einer Bücher- und Bilderverbrennung (!!) gefeiert. Für Akt 2 erdachte sich Reinhardt „Scarpias Verhörzentrale“, einem TV-Studio nicht unähnlich. Natürlich wird ein Kamerateam (Castorf lässt grüßen!) bei Cavaradossis Befragung und Folterung sowie der Auseinandersetzung Tosca – Scarpia hautnah dabei sein. Tosca erwehrt sich Scarpias Angriffen mittels Pistole, diese jedoch scheint Ladehemmungen zu haben (oder die Diva verliert den Mut zum Abdrücken). Trotzdem grapscht er am Objekt seiner Begierde weiter, muss aber dummerweise vom „Ersticken im Blut“ singen. Gerade rechtzeitig zu Aktschluss ereilt ihn dann doch die gerechte Strafe mittels Schüssen von außen. Im 3. Akt tritt Tosca in einem Phantasiebühnenkostüm vor griechisch-antiker Landschaft auf, muss eigenhändig die Kulissen heranzerren und stirbt am Ende, wie ihr Geliebter auch, im Kugelhagel der Schergen Scarpias. Szenisch also mehr Flop als Top, vom Publikum am Ende wütend abgestraft.
Te Deum 1.Akt mit Aurelia Florian, Daniel Luis de Vicente, Oliver Sailer und Chor. Copyright: Birgit Gufler /Landestheater
Liebhaber großvolumiger Stimmen hatten Grund zum Jubeln, das Bühnenliebespaar gab, was das Volk wollte. Aurelia Florian, eine äußerst attraktive Erscheinung mit Divenallüren (auch beim Schlussvorhang), verfügt über einen ausladenden, gut durchgebildeten Sopran von erheblichem Reiz, der sich jedoch (noch) nicht auf die räumlichen Gegebenheiten des TLT einzustellen verstand. Vieles klang einfach zu laut. (Unwillkürlich musste ich an einen Ausspruch der legendären Zinka Milanov denken: befragt, was sie von einer ihrer Nachfolgerinnen an der MET hielte, meinte sie: „Schöne Stimme, aber mein Gott, warum schreit sie so?“). Der bereits zu MET-Ehren (immerhin Calaf!) gekommene Spanier Alejandro Roy verfügt über ein Tenormaterial von beinahe beängstigender Durchschlagskraft. Je lustvoller er laute Töne produzierte, umso spröder und schneidender wurde seine Stimme. Immerhin – in der Sternenarie im 3. Akt bewies er, dass es auch sensibler gehen kann. Die gesanglich geschlossenste Leistung bot Daniel Luis de Vicente als Scarpia. Bereits im „Trittico“ (Spielzeit 19/20 – Michele und Gianni Schicchi) konnte der spanisch-amerikanische Bariton seine stimmlichen und darstellerischen Vorzüge unter Beweis stellen. Wie bereits Angelotti (1. Akt) und danach Cavaradossi (3. Akt) musste auch Scarpia sich auf der Bühne seiner Kleidung entledigen – manche Inszenatoren wollen eben Fleisch zeigen, auch wenn es eher peinlich wirkt. Das restliche Bühnenpersonal zeigte sich von seiner besten Seite und machte dem Haus viel Ehre: Johannes Maria Wimmer (Angelotti im Damenkostüm), Oliver Sailer (laut Libretto Mesner, hier Museumswärter!), Junghwan Lee (Spoletta), Jungkun Jo (Sciarrone), Stanislav Stambolov (Schließer) sowie ein bezaubernd singender Wiltener Sängerknabe (Hirte). Chor, Extrachor und die Wiltener Sängerknaben wurden von Chordirektor Michel Roberge bestens auf die beeindruckende Wiedergabe des „Te Deums“ vorbereitet. Lukas Beikircher gewann dem größtenteils delikat aufspielenden Tiroler Symphonieorchester Innsbruck herrlichen Orchesterklang ab, vermied das allzu Grelle, neigte aber hin und wieder zum Verschleppen der Tempi, besonders bei den Ohrwürmern im 2. und 3. Akt. Mit viel Jubel für Sänger und Musiker, jedoch massiver Ablehnung für das Regieteam, ging der fast 3stündige Opernabend zu Ende. Im Haus und vor dem Haus wurde noch lange über das Erlebte debattiert, wobei die negativen Stimmen eindeutig die Oberhand behielten. Eine „Tosca“ mehr ….!
Dietmar Plattner