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IM LABYRINTH DES SCHWEIGENS

15.02.2015 | FILM/TV, KRITIKEN

FilmPlakat Labyrinth des Schweigens~1

Ab 19. Februar 2015 in den österreichischen Kinos
IM LABYRINTH DES SCHWEIGENS
Deutschland / 2014
Regie: Giulio Ricciarelli
Mit: Alexander Fehling, Gert Voss, Johann von Bülow, André Szymanski, Friederike Becht, Johannes Krisch, Hansi Jochmann, Robert Hunger-Bühler u.a.

Vor kurzem erst gab es die Gedenkveranstaltungen angesichts der 70jährigen Befreiung von Auschwitz. Dieser Film denkt nun daran, wie sehr das deutsche Volk Auschwitz nach dem Zweiten Weltkrieg verdrängt hatte – so dass die Bevölkerung teilweise nichts davon wusste (bzw. nichts davon wissen wollte). Das änderte sich erst Ende der fünfziger Jahre. Dieser Film von Regisseur Giulio Ricciarelli, einem Deutsch-Italiener, arbeitet das Thema anhand erfundener Figuren, aber nach realen Ereignissen äußerst glaubhaft auf.

So muss es damals, in den fünfziger Jahren, gewesen sein, die man erkennt – an den Möbeln, den Autos, an den wippenden Röcken der Frauen, den Vico-Torriani-Schlagern aus den Radios, der gewissen gespreizten Bürgerlichkeit, mit der eine Nachkriegsgeneration sich neu etabliert und die Vergangenheit erfolgreich vergessen oder weg geschoben hatte.

Aber, wie ein deutscher Nachkriegsfilm von 1946 (! Man vergisst leicht, dass auch in der Kunst nicht alle die Augen zumachten!) wusste, „die Mörder sind unter uns“. Das sieht Simon Kirsch (gespielt von „unserem“ Johannes Krisch als völlig zerfallene Persönlichkeit), als ein Lehrer im Schulhof, von kleinen Kindern umgeben, ihm jovial Feuer gibt – und er in das Gesicht eines Mannes sieht, der in Auschwitz einer der Schergen war. Sein Freund, der Journalist Thomas Gnielka (André Szymanski mit einer höchst differenzierten Leistung) möchte das bei der Staatsanwaltschaft in Frankfurt zur Anklage bringen, wird aber von einer Phalanx höherer Juristen nicht nur verlacht, sondern geradezu davon gejagt.

Aber da ist die Zentralfigur des Films, der (nicht historische) junge Staatsanwalt Johann Radmann – eine Meisterleistung von Alexander Fehling (unvergessen als der junge Goethe im Film von Philipp Stölzl), der klar macht, dass hier kein junger, idealistischer Held eifert, sondern ein geradezu trockener Jurist einfach nur entschlossen ist, Recht geschehen zu lassen. Auch er weiß damals, 1958, nichts von Auschwitz – es ist ein Erkenntnisprozess, den er sich von Grund auf erarbeiten muss.

Ricciarellis Film (er hat gemeinsam mit Elisabeth Bartel das Drehbuch geschrieben) läuft auf vielen Ebenen, führt etwa den Staatsanwalt auch zu den Amerikanern, die in ihren Akten ersticken – für die der Fall Nazi-Deutschland aber erledigt ist. Sie haben mit den Nürnberger Prozessen gewissermaßen ihre Schuldigkeit getan, nun haben sie gar kein Interesse, weitere Schuldfragen aufzuwirbeln, im Gegenteil, sie wollen ein unaufgeregtes Deutschland als braven, verlässlichen Partner im Kalten Krieg gegen die Sowjetunion…

Labyrinth des Schweigens

Doch Johann Radmann wandert durch endlose Gänge und Regale mit den amerikanischen Unterlagen über 600.000 SS-Männer, er frisst sich durch die Akten jener, die in Auschwitz Dienst taten, hört die jüdischen Überlebenden, die er auffinden kann – und es gibt Szenen, die dann schon ganz ohne Worte funktionieren: Aber wenn seine Sekretärin (Hansi Jochmann als das dickliche deutsche Frauchen, die aber alles andere als dumm ist) einmal auf den Gang geht und hemmungslos weint – dann begreift man die Erschütterung, die aus der Erkenntnis des millionenfachen Massenmordes an den Juden für „aufrechte“ Deutsche resultierte, die es nicht leugneten, sondern wahrhaben wollten. Wobei das Drehbuch dem wackeren Johann privat noch den Boden unter den Füßen wegzieht – der verherrlichte Vater, an der Ostfront verschollen, war doch auch bei der Partei, teilt ihm seine Mutter einmal mit. Und so viele andere, die längst wieder in Amt und Würden sind, auch…

Radmann und Kollege Otto Haller (absolut glänzend in seiner Unscheinbarkeit, hinter der viel Potential steckt: Johann von Bülow), der ihm wider Willen zugeteilt wurde und sich dann voll auf den Fall einlässt, kommen schließlich auf 7000 Namen, Männer, die das Lager Auschwitz führten und so gut wie alle persönliche Blutschuld auf sich geladen hatten. Sie tun ihre Arbeit gegen den Widerstand aller (voran Robert Hunger-Bühler als halb zynischer, halb beunruhigter Oberstaatsanwalt), nur der Generalstaatsanwalt Fritz Bauer (diese Figur ist historisch) hält ihnen die Stange: Es war die letzte Filmrolle von Gert Voss, er spielt einen Mann, über die man nicht viel erfährt, der manchmal zwiespältig schillert – aber es musste Männer wie ihn gegeben haben, denen es nicht um ihre Karrieren, sondern um Recht und Wahrheit ging.

Manches an diesem Film scheint überbordend überflüssig, wenn auch die Beziehung Radmanns zu der jungen Schneiderin (Friederike Becht) notwendig ist, um das „ganz normale Leben“ ins Geschehen einzubringen (und die Kinder-Generation der „Unentwegten“ zu zeichnen, die beim Treffen alter Kameraden noch das Horst-Wessel-Lied grölen…). Da wird auch die Verführung durch das Wirtschaftswunderland gezeigt – lassen wir doch fünf gerade sein und lassen wir es uns gut gehen… aber die Versuchung, in einer Anwaltskanzlei Unrecht zu verteidigen und viel Geld zu verdienen (mit Werner Wölbern in einer herrlich schmierigen Studie), hält für Radmann nur ganz kurze Zeit. Dann ist er wieder zurück beim Fall Auschwitz.

Und da sitzen sie dann, die Schuldigen, die man u.a. in Telefonbüchern gefunden hat, ältere Männer mit starren Gesicht, die „nur ihre Pflicht“ getan haben – die Unfähigkeit, Schuld zu empfinden (ein Phänomen, das sich auch nach der durchaus nicht un-verbrecherischen DDR wiederholt hat), ist eine elementare Erkenntnis dieses Films: Diese Leute haben, als sie taten, was sie tun mussten oder auch wollten, nicht eine Sekunde darüber nachgedacht, wie unmenschlich, wie mörderisch, wie verbrecherisch ihr Verhalten war. Und sie konnten es auch nachher nicht zugeben – oder nicht empfinden.

Es gibt anderes, das sehr „Kino“ ist in diesem Film – nicht nur die Jagd auf Erich Mengele, die Radmann geradezu leidenschaftlich betreibt, wobei ihm der Mossad, gern behilflich, aber kühl sagt, dass ihnen Eichmann wichtiger sei. Mengele ist bekanntlich unbehelligt in Südamerika gestorben – und wenn er in den fünfziger Jahren immer wieder nach Deutschland kam, schloß sich eine unsichtbare Mauer um ihn, die ihn unangreifbar machte – auch für einen entschlossenen Staatsanwalt.

Mag dieses Element der Handlung, auf „Spannung“ ausgerichtet, noch sinnvoll sein – dass Radmann und der Journalist nach Auschwitz fahren, um dort Kaddisch für die von Mengele ermordeten Töchter von Kirsch zu sprechen, ist dann ein wenig dick aufgetragen, obwohl es nicht ausgereizt wird. Immerhin gibt es bei dieser Gelegenheit noch ein kleines tragisches Teilchen zu dem Riesenmosaik – Gnielka erzählt, dass er selbst Auschwitz nur überleben konnte, indem er den Deutschen dabei half, die Leichen der ermordeten Juden zu beseitigen…

Der Film endet, wenn die Gerichtssaaltüren in Frankfurt aufgehen, um den Auschwitz-Prozeß zu beginnen (das war 1963). Man hat dann zwei Kinostunden hinter sich, die nicht die übliche „anklagende“ Vergangenheitsbewältigung boten, sondern den Weg über ein historisches Faktum gehen: Wären damals nicht einzelne entschlossene Menschen gewesen, die nicht bereit waren, Gras über millionenfaches Unrecht wachsen zu lassen – zumindest Deutschland sähe anders aus, vielleicht sogar die Welt.

Renate Wagner

 

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