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Im Gespräch die bulgarische Sopranistin Gabriela Georgieva (Juni 2024 – „Lohengrin“ in Sofia): Es ist mein Weg, mich in die Rolle zu versetzen.

19.06.2024 | Sänger

Im Gespräch die bulgarische Sopranistin Gabriela Georgieva

Unser Redakteur Dirk Schauß ist zur Zeit beim diesjährigen Richard Wagner Festival in Sofia. In der Premiere des „Lohengrin“ feierte die Sopranistin Gabriela Georgieva einen spektakulären Erfolg als Ortrud. Dirk Schauß nutzte die Gelegenheit, mit der sympathischen Künstlerin zu sprechen.

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Gabriela Georgieva. Foto: Dirk Schauß

DS = Dirk Schauß, GG = Gabriela Georgieva

DS: Liebe Frau Georgieva, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview genommen haben, und herzlichen Glückwunsch zu Ihrem großartigen Erfolg bei Ihrem Debüt als Ortrud. Lassen Sie uns einen Blick auf Ihr Leben werfen. Sie haben bei der berühmten Ghena Dimitrova und Kaludi Kaloudov studiert. Wie hat alles angefangen?

 

GG: Ich hätte nie erwartet, Opernsängerin zu werden. Als kleines Mädchen spielte ich Klavier. Meine Ausbildung absolvierte ich jedoch an einer technischen Schule für Chemie. In meiner Familie gab es keine Berufsmusiker. Ich schloss meine mittlere Reife 1990 ab, in einer sehr kritischen Zeit in meinem Land. Viele politische Veränderungen fanden statt, Menschen verloren ihre Arbeitsplätze, und es gab nicht viel Arbeit. All diese demokratischen Veränderungen brachten Herausforderungen mit sich. Wie alle anderen suchte ich nach einer Anstellung und fand einen Job in der Damengarderobe im Operettentheater in Sofia, das heute hauptsächlich Musicals aufführt. Ich hatte keine Ahnung vom Singen und arbeitete an den Kostümen der Damen. Doch ich traf auf Künstler, die mich sehr faszinierten. Einige von ihnen gaben mir den Tipp, mich mit Gesangslehrern zu beschäftigen, falls ich daran interessiert sei, selbst zu singen. Das war mein Anfang.

1994 kam ich zur Musikakademie und schloss vier Jahre später ab. Ich begann und beendete mein Studium als Mezzosopran. Unsicher über meine Stimmlage konsultierte ich einen bekannten Phoniater, der sich auf Opernstimmen spezialisierte. Seine Diagnose war, dass ich ein Spinto-Sopran mit der Aussicht auf eine dramatische Sopranistin sei. Das war das Ende des Mezzosoprans.

Im Jahr 2000 lernte ich Ghena Dimitrova kennen. Sie war in Bulgarien und nahm an Aufführungen teil, mit denen die Sofia National Opera später zum ersten Mal nach Japan ging. Ich besuchte auch Meisterklassen beim slowakischen Tenor Peter Dvorsky, der meinte, ich könnte doch auch Mezzosopranrollen übernehmen. Wieder kehrte ich zu Ghena Dimitrova zurück. Sie war die einzige Person, der ich vertraute, und sie wusste genau, wie sie mit meiner Stimme umgehen musste.

 

DS: Als Sie die Erfahrung machten, als Mezzosopran zu beginnen und plötzlich realisierten, dass Sie Ihre Stimmlage ändern mussten, war es schwer, den Mezzosopran aufzugeben?

 

GG: Nein, denn ich wusste, dass ich kein typischer Mezzosopran war, das war nicht ich. Jetzt bin ich Gesangslehrerin an der Musikakademie und verstehe, dass es gut für meinen Anfang war, als Mezzosopran zu beginnen. Es ist leicht, seine Stimme zu früh zu verlieren oder zu verschwenden.

 

DS: War Ihre Stimme zu Beginn bereits ausgereift?

 

GG: Ja, ich hatte immer eine starke Stimme, aber nicht viel Selbstvertrauen darin. Ich gab meiner Stimme Zeit zu wachsen. Während meiner Zeit an der Akademie berührte ich nie das Sopran-Repertoire. Ich arbeitete nur mit Mezzo-Rollen. Mein Sopran-Debüt gab ich später. Mit 31 Jahren debütierte ich als Leonora in „Il Trovatore“ und Amelia in „Un ballo in maschera“.

 

DS: Haben Sie sich entschieden, sich auf das italienische Repertoire zu konzentrieren?

 

GG: Ich fokussierte mich auf Verdi und Puccini sowie Ponchiellis „La Gioconda“. Meine erste Gioconda sang ich 2006 in Kroatien.

 

DS: Bevorzugen Sie Verdi oder Puccini?

 

GG: Ich liebe jedes Werk, an dem ich arbeite, sowohl Verdi als auch Puccini. 2013 war für mich besonders, da ich meine erste russische Oper sang: Borodins „Fürst Igor“, in der Rolle der Jaroslawna.

 

DS: Was war Ihre erste Rolle in deutscher Sprache?

 

GG: Ariadne in der „Ariadne auf Naxos“, dann Leonore in „Fidelio“ und nun Ortrud, meine erste Wagner-Rolle.

 

DS: Wie ist es, eine deutsche Oper im Vergleich zu einer italienischen zu singen?

 

GG: Es gefällt mir sehr gut und ich genieße es besonders. Es gibt mir die Möglichkeit, Artikulation, Konsonanten und Phrasierung zu trainieren. Ich bin sicher, dass eine gute Artikulation hilft, die Stimme in der richtigen Position zu halten. Ghena Dimitrova sagte immer, dass eine gute Aussprache den Hals befreit. Viele Sänger haben den falschen Eindruck, dass eine korrekte Aussprache ihre Stimmen ruinieren könnte. Das ist ein Irrtum. Wenn man den Hals richtig kontrolliert und öffnet, hilft eine gute Artikulation, besser zu singen.

 

DS: Ihr Deutsch als Ortrud war ausgezeichnet und besonders der Ausdruck des Textes. Es war pure Erzählkunst auf höchstem Niveau.

 

GG: Es ist mein Weg, mich in die Rolle zu versetzen. Wenn ich sie nicht richtig verstehe, kann ich sie nicht gut singen. Ich brauche die Identifikation und die Emotion. Wenn man die Gefühle hat, findet man auch Farben und Ausdruck.

 

DS: Was mich sehr beeindruckt hat, war die totale Identifikation, Sie waren in jedem Moment Ortrud!

 

GG: Heute bin ich überzeugt, dass es viele gute Sänger gibt. Aber wenn man wirklich im Opernbereich erfolgreich sein möchte, reicht es nicht aus, nur richtig zu singen. Man muss sich völlig in die Rolle hineinversetzen, um das Publikum nicht nur zum Zuhören, sondern zum Erleben zu bringen.

 

DS: Sie haben bei der Premiere von „Lohengrin“ etwas erreicht, das ziemlich selten ist. Sie haben Applaus nach „Entweihte Götter“ erhalten. Sie sind jetzt in einem sehr besonderen Kreis zusammen mit Christa Ludwig und Leonie Rysanek, die dies auch geschafft haben.

 

GG: Das freut mich sehr, zu hören. Es ist eine große Freude, wenn es gelingt, das Publikum zu begeistern.

 

DS: Wann haben Sie begonnen, Ortrud zu lernen, da Sie bereits ein so hohes Niveau erreicht haben?

 

GG: Im letzten Oktober sang ich nur für Maestro Trinks, dem Dirigenten dieser „Lohengrin“-Produktion, die Duette aus dem „Lohengrin“ vor, hatte aber in der Zwischenzeit andere Engagements wie „Turandot“. Mit der kompletten Rolle begann ich im März dieses Jahres.

 

DS: In so kurzer Zeit?

 

GG: Ja. Und ich musste auch meine erste Medea, die herausfordernde Rolle von Cherubini, im Februar aufführen. Danach konzentrierte ich mich ganz auf die Ortrud. Ich hatte das Glück und das Privileg, herausragende Unterstützung von Anna Tomowa-Sintow zu erhalten, die mit mir an meiner Rolle arbeitete. Außerdem half mir Maestro Kartaloff sehr, die komplexe Partie gut zu verstehen. Wir diskutierten oft über die Details des Charakters. Sein Vertrauen in mich war eine große und wahre Hilfe, um meinen Weg zu finden. Und ich arbeitete hart, um dieses Vertrauen zu rechtfertigen. Wenn ich solches Vertrauen spüre, lässt mich das nicht in der Einstellung zurück, dass meine Arbeit bereits getan ist. Im Gegenteil, es motiviert mich sehr, immer mehr nach dem Besten des Charakters zu suchen.

 

DS: Wie gehen Sie das Erlernen einer neuen Rolle an?

 

GG: Wenn ich studiere, höre ich mir keine Aufnahmen an. Erst wenn ich meine Arbeit abgeschlossen habe, höre ich Aufnahmen, um verschiedene Rolleninterpretationen zu vergleichen.

 

DS: Wer ist Ihre Lieblings-Ortrud?

 

GG: Leonie Rysanek. Ich mag sie sehr, weil sie immer mit Leidenschaft dabei war. Engagement, Herz und Feuer schaffen den Charakter.

 

DS: Haben Sie andere Wagner-Rollen im Sinn?

 

GG: Ich bin sehr glücklich, Mitglied der Sofia Opera zu sein. Vielleicht wären Elisabeth und Venus in „Tannhäuser“, Senta oder Kundry eine gute Wahl für mich.

 

DS: Und im italienischen Repertoire?

 

GG: Lady Macbeth in Verdis „Macbeth“ (ich war 2014 das Cover von Anna Netrebko in „Macbeth“ bei MET) wäre großartig oder „Adriana Lecouvreur. Und ich würde gerne Santuzza in „Cavalleria rusticana“ spielen.

 

DS: Oder Minnie in Puccinis „La Fanciulla del West“?

 

GG: Oh ja!

 

DS: Wie ist die Arbeitsatmosphäre am Opernhaus Sofia? Ich habe den Eindruck von einer großen Familie. Ist das so? Wie ist es zum Beispiel, wenn mehrere Sänger sich eine Rolle teilen, d.h. bei alternierenden Besetzungen? Gibt es da Eifersucht oder Neid?

 

GG: Die Beziehungen unter uns im Opernhaus Sofia sind ausgesprochen herzlich und freundschaftlich. Persönlich habe ich immer die volle Unterstützung meiner Kollegen gespürt. Ich habe an vielen Orten auf der Welt gesungen, aber wenn ich die Sofia Oper betrete, fühle ich mich, als käme ich nach Hause. Es herrscht eine Atmosphäre des gegenseitigen Respekts und der Unterstützung, die jeder Künstler zu schätzen weiß. In Situationen, in denen mehrere Sänger sich eine Rolle teilen, erleben wir keine Eifersucht oder Neid, sondern vielmehr ein Gefühl der gemeinsamen Leidenschaft und Hingabe für die Kunst.

 

DS: Haben Sie ein Credo als singende Schauspielerin?

 

GG: Wenn ich etwas mache, dann mit ganzem Herzen und ganzer Seele.

 

DS: Vielen Dank. Ich wünsche Ihnen für all Ihre Aktivitäten viel Glück und Erfolg.

 

GG: Vielen Dank. Es war mir eine Freude, mit Ihnen zu sprechen.

 

Dirk Schauß führte das Gespräch auf englisch/bulgarisch (Dank an den Übersetzer Dimitar Bardarsky) am 17. Juni 2024 bei seinem Besuch des Richard Wagner Festivals in Sofia.

 

Fotos: Copyright by Dirk Schauß

 

 

 

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