Foto: Andrea Masek
HOHENEMS/Markus-Sittikus-Saal: Liederabend „SCHUBERT UND SEINE DEUTSCHEN POETEN“ — BENJAMIN APPL und GRAHAM JOHNSON
Dichterreise mit Sternstundencharakter
3.5. 2019 – Karl Masek
So genannte Konzept-Liederabende machen neugierig, erhöhen von vornherein die Konzentration eines Festspielpublikums, das großteils „in Residence“ ist – wie auch die meisten der Künstler/innen. Man kommt nicht bloß rasch auf ein Konzert vorbei, um ein Allerweltsprogramm im Gemischtwarenstil zu konsumieren. Die „Schubertiade“ ist viermal im Jahr (je 2 Serien in Hohenems und im Bregenzerwälder Ort Schwarzenberg) „Eine Traumadresse für Kammermusik“, wie das der leider so früh verstorbene Cellist Heinrich Schiff einmal bezeichnet hat.
Schubert und seine deutschen Poeten—Eine Dichterreise im Grünen: so nannte der weltweit hoch geschätzte Pianist, Klavierbegleiter und Schubert-Forscher Graham Johnson diesen musikalischen „Jakobsweg“ mit Schubert-Liedern von 1815 bis zum Todesjahr 1828. Zu Johnsons großen Verdiensten zählt eine Gesamtaufnahme von Schuberts Liedschaffen, bekannt unter der Bezeichnung „The Hyperion Schubert Edition“. Also ein besonders profunder Kenner seines Œvres. Unzählige Stars des Liedgesanges haben sich im Laufe der Jahrzehnte der musikalischen Partnerschaft des mittlerweile 69-jährigen Großmeisters der Liedbegleitung versichert …
Schuberts Textdichter stammten u.a. aus Niedersachsen (Schulze, Hölty), aus Baden-Württemberg (Uhland, Rückert), Sachsen-Anhalt (Wilhelm Müller), Berlin (Rellstab) und natürlich Hessen/Thüringen, von Frankfurt bis Weimar, erraten: Goethe, Schiller! Ein Bouquet von 25 Liedern umfasste diese Landpartie an diesem Abend. Abwechslungsreiche Sprach- und Musiklandschaften galt es da zu bestaunen. Mit dem Bariton Benjamin Appl und Graham Johnson als kundige Reiseleiter.
Originell auch die Idee, bei jedem Wechsel in das nächste Bundesland den Sänger um das Klavier herum in Bewegung zu setzen – hin zu einem Flipchard. Weiter geblättert, und die Wappen waren zu sehen. Derweil erklang als musikalische Klammer, von Johnson leicht paraphrasiert, das Vorspiel zum 1. Lied aus der „Schönen Müllerin“, Das Wandern.
Es wurde eine Zeitreise in Schubert-Gefühls-Welten. „Station gemacht“ wurde dabei u.a. auf der Insel Rügen,in den Städten Münster, Freiburg, Tübingen, Erlangen, Jena, Dessau und Berlin – den Wohnorten dieser Dichter.
Wundersam, sehr poetisch, aufregend ging es dahin. Schon die Lieder aus dem Jahre 1815 zeigen überdeutlich, wie sehr sich der 18-jährige Hilfslehrer mit zeitgenössischer Lyrik befasst hat und nicht bloß Texte vertont, sondern sie füllhornartig mit Melodien, kühner Harmonik sowie einer emotionalen Dringlichkeit angereichert hat, die ihresgleichen sucht. Da werden auch sehr konventionell ausgefallene Gedichte durch Schuberts Genie zu Kleinodien. Feine, gelassene Ironie etwa im Lied „Der Einsame“ (1825, op. 41). Oder etwa die köstliche Stelle im Lied „Auf der Bruck“ (Text: Ernst Schulze, nie gehört!): „Manch Auge lacht mir traulich zu“, wenn das Klavier naturalistisches Pferdewiehern simuliert. Oder dieser Schwung auf Zehenspitzen im Lied „Auf dem Wasser zu singen“, wenn es heißt „Morgen entschwindet mit schimmerndem Flügel wieder wie gestern und heute die Zeit…“.
Besondere Höhepunkte an Inspiration die Goethe-Lieder „Ganymed“, op. 19/3 (duftige Eleganz), „Der König in Thule“ (voll edler Haltung) oder „Prometheus“ (mit trotzigem Aufbegehren und hochdramatischem Nachdruck).
Benjamin Appl , hervorragend bei Stimme, hatte all diese Nuancen und Stimmvaleurs und dynamischen Feinheiten quasi auf Knopfdruck. Ein Ereignis für sich Graham Johnson. Ihn als Begleiter am Klavier zu bezeichnen, wäre eine Beleidigung des großen Klangmagiers.
Vollends Sternstundencharakter bekam der Abend nach der Pause, in denen Schubert Lieder schreibt, die sich um Aufschreie einer gequälten Seele handeln. Hier navigiert er nicht kunstvoll von Tonart zu Tonart, sondern irrt im Quintenzirkel umher. Atemberaubend, wie Appl & Johnson derlei umsetzen, z.B. Im Lied „Die Liebe hat gelogen“, op. 23/1. Um mit den beiden Rellstab- Liedern aus dem Todesjahr 1828, „Herbst“ und „Abschied“ mirakulös in die Zielgerade der Reise einzubiegen.
Stürmisch der Jubel des enthusiasmierten Publikums. Jetzt kam als 1. Zugabe das gesamte Lied „Das Wandern“ und schließlich „Die Taubenpost“, D 957 (1828).
Karl Masek