HISTORISCHES – (SA)CD Premieren
CAVALLERIA RUSTICANA/ I PAGLIACCI – mit Richard Tucker, Sony Classical Opera-Serie; 2 CDs
Als LPs war diese „Studio“ Cavalleria Rusticana mit dem vorzüglichen Orchester und dem Chor der Metropolitan Opera vom Jänner 1953 schon bei CBS, Philips, der American Columbia und später als unautorisierte, tontechnisch mangelhafte Bootlegs bei Legendary Records und Stage Legends erhältlich. Nun hat Sony die Original Analog-Bänder des beliebtesten Verismo Einakter-Duos sorgsam remastered und zum ersten Mal auf CD herausgegeben. Es ist eine beeindruckende Leistungsschau der damaligen MET und vor allem eine auch technisch unglaublich gut und direkt klingende Hommage an den zur Zeit der Aufnahmen am Zenit seiner Karriere stehenden Richard Tucker geworden. Bei der Aufnahme des Bajazzo aus dem Jahr 1951 war Tucker 38 Jahre alt.
Unter dem dramatisch aufgeheizten Dirigat des in Triest geborenen Fausto Cleva, dem die MET jede Menge an erstklassigen Aufführungen aus dem italienischen Repertoire verdankt, sind emotional dicht zupackende Operneinspielungen entstanden. Vor allem Richard Tucker in der Titelrolle, aber auch der so dunkel-viril timbrierte Giuseppe Valdengo als Tonio lassen mit rein stimmlichen Mitteln plastische Charaktere aus Fleisch und Blut erstehen. Richard Rucker, den der Stimmpapst Jürgen Kesting als Tenor des italienischen Fachs höher einstuft als Corelli, di Stefano, Domingo oder Pavarotti, hatte eine untadelige Stimmtechnik, eine enorme Strahlkraft und eine hohe Identifikation mit den von ihm gesungenen Rollen. Er war ein Stilist von Gnaden und ein ungemein musikalischer Sänger. Eine elegante Phrasierung, das Spannen herrlicher Legatobögen, aber auch das Maßhalten bei der Wahl des Repertoires waren Markenzeichen einer klug gebauten, hauptsächlich an der MET durchlebten Karriere.
Dass die Cavalleria nicht Referenzcharakter hat, liegt ausschließlich an der alles andere als idealen Sängerin der Santuzza. Die zurecht be- und gerühmte Wagner-Sängerin Margaret Harshaw ist in dieser Rolle eine herbe Enttäuschung. Harshaw, die auf Tonträgern live als Donna Anna, Kundry, Venus, Isolde, Götterdämmerungsbrünnhilde, Leonore in Trovatore, Ortrud, Amneris gehört werden kann, war 22 Spielzeiten an der MET beheimatet. Da sie als Mezzo begann, kann sie für sich den Weltrekord an Wagnerrollen an der MET verzeichnen (sie sang alleine 14 unterschiedliche Rollen im Ring, in derselben Saison Senta and Mary, Isolde, Magdalene in “Die Meistersinger,“ Kundry, Elisabeth und Venus). Sie hat sich große Verdienste als Gesangspädagogin erworben, unter ihren Schülern war u.a. Franz Grundheber. Als Santuzza bleibt sie seltsam blass und distanziert. Kritiker warfen ihr sogar vor, sie klänge so, als ob sie die Rolle zum ersten Mal vom Blatt sänge. Der Rest der Besetzung der Cavalleria schlägt sich mit Thelma Votipka als Lucia, Frank Guarrera als Alfio und Mildred Miller als Lola hervorragend.
Im Bajazzo singen Thomas Hayward den Beppe, Clifford Harvuot den Silvio und – ja, mir gefällt sie – Lucine Amara – die Nedda.
Fazit: Zur Erweiterung des eigenen Maßstabs, als tenorales Luxus Genussmittel und wahrhaftige orchestrale Offenbarung unverzichtbar.
Dr. Ingobert Waltenberger