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Hiltrud Böcker-Lönnendonker: SOPHIE CRÜWELL (1826-1907) -KÖNIGIN DER PARISER OPER

04.12.2020 | buch

Hiltrud Böcker-Lönnendonker: SOPHIE CRÜWELL (1826-1907) -KÖNIGIN DER PARISER OPER

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Hiltrud Böcker-Lönnendonker widmet sich in ihrer Biografie der Bielefelder Sopranistin Sophie Crüwell (1826–1907). Königin der Pariser Oper, die Mitte des 19. Jahrhunderts zu den berühmtesten europäischen Opernsängerinnen gehörte, veröffentlicht im Verlag für Regionalgeschichte (= 21. Sonderveröffentlichung des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg e.V.), Bielefeld 2020. In diesem 192 Seiten umfassenden Werk wird das künstlerische Wirken Sophie Crüwells, bekannt in der italienisierten Namensform Sophie Cruvelli, in Bezug zu den historischen Zeitumständen gesetzt. Kapitel über den Ursprung der Bielefelder Familie, die Ausbildung in Paris und Mailand, Karrierestationen, das Karriereende durch Verheiratung, ihre Rolle als Dame der Gesellschaft und ihr künstlerisches Wirken in Wohltätigkeitskonzerten bilden die Kernpunkte des Buches.

Sophie Johanne Charlotte Crüwell wurde am 26. März 1826 in eine gutbetuchte Bielefelder Tabakfabrikantenfamilie hineingeboren. In diesem gutsituierten Haus erhielten Mädchen und Jungen die gleiche gute Ausbildung und lernten Klavierspielen, auch gründete der Vater 1828 die erste Schulanstalt für Töchter des wohlhabenden und gebildeten Standes. Als der Vater 1833 starb, ermöglichte die Mutter ihren Töchtern Sophie und Marie eine umfassende Gesangsausbildung bei Hofkapellmeister Louis Spohr in Kassel und Francesco Piermarini, Gustave-Hippolyte Roger und Marco Bordogni in Paris sowie Francesco Lamperti in Mailand. Am 18. Januar 1846 erfolgte Sophies Konzertdebüt in Paris und 1847 ihr Bühnendebüt als Elvira in Verdis Ernani in Venedig. Es schlossen sich Engagements am Her Majesty`s Theatre am Haymarket in London (1848), am Teatro Grande in Triest (1848/49), am Theatre de l`Opéra Italien á Paris und an der Royal Italien Opera – Covent Garden London, an. Gastspiele, wie 1848 an der Königlichen Oper unter den Linden in Berlin, wo sie Meyerbeer kennenlernte, am Hoftheater Darmstadt und an der Mailänder Scala (1849) rundeten ihre Bühnentätigkeit ab, wie auch Mitwirkungen in zwei Uraufführungen, so als Maria Stuart in Vicenzo Capecelatros David Riccio und als Herzogin Héléne in Verdis Sizilianischer Vesper. Bedingt durch ihre Hochzeit mit Vicomte Achille Georges Vigier (geb. 1825) am 8. Januar 1856 in Nizza musste sie ihre neunjährige Bühnenkarriere, da dies für eine verheiratete Frau aus höherer Gesellschaft ausgeschlossen schien, beenden.

Bedeutende Bühnenrollen von Sophie Crüwell waren die Titelpartie in Bellinis Norma, Elvira in Verdis Ernani, Rosina in Rossinis Barbier von Sevilla, Cherubino in Mozarts Le nozze di Figaro und Donna Anna in Don Giovanni, die Titelpartie in Donizettis Linda de Chamounix, Desdemona in Rossinis Otello, Rachel in Halévys Die Jüdin sowie drei Rollen in Opern von Meyerbeer: Fides in Der Prophet, Valentine in Hugenotten und Alice in Robert der Teufel. Crüwell wurde als lyrische Sopranistin mit dramatischen Ausbrüchen zur erfolgreichsten Verdi-Interpretin ihrer Zeit, die gleichermaßen dramatisches und komödiantisches Können in sich vereinte. Bemängelt wurde in Rezensionen ihre Neigung zu scheinbar überflüssigen Verzierungen. Der Komponist van Recum widmete ihr seinen Walzer La valse Cruvelli. 1854 gab sie ihre preußische Staatsangehörigkeit zugunsten einer französischen auf, befördert durch ihre frankreichfreundliche Erziehung und ihre große Beliebtheit beim Pariser Opernpublikum.

Nach ihrer Heirat bekam sie zwei Kinder, Tochter Rénée Anne Sophie Agathe, die bereits mit drei Jahren verstarb, und Sohn René. Das Singen in Wohltätigkeitskonzerten (1858 und 1861–1864 in Nizza) in aristokratischen Salons war ihrer neuen Stellung angemessen. 1871 absolvierte sie das erste Wohltätigkeitskonzert mit religiöser Musik für Kriegswaisen, 1875 sang sie in Detmold zur Einweihung des Hermannsdenkmals. Nachdem ihr Ehemann das Casino International de Nizza mit 800 Plätzen, erworben hatte, war es Crüwell möglich, ganze Opern aufzuführen, so Bellinis Nachtwandlerin, Verdis Ernani und Rigoletto, Gounods Faust und Wagners Lohengrin. In Wagners Oper, die in Frankreich noch nicht aufgeführt und kritisch bekämpft wurde, sang Crüwell die Elsa am 21. März 1881. Ein voller Erfolg und ein Zeichen ihres Wagemutes. Ihre Bewunderung für Wagners Musik bezeugen ihre mehrfachen Besuche der Bayreuther Festspiele. Nachdem am 20. Oktober 1882 ihr Ehemann verstarb, trat sie kaum noch auf und wurde von Rezensenten zunehmend kritischer betrachtet. Ihr letzter öffentlicher Auftritt fand 1889 im Stadttheater von Nizza als Margarete in Gounods Faust statt. Crüwell trat auch als Komponistin in Erscheinung, u.a. mit ihren Liedern Chanson de Fortunio, Méditation, Lied an die Heimat und der Polka Erinnerungen an Deutschland. Sophie Crüwell starb am 6. November 1907 im Hotel de Paris.

Diese umfangreiche Sängerbiografie einer heute nahezu vergessenen, damals hochverehrten Sopranistin, bringt erstes Licht in das Leben und Wirken dieser »französische[n] Sängerin aus Bielefeld«, die, so bezeichnet es Böcker-Lönnendonker ein »frühes Beispiel gelungener deutsch-französischer Beziehungen« (beides S. 179) darstellt. Durch die leider nur noch spärlich vorhandenen Quellen zu Sophie Crüwell, hat die Autorin sehr viele historische Hintergründe und Zeitumstände einfließen lassen, während die Erkenntnisse zu Sophie Crüwell leider nur dürftig bleiben. Hervorgehoben wurde die nationale Empfindlichkeit der Völker, so wurde es in Deutschland im 19. Jahrhundert als Verrat angesehen, wenn eine deutsche Sängerin nicht in deutscher Sprache sang. Da Sophie Crüwell zumeist Italienisch sang, wurde das in deutschen Rezensionen kritisch vermerkt. Zu möglichen Überlieferungen von Crüwells Kompositionen, zu verwendeten Texten und kompositorischem Aufbau, wird leider nichts vermerkt. Und nebenbei, übersichtlicher wäre es gewesen, wenn die Fußnoten direkt unter der betreffenden Seite platziert worden wären, damit das ständige Rückblättern wegfällt. Dieses flüssig geschriebene, gut lesbare Buch gibt interessante Einblicke in den Opernalltag und das Leben einer Opernprimadonna im 19. Jahrhundert und ist schon allein deshalb durchaus lesenswert.

Dr. Claudia Behn

 

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